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Quelle: rbb / Schneider, Grafik: rbb / Bernert

Was wurde aus ...? | Gentrifizierung rund um die Kurfürstenstraße

"80 Prozent haben das Weite gesucht"

Luxuswohnungen versus Straßenstrich: Der Berliner Wolfgang Hoth lebte jahrzehntelang als Mieter nahe der Kurfürstenstraße. 2017 erhielt er eine drastische Mieterhöhung, weil sein Wohnhaus verkauft und saniert wurde. Wie geht es dem 85-Jährigen heute?

In der Interviewserie "Was wurde aus ...?" fragen wir nach bei Menschen, deren Geschichten uns besonders bewegt haben. 2017 berichteten wir im Rahmen unseres Projekts "Berlin baut am Bedarf vorbei" über den Neubau verhältnismäßig teurer Apartments und die Edelsanierung bestehender Mietshäuser - und die damit verbundene Verdrängung. Dabei sprachen wir auch mit dem damals 80-jährigen Mieter Wolfgang Hoth.

rbb|24: Herr Hoth, als wir uns vor fünf Jahren unterhielten, hatten Sie gerade eine Mieterhöhung bekommen und mussten fürchten, aus Ihrer Wohnung ausziehen zu müssen. Leben Sie noch dort?

Wolfgang Hoth: Ja, immer noch, zusammen mit meiner kranken Frau.

Sie hatten damals ein Schreiben bekommen, das Sie mir gezeigt hatten. Darin kündigte der Eigentümer die Modernisierung Ihrer Mietwohnung mit den Worten an: "Leben heißt Veränderung". Was ist da passiert?

Ich habe mir das aufgeschrieben, einen Moment.

Hoth legt ein DIN-A4-Blatt auf den Tisch. Mit violettem Stift hat er sich eine Mind-Map für das Gespräch gezeichnet. Sie sieht aus wie ein Baum mit vielen Ästen. Auf jeder Verästelung hat er entweder ein Datum, einen Namen oder einen Begriff notiert.

In diesem sogenannten Informationsschreiben wurde uns mitgeteilt, dass sie die Absicht haben, die Wohnung zu modernisieren. Im gleichen Atemzug wurde mitgeteilt, dass die Wohnungen zu räumen sind, weil der Asbest aus den Fußböden rausgeholt werden muss. Jeder solle sich mal überlegen, ob er für drei Monate bei Bekannten oder woanders unterkommen könne, weil die Hausverwaltung nicht in der Lage sei, eine entsprechende Anzahl von Wohnungen vorzuhalten.

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Was sollte gemacht werden?

Neben den Fußböden sollte unter anderem das Bad herausgerissen werden, die Heizung sollte auf Fernheizung umgestellt, das Warmwasser damit gekoppelt werden. Diese Ankündigung hatte gleich einen durchschlagenden Erfolg: Der Großteil von denen, die damals im Haus wohnten, suchte das Weite. Die waren verschreckt, weil damit verbunden eine Mieterhöhung angekündigt wurde.

Um wieviel ging es da bei Ihnen?

Ein Sprung von 800 auf 1.400 Euro, für 75 Quadratmeter. Diese Größenordnung konnten die Nachbarn unmöglich stemmen. Die meisten waren Sozialmieter, sie haben sich natürlich auch Angst machen lassen. Viele, die ich gesprochen habe waren bedrückt und zornig, weil die Wohnungen im Großen und Ganzen in vernünftigem Zustand waren – und nicht, wie dargestellt, stark renovierungsbedürftig. Meine Wohnung war einwandfrei, es war aus meiner Sicht völlig sinnlos, dort etwas zu unternehmen.

Hoths Wohnhaus an der Genthiner Straße, Ecke Lützowstraße. Seit 1978 lebt er dort. Nun wird das Haus mit dem Namen "Lytz" vermarktet. | Quelle: rbb / Schneider

Wenn Sie sagen, es sind viele Nachbarn ausgezogen: Wie war das für Sie, sich nach und nach von ihnen verabschieden zu müssen?

