Vorschlag zum Energiesparen - Mögliches Absenken der Mindesttemperatur in Wohnungen spaltet Mieter und Vermieter

Fr 17.06.22 | 17:11 Uhr | Von Efthymis Angeloudis und Leonie Schwarzer
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Hand eines Mannes, der das Thermostatventil eines Heizkörpers auf Null stellt. (Quelle: dpa/Michael Bihlmayer)
Audio: rbb24 Inforadio | 18.06.2022 | Leonie Schwarzer | Bild: dpa/Michael Bihlmayer

Wegen gedrosselter Gaslieferungen rät die Bundesnetzagentur, die Mindesttemperatur in Wohnungen zu senken. Eigentümerverbände und Vermieter fordern, das Heizverhalten zu optimieren. Der Berliner Mieterverein findet das ungerecht. Von Leonie Schwarzer und Efthymis Angeloudis

Angesichts der Drosselung russischer Gaslieferungen nach Deutschland ist eine neue Debatte über das Energiesparen entbrannt. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund brachte, wie zuvor bereits der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, ein Absenken der Mindesttemperatur in Mietwohnungen ins Gespräch.

Vermieter seien bis jetzt verpflichtet, eine Temperatur von 20 bis 24 Grad zu gewährleisten. Um Energie zu sparen, forderte Müller eine Absenkung. Der Eigentümerverband Haus und Grund hat den Vorschlag der Bundesnetzagentur als "wertvollen Anstoß" bezeichnet. "Wir müssen uns jetzt auf alle Eventualitäten vorbereiten. Die privaten Vermieter werden alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihren Mietern im Herbst und Winter warme Wohnungen zu ermöglichen", sagte Verbandschef Kai Warnecke am Freitag laut einer Mitteilung in Berlin.

Berliner Mieterverein: Drosselung ist ungerecht

"Ungerecht" sei der Vorschlag, sagte hingegen Reiner Wild vom Berliner Mieterverein dem rbb am Freitag. "Wir wissen alle, dass Energie eingespart werden muss, wenn jetzt weniger Gas geliefert wird", so Wild weiter. "Aber es ist nicht einzusehen, dass dies in dieser ungerechten Form vollzogen wird. Denn die Wirtschaft und auch Eigentümer sollen verschont bleiben."

Es gebe Menschen, die aufgrund ihrer gesundheitlichen oder beruflichen Situationen viel zu Hause seien. Für diese sei es schwierig, einen ganzen Tag mit Raumtemperaturen von 18 Grad auszukommen, fügte Wild hinzu. "Wir erwarten tatsächlich bei einer solchen gesetzlichen Senkung der Mindesttemperatur in Wohnräumen, dass es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt und auch zu vermehrter Schimmelpilzbildung, insbesondere in den Wohnungen, in denen schon energetische Maßnahmen durchgeführt worden sind", sagte Wild dem rbb.

Auch Bundesbauministerin Klara Geywitz sprach sich gegen eine niedrigere Mindesttemperatur aus. "Gesetzlich verordnetes Frieren halte ich für unsinnig", sagte die SPD-Spitzenpolitikerin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "In der Rechtsprechung sind 20 Grad Minimum festgelegt." Alles darunter könne sogar gesundheitsgefährdend sein und sei auch gebäudetechnisch zu kurz gedacht.

Lieferungen über Nord Stream 1 um 60 Prozent verringert

Sollten die Gasspeichermengen nicht zunehmen, "dann werden wir weitere Maßnahmen zur Einsparung, zur Not auch gesetzlich, vornehmen müssen", sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dazu am Donnerstagabend in den ARD-"Tagesthemen". Zuletzt waren die Speicher zu rund 57 Prozent gefüllt.

Der Vorschlag, die Mindesttemperatur in Mietwohnungen zu senken, habe "Tücken" und sei "nicht ganz einfach", sagte ein Sprecher aus Habecks Ministerium jedoch am Freitag. Es werde aber alles sorgfältig geprüft.

