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Audio: rbb24 Inforadio | 18.06.2022 | Leonie Schwarzer | Quelle: dpa/Michael Bihlmayer

Vorschlag zum Energiesparen

Mögliches Absenken der Mindesttemperatur in Wohnungen spaltet Mieter und Vermieter

Wegen gedrosselter Gaslieferungen rät die Bundesnetzagentur, die Mindesttemperatur in Wohnungen zu senken. Eigentümerverbände und Vermieter fordern, das Heizverhalten zu optimieren. Der Berliner Mieterverein findet das ungerecht. Von Leonie Schwarzer und Efthymis Angeloudis

Angesichts der Drosselung russischer Gaslieferungen nach Deutschland ist eine neue Debatte über das Energiesparen entbrannt. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund brachte, wie zuvor bereits der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, ein Absenken der Mindesttemperatur in Mietwohnungen ins Gespräch.

Vermieter seien bis jetzt verpflichtet, eine Temperatur von 20 bis 24 Grad zu gewährleisten. Um Energie zu sparen, forderte Müller eine Absenkung. Der Eigentümerverband Haus und Grund hat den Vorschlag der Bundesnetzagentur als "wertvollen Anstoß" bezeichnet. "Wir müssen uns jetzt auf alle Eventualitäten vorbereiten. Die privaten Vermieter werden alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihren Mietern im Herbst und Winter warme Wohnungen zu ermöglichen", sagte Verbandschef Kai Warnecke am Freitag laut einer Mitteilung in Berlin.

Gazprom drosselt Lieferung

Berliner Wirtschaftssenator sorgt sich um Gasversorgung im Winter

Der russische Energiekonzern Gazprom hat seine Gaslieferungen nach Deutschland weiter gedrosselt. Noch gibt es in Berlin keine Engpässe, doch vor dem Winter müssen die Speicher wieder gefüllt werden. Das aber könnte zum Problem werden.

Berliner Mieterverein: Drosselung ist ungerecht

"Ungerecht" sei der Vorschlag, sagte hingegen Reiner Wild vom Berliner Mieterverein dem rbb am Freitag. "Wir wissen alle, dass Energie eingespart werden muss, wenn jetzt weniger Gas geliefert wird", so Wild weiter. "Aber es ist nicht einzusehen, dass dies in dieser ungerechten Form vollzogen wird. Denn die Wirtschaft und auch Eigentümer sollen verschont bleiben."

Es gebe Menschen, die aufgrund ihrer gesundheitlichen oder beruflichen Situationen viel zu Hause seien. Für diese sei es schwierig, einen ganzen Tag mit Raumtemperaturen von 18 Grad auszukommen, fügte Wild hinzu. "Wir erwarten tatsächlich bei einer solchen gesetzlichen Senkung der Mindesttemperatur in Wohnräumen, dass es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt und auch zu vermehrter Schimmelpilzbildung, insbesondere in den Wohnungen, in denen schon energetische Maßnahmen durchgeführt worden sind", sagte Wild dem rbb.

Auch Bundesbauministerin Klara Geywitz sprach sich gegen eine niedrigere Mindesttemperatur aus. "Gesetzlich verordnetes Frieren halte ich für unsinnig", sagte die SPD-Spitzenpolitikerin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "In der Rechtsprechung sind 20 Grad Minimum festgelegt." Alles darunter könne sogar gesundheitsgefährdend sein und sei auch gebäudetechnisch zu kurz gedacht.

Lieferungen über Nord Stream 1 um 60 Prozent verringert

Sollten die Gasspeichermengen nicht zunehmen, "dann werden wir weitere Maßnahmen zur Einsparung, zur Not auch gesetzlich, vornehmen müssen", sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dazu am Donnerstagabend in den ARD-"Tagesthemen". Zuletzt waren die Speicher zu rund 57 Prozent gefüllt.

Der Vorschlag, die Mindesttemperatur in Mietwohnungen zu senken, habe "Tücken" und sei "nicht ganz einfach", sagte ein Sprecher aus Habecks Ministerium jedoch am Freitag. Es werde aber alles sorgfältig geprüft.

Der russische Gazprom-Konzern hatte in den vergangenen Tagen seine Lieferungen in mehrere EU-Länder gedrosselt - die Lieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland wurden um 60 Prozent verringert. Offiziell wird dies mit Wartungen begründet, die Bundesregierung hält die Reduzierungen jedoch angesichts des Krieges in der Ukraine für politisch motiviert. Die "notwendigen Reparaturarbeiten" würden eine "derartige Drosselung des Gasflusses nicht rechtfertigen", betonte der Sprecher des Bundesministeriums für Wirtschaft.

Deutscher Mieterbund: "Schnapsidee"

Der Deutsche Mieterbund hält eine gesetzlich vorgeschriebene Drosselung der Heizungstemperatur für den Wohnungsbereich als den "völlig falschen Weg". "Wir wissen nicht, wer die Bundesnetzagentur auf diese Schnapsidee gebracht hat. Es wirkt so, als habe das vorgesetzte Wirtschaftsministerium mal austesten lassen wollen, woher der Wind weht", sagte Präsident Lukas Siebenkotten.

"Die verheerende Reaktion selbst aus der Wohnungswirtschaft zeigt, dass der Vorschlag schleunigst zurückgezogen werden sollte", so Siebenkotten. "Unabhängig davon, ob wir zur Miete oder im Eigentum wohnen, müssen wir alle Energie sparen, aber wirklich alle, nicht nur und in erster Linie Mieterinnen und Mieter. Das alles kann und muss freiwillig geschehen."

Sorge über gestiegene Gas- und Energiepreise

Eine mögliche Gasversorgungslücke löst auch in der Industrie Angstzustände aus. "Die Unternehmen sind aufgrund der angespannten Gaslager besorgt", sagte Simon Markgraf von der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) dem rbb, "und sind aktuell auch schon betroffen, nämlich über die gestiegenen Preise." Die Produktionskosten in vielen Unternehmen, die direkt oder indirekt durch die Preisanstiege betroffen seien, seien sehr stark beeinträchtigt. "Das heißt, die Sorge ist schon akut über die gestiegenen Gas- und Energiepreise."

Es gebe Unternehmen, insbesondere im produzierenden Gewerbe, die heute schon Notfallpläne schmieden würden, um sich auf den Winter vorzubereiten.

Was tun im "Katastrophenfall"?

David Eberhard vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) mahnte, dass es wichtig sei, sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt darüber Gedanken zu machen, was passiert, wenn der Katastrophenfall eintrete und tatsächlich kein russisches Gas mehr aus den Pipelines komme.

"Im Katastrophenfall ist vorgesehen, dass die Gasversorgung für große Industriebetriebe zumindest eingeschränkt oder vielleicht sogar ganz abgeklemmt wird§, sagte er am Freitag dem rbb. "Von daher müssten wir in einem solchen Fall dann alle einen Beitrag dazu leisten, die Energieversorgungssicherheit zu gewährleisten."

Sendung: rbb24 Inforadio, 18.06.2022, 08:05 Uhr

Beitrag von Efthymis Angeloudis und Leonie Schwarzer

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