Bei manchen war es bedauerlich, die Zusammensetzung bei uns im Haus war sehr heterogen. Unter uns wohnte eine große Familie, das war eigentlich ein ganzer Clan gewesen, Eltern, Schwester, alle lebten im Haus (schmunzelt). Mit denen hatten wir ein gutes Verhältnis. Man konnte sich drauf verlassen, dass die auch mal gucken, ob im Haus alles in Ordnung ist. Sie haben ziemlich früh aufgegeben und sind alle ausgezogen. Es ist ja auch verständlich. Ich meine, wenn ich nachher die doppelte Miete bezahlen soll, ohne dass der Wohnwert erhöht worden wäre: Warum sollte ich das machen?

Was haben Sie gemacht?

Wir haben uns mit einigen anderen Betroffenen zusammengetan. Ich muss da mal eine Lanze brechen für den Stadtteilverein Tiergarten Süd. Die haben uns beraten, haben uns Räume und Referenten organisiert. Auch beim Mieterverein möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Die haben uns erstmal einen Juristen zur Verfügung gestellt, um mit dieser Sache einigermaßen vernünftig umgehen zu können. Als Einzelne hätten wir das nicht gekonnt.

Wie ging es dann weiter?

Die Hausverwaltung hat gesagt: Wenn wir die Leute nicht auf diese Art und Weise rauskriegen, müssen wir sie hier irgendwo unterbringen. Dadurch dass viele Leute schon ausgezogen waren, konnten die Leute innerhalb des Wohnblocks umgesetzt werden.

Wir haben von Anfang an gesagt, wir wollen unsere alte Wohnung wieder haben. Mit den Bauarbeiten begann es für uns problematisch zu werden. Im Februar 2018 entstand vor unserem Fenster ein Gerüst, das dann noch mit Reklameplakaten verhängt wurde. Bei so einem Wetter wie heute (zeigt aus dem Fenster, draußen scheint die Sonne) saßen wir im Halbdunkel.

Wir fühlten uns bedrängt und gefährdet. Über dieses Gerüst hätte jeder bei uns einsteigen und über die Fenster einbrechen können. Wir sind dagegen juristisch vorgegangen – und das Gericht hat uns Recht gegeben. Aber die Firma hat sich überhaupt nicht gerührt. Da hat unser Rechtsanwalt die Zwangsvollstreckung beantragt. Ein paar Monate später wurde es dann plötzlich doch noch abgebaut.

Wie verliefen die Bauarbeiten danach?

Die Wohnungen derjenigen, die schon weggezogen waren, wurden ausgeweidet, alles rausgerissen. Das war ein höllischer Krach. Unser Haus war offen, jeder konnte rein und raus. Während der Bauarbeiten ist bei uns viermal im Keller eingebrochen worden. Den Abgang zum Keller haben Obdachlose als Abort benutzt, da hat das ganze Haus gestunken.

Haben Sie sich dagegen gewehrt?

Ja. Um die unter Druck zu setzen habe ich gesagt, ich werde versuchen, gerichtlich feststellen zu lassen, dass die Modernisierungsankündigung nichtig ist, weil zwischen dem Zeitpunkt der Verkündung und dem Beginn der Bauarbeiten viel zu lange Zeit vergangen ist. Die Fristen müssen so geregelt sein, dass die Leute auch verbindlich planen können und dann nicht dasitzen und ewig warten, dass es losgeht.

Diese Feststellungsklage muss die Firma zum Umdenken bewegt haben. Der Geschäftsführer kam auf mich zu und hat mich gefragt, ob wir uns denn nicht verständigen könnten. Er hat uns dann die Wohnung, die wir jetzt bewohnen, zum Kauf angeboten, zu einem niedrigeren Preis.

Was haben Sie geantwortet?

Ich musste da mit meiner Frau erstmal gründlich drüber nachdenken. Ich hatte nie die Absicht, mir eine Wohnung zu kaufen. Wir haben uns dann erstmal darauf geeinigt, dass wir während des Umbaus in eine Ersatzwohnung im Haus nebenan ziehen. Da haben wir eineinhalb Jahre gewohnt und konnten das erste Mal seit Jahren einen klaren Gedanken fassen, wie es weitergeht. Ich bin ja nun auch nicht mehr der Neueste – wer fängt denn da so ein Projekt an?

Wie haben Sie entschieden?