Der russische Gazprom-Konzern hatte in den vergangenen Tagen seine Lieferungen in mehrere EU-Länder gedrosselt - die Lieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland wurden um 60 Prozent verringert. Offiziell wird dies mit Wartungen begründet, die Bundesregierung hält die Reduzierungen jedoch angesichts des Krieges in der Ukraine für politisch motiviert. Die "notwendigen Reparaturarbeiten" würden eine "derartige Drosselung des Gasflusses nicht rechtfertigen", betonte der Sprecher des Bundesministeriums für Wirtschaft.

Deutscher Mieterbund: "Schnapsidee"

Der Deutsche Mieterbund hält eine gesetzlich vorgeschriebene Drosselung der Heizungstemperatur für den Wohnungsbereich als den "völlig falschen Weg". "Wir wissen nicht, wer die Bundesnetzagentur auf diese Schnapsidee gebracht hat. Es wirkt so, als habe das vorgesetzte Wirtschaftsministerium mal austesten lassen wollen, woher der Wind weht", sagte Präsident Lukas Siebenkotten.

"Die verheerende Reaktion selbst aus der Wohnungswirtschaft zeigt, dass der Vorschlag schleunigst zurückgezogen werden sollte", so Siebenkotten. "Unabhängig davon, ob wir zur Miete oder im Eigentum wohnen, müssen wir alle Energie sparen, aber wirklich alle, nicht nur und in erster Linie Mieterinnen und Mieter. Das alles kann und muss freiwillig geschehen."

Sorge über gestiegene Gas- und Energiepreise

Eine mögliche Gasversorgungslücke löst auch in der Industrie Angstzustände aus. "Die Unternehmen sind aufgrund der angespannten Gaslager besorgt", sagte Simon Markgraf von der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) dem rbb, "und sind aktuell auch schon betroffen, nämlich über die gestiegenen Preise." Die Produktionskosten in vielen Unternehmen, die direkt oder indirekt durch die Preisanstiege betroffen seien, seien sehr stark beeinträchtigt. "Das heißt, die Sorge ist schon akut über die gestiegenen Gas- und Energiepreise."

Es gebe Unternehmen, insbesondere im produzierenden Gewerbe, die heute schon Notfallpläne schmieden würden, um sich auf den Winter vorzubereiten.

Was tun im "Katastrophenfall"?

David Eberhard vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) mahnte, dass es wichtig sei, sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt darüber Gedanken zu machen, was passiert, wenn der Katastrophenfall eintrete und tatsächlich kein russisches Gas mehr aus den Pipelines komme.

"Im Katastrophenfall ist vorgesehen, dass die Gasversorgung für große Industriebetriebe zumindest eingeschränkt oder vielleicht sogar ganz abgeklemmt wird§, sagte er am Freitag dem rbb. "Von daher müssten wir in einem solchen Fall dann alle einen Beitrag dazu leisten, die Energieversorgungssicherheit zu gewährleisten."

Sendung: rbb24 Inforadio, 18.06.2022, 08:05 Uhr

Beitrag von Efthymis Angeloudis und Leonie Schwarzer

61 Kommentare

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  1. 61.

    Auch die Vermieter wohnen, und sind somit Privathaushalte, somit wären sie von dieser Maßnahme genauso betroffen!

  2. 60.

    Mit wem sollen die Mieterinnen und Mieter solidarisch sein? Und nur diese, denn um andere Leute geht es hier ja gar nicht. Sollen sie solidarisch sein mit ihren Vermietern, mit den Unternehmen (da diskutiert gerade niemand übers Einsparen von Energie), mit der Bundesregierung? Ich bin sehr gerne solidarisch mit Menschen, die es brauchen. Ich sehe aber nicht, wo es hier um Solidarität mit Bedürftigen geht in dieser Debatte.