Wir haben es letztlich doch gemacht. (Pause) Man kann jetzt natürlich sagen: Der hat seine Grundsätze über Bord geschmissen, nachdem er sich jahrelang mit denen angelegt hat. Aber ich stand vor der Frage, bezahlst Du nun horrende Miete? Alle anderen die sich mit mir engagiert haben, waren inzwischen weg. Ich stand so oder so alleine da. Also haben wir gesagt, wir beißen in den sauren Apfel und zahlen ungefähr das, was wir an Miete gezahlt haben, für den Kredit. Da mussten wir natürlich die letzten Ersparnisse zusammenfegen. Wir haben das dann im Interesse unserer Tochter getan. Die ist selbstständig und hat keine vernünftige Rentenversicherung. Da haben wir gesagt: Na gut, schränken wir uns ein, aber dann hat sie später einen vernünftigen Wertgegenstand.

Wie war das für Sie, als Sie diesen Vertrag unterschrieben hatten?

Zwiespältig. Auf der einen Seite war ich eigentlich ein überzeugter Mieter. Ich habe 40 Jahre als Mieter in dieser Wohnung gewohnt, habe alles mitgemacht, ich war zufrieden damit. Dass ich nun Eigentümer bin, da musste ich mich erst dran gewöhnen. Aber ich muss zu meiner Ehrenrettung sagen: Mitglied des Mietervereins bin ich geblieben.

Was haben die anderen im Haus getan?

In unserem Haus wohnten viele ältere Frauen, zum Beispiel Frau Krause. Die hat gesagt: "Ach, ich kann nachts vor Sorge nicht mehr schlafen." Acht Wochen später ist sie ins Altenheim gezogen, die hat das nicht ausgehalten. Sie kennen doch die alte Regel: Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Ich will Ihnen mal sagen, was Verdrängung bedeutet: Von 25 Mietparteien, die zu Beginn der Sache im Haus gewohnt haben, sind fünf übriggeblieben. 80 Prozent haben das Weite gesucht. Da frage ich mich: Was ist das für eine Politik, die sowas zulässt? Dem sogenannten Investor kann man ja eigentlich keinen Vorwurf machen. Wenn es dem so leicht gemacht wird, dann muss man sich als Politiker später nicht wundern, warum die Leute verärgert sind.

"Inzwischen sind die Wohnungen, soweit ich sehen kann, alle verkauft": Werbeplakat an Hoths Wohnhaus. | Quelle: rbb / Schneider

Wie hat sich Ihre Hausgemeinschaft verändert?

Inzwischen sind die Wohnungen, soweit ich sehen kann, alle verkauft, die Bewohnerschaft ist gemixt, da ist die ganze Welt vertreten: China, Vietnam, Osteuropa, ein paar Deutsche sind auch noch dabei. Jetzt will ich Ihnen mal was zeigen, was ich letztes Jahr in unserem Hausflur gefunden habe.

Hoth legt die Kopie eines Zettels auf den Tisch. Darauf steht in krakeliger Handschrift geschrieben: "Get out of Berlin you rich bastards! Why don’t you stay in your own countries! You destroy everything here!" ("Verschwindet aus Berlin, ihr reichen Bastarde! Wieso bleibt Ihr nicht in Euren eigenen Ländern? Ihr zerstört alles hier!")

Was haben Sie gedacht, als Sie das gelesen haben?

Meine Frau stammt aus Korea und sie fühlt sich von so etwas natürlich verletzt und getroffen. Sie hat mich gefragt: "Wie kommen die dazu, mich in die gleiche Kiste zu werfen?" Sie wohnt seit 40 Jahren hier, sie hat lange Jahre hart als Krankenschwester gearbeitet. Das ist schlimm. Dass solche Anfeindungen rassistisch sind, darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Aber wenn ich solchen Dingen derartig Vorschub leiste, bin ich als Politiker in der Verantwortung. Und ich hatte nicht den Eindruck, dass die Politiker dieser Verantwortung nachgekommen sind.

Wem gehört denn Berlin? Ich kenne die Leute nur vom Sehen, die bei uns wohnen. Alles nette Menschen, ich habe nichts gegen sie. In anderen Ländern ist es aber nicht so einfach, so einen Ausverkauf der Stadt zu betreiben.