    Letztlich wollen die Neoliberalen um Habeck offenbar "vorfühlen", wie die öffentliche Meinung dazu steht, die bisherige gesetzliche Regelung, dass Unternehmen bei Gasknappheit weniger Gas bekommen, aber eben nicht Privathaushalte, zu kippen.

  3. 59.

    Dazu gehören immer 2 Seiten. Diese Einzelperson wurde vorher in diese Position gebracht indem viele Länder sich in die Abhängigkeit von seinem Land begeben haben. Niemand hat Deutschland dazu gezwungen keine Alternativen zu russischer Energie in der Hinterhand zu haben. Eher anders Deutschland hat sich selbst immer wieder bei der Energiewende ausgebremst und trotz aller Warnungen, die Abhängigkeit immer weiter verstärkt, indem Kernelemente der Energiewirtschaft sogar im eigenen Land in russische Hand gelegt wurden.
    Und das sind Fehler der deutschen Politik, die Putin gnadenlos ausnutzt und wir Bürger ausbaden dürfen.

  4. 58.

    Ihr letzter Satz im Gedächtnis war ich heute am Badesee. Sie haben Recht. Bei Nahrungsmitteln können viele Deutsche sparen.

  5. 57.

    Das Problem ist das die Menschen dann die da durch entstehenden Kosten nicht solidarisch über alle Mietparteien verteilen können. Als Hauswart erlebe ich da Sachen.

  6. 56.

    Ich bin gespannt wenn es wirklich dazu kommt dass die Temperaturen in Wohnungen bei 18 grad sind. Das Geschrei der Klugscheisser hier freut mich jetzt schon.

  7. 55.

    Wieso können die politisch Verantwortlichen nicht vereinfachte Möglichkeiten für Mieter zur Nutzung von Solarzellen auf den Balkonen schaffen und Vermieter verpflichten Solarstrom auf den Dächern zu erzeugen, statt Mietern vorzuschreiben, im Winter zu frieren. Das kann ja nur jemand vorschlagen, der selbst nicht frieren und sparen muss. So mit gesichertem Politikergehalt und gesicherter Pension.

  8. 54.

    Das Problem ist nicht durch "Fehler/Fehleinschätzungen der Politik" entstanden, sondern durch eine Einzelperson, die der Welt ihren Willen aufzwingen möchte! Sollen wir klein beigeben und uns diese Erpressung gefallen lassen? Ich meine, nein! Und natürlich finde ich es nicht richtig, dass alte und kranke Menschen frieren müssen, das habe ich wohl auch zum Ausdruck gebracht. Aber wenn alle, die es können, die Heizung etwas runterdrehen, können die die anderen davon profitieren.

  9. 53.

    Millionen Bundesbürger sind seit Jahrzehnten solidarisch mit ihren Mitmenschen. Sie zahlen in ihrem Arbeitsleben eine sechsstellige Summe an Sozialabgaben und Steuern. Tendenz steigend.
    Wenn hier (vielleicht) Menschen frieren und hungern sollten dann wird es endlich Zeit an den großen Stellschrauben Vermögensverteilung und Einkommensverteilung zu drehen. Es gibt in Deutschland (je nach Zählweise) 9 - 11 BILLIONEN EURO VERMÖGEN. Ich bin nicht bereit mich bei Heizung und Kleinwagen einzuschränken während Motorsportrennen stattfinden, Motorjachten spazieren fahren, Privatjets fliegen und riesige Golfrasenflächen gesprengt werden.

  10. 52.

    Sie haben völlig recht, aber auch Mieter drosseln eigenmächtig...ich habe in meiner Mietwohnung alle Fenster und Türen isoliert und heize eigentlich nur für ein - zwei Stunden im Wohnzimmer, wenn ich von der Arbeit komme. Sicher gibt es Wohnungen, wo solche Maßnahmen nichts bringen und Menschen, die mehr Wärme brauchen - jeder sollte für sich entscheiden, ob er in dieser Ausnahmesituation solidarisch sein kann.

  11. 51.