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Die Gegend um die Kurfürstenstraße hat sich in den letzten Jahren massiv verändert, das sieht man alleine an den vielen Neubauten, die entstanden sind. Ich habe den Eindruck: Das, worüber wir vor fünf Jahren geschrieben hatten, ist genau so eingetreten. All die Bauprojekte wurden verwirklicht. Wie nehmen Sie diese Veränderung wahr?

Es wird seelenlos, so nehme ich es wahr. Finden Sie das schön?

Ich finde, es sieht aus, als könnten diese Straßenzüge genauso gut in fast jeder anderen europäischen Metropole liegen.

Es ist einförmig, ja: Investorenarchitektur. Die Brache hier nebenan, die jetzt bebaut ist, sollte ursprünglich mal eine Grünanlage werden. Eines Tages legten sie dann mit Kettensägen los. Vollendete Tatsachen. An der Ecke stand eine herrliche Zierkirsche, die hat im Frühjahr fantastisch geblüht. Ich habe noch Aufnahmen davon.

Den Straßenstrich gibt es noch immer. Haben Sie hier Konflikte mit den Käufern der neuen Wohnungen wahrgenommen?

Da hat sich nichts geändert, das war doch abzusehen. Die Leute, die den Käufern versucht haben weiszumachen, wenn die Wohnungen erstmal stehen, dann wird sich das alles ändern – das war alles Quatsch. Im Gegenteil: Dadurch dass das jetzt bebauter ist, gibt es mehr Rückzugsmöglichkeiten für die Prostituierten und ihre Freier. Sie fühlen sich sicherer. Es läuft alles nebenher. Ich hätte hier direkt am Straßenstrich sicher keine Wohnung gekauft.

Was denken Sie, müsste man ändern, damit so eine Verdrängung nicht passieren kann oder zumindest erschwert wird?

Diese Modernisierungsregelung müsste grundlegend überarbeitet werden. Es kann nicht sein, dass der Mieter diese Kosten über unbestimmte Zeit mittragen muss, mit der Begleiterscheinung, dass seine Miete exorbitant steigt. Auch dieses Mantra "Bauen, Bauen, Bauen" und das Mehr an Angebot dämpft dann die Mietentwicklung, ist absoluter Quatsch.

Die Leute, die heute in einer Wohnung wohnen, die haben davon gar nichts – die wollen davor geschützt werden, dass an der Mietenschraube permanent gedreht werden kann. Wird irgendwo eine relativ teure Mietwohnung hingestellt, nimmt das Einfluss auf den Mietspiegel. Man könnte also zum Beispiel sagen: Die ganz hohen und die ganz niedrigen Mieten nehmen wir aus der Bemessung des Mietspiegels raus, außerdem verlängern wird den Zeitraum. Das würde etwas dämpfen.

Aber wissen Sie was? Ich habe generell den Eindruck, als Mieter habe ich in den Augen mancher Parteien wie der CDU einen geringeren Status. Wer ist ein Mieter? Einer der es nicht geschafft hat, sich eine Wohnung zu kaufen. Die Vorstellung, dass der Markt das richten könnte, ist völliger Unsinn.

Die Kurfürstenstraße: Die Gebäude auf der linken Straßenseite sind alle erst in den vergangenen Jahren entstanden. Den Straßenstrich gibt es unverändert. | Quelle: rbb / Schneider

Warum, denken Sie, haben Sie so lange durchgehalten und andere nicht?

Nach meinem Ingenieursstudium bin ich zum Land Berlin gegangen und bin Verwaltungsakademiker geworden. Das hat mir unheimlich geholfen, weil ich dort gelernt habe, in juristischen Kategorien zu denken. Ein Dozent hat gesagt: Immer wenn Sie nicht weiterwissen, hilft ein Blick ins Gesetz. Davon habe ich wirklich profitiert. Ich habe viele getroffen, die sich mit solchen Dingen gar nicht auskannten. In diesem System waren das arme Würstchen. Anders ausgedrückt: Das Recht ist nur was für die Schlauen. Ich dachte mir: Dann möchte ich lieber zu den Schlauen gehören. Das hat mir mein Leben lang geholfen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sebastian Schneider, rbb|24

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