    "Und wir sollten schon ein bisschen solidarisch sein, viele Haushalte kochen auch mit Gas!"
    Finden sie es richtig das durch Fehler/Fehleinschätzungen der Politik und Unternehmen im Winter Oma und Opa im kühlen Zimmer den Winter verbringen müssen wo die müden Knochen dann noch mehr schmerzen?
    Nicht jeder Rentner kann sich noch ne Zusatzheizung leisten um die Bude auf angenehme Temp. zu bringen.
    Wir werden noch neidisch auf die Besitzer von Kamin/Kachelöfen schauen.......

  12. 50.

    Ich brauch gar nichts, keinen zusätzlichen Pulli oder Ölradiator. Es ist eine Unverschämtheit mir irgendwelche Ratschläge zu geben oder zu sagen, was ich zu tun oder zu lassen habe. Die kleinen Leute sollen es richten, was die Anderen verbocken.

  13. 49.

    Wie wäre es zu Abwechslung mal mit "zusammenhalten", statt aufeinander einzudreschen? Jeder fühlt sich bedroht, in seiner Entscheidungsfreiheit und seinen Grundrechten(!) beschnitten - es ist einfach nur traurig!
    Vor Jahren gab es in Deutschland eine Ölkrise, da drohte auch ein Winter ohne Heizung. Es wurden autofreie Sonntage eingeführt, das eingesparte Öl könnte zum Heizen verwendet werden, statt zur Betonherstellung. DAS würde ich heutzutage gern mal erleben, der Volksaufstand wäre vorprogrammiert.
    Was in Deutschland auf freiwilliger Basis geht, hat uns Corona gezeigt, nämlich wenig bis gar nichts und wenn gedrosselt wird, dann sicher überall. Es muss nur eine Lösung für kranke Menschen geben.

  14. 48.

    Hier geht es aber um Energie im besonderen um Gas, nicht um Lebensmittel! Und wir sollten schon ein bisschen solidarisch sein, viele Haushalte kochen auch mit Gas! Wenn alle so denken "man sollte es mir überlassen".... werden viele im Winter frieren und / oder sich keine warme Mahlzeit mehr zubereiten können.

  15. 47.

    Eines haben Habecks Worte verdeutlicht, dass man offenbar keine Grenzen kennt bei der Einschränkung der Freiheit der Bürger, keine Hemmungen hat, die Demokratie außer Kraft zu setzen, um die Folgen des eigenen Regierungshandelns auf die Bürger abzuwälzen. Dafür steht der schnieke, aber semantisch absurde Begriff der klimaneutralen Gesellschaft, der korrekte Ausdruck dafür heißt: Mangelwirtschaft.

  16. 46.

    Das ist genau der richtige Kontext. Die Bürger sind wieder die Gea... Sollen mal bei sich anfangen. In allen öffentlichen Bereichen, Institutionen etc. Licht regulieren, sich weniger durchs Land kutschen lassen usw. Die Menschen, welche es schon immer getan haben, sparen schon. Und auch die Vermieter sollen umdenken. Warum sind z.B. in Hausfluren, Tiefgaragen etc. nicht schon längst LED Beleuchtungen angebracht worden? Nee.. lieber steigen die Nebenkosten. Sinnvoll geht überall anders.

  17. 45.

    Man sollte es mir überlassen, wie, wann und warum ich Energiespare. Bestimmt nicht für unsere Regierung. Solange sie den Bundestag oder die anderen Regierungsgebäude geheizt werden - das sind Steuergelder. Wenn ich meine Stube auf 22 Grad heize, habe ich trotzdem einen dicken Pullover an. Also soll man es mir überlassen, für was ich bezahle. Man kann auch bei Lebensmitteln und Konsumgütern sparen.

  18. 44.

    Och ... das gibt es wirklich. Einfach mal nach Stromvelo oder Rollengenerator suchen. Fragt sich nur, wer zuerst "am Ende" ist, der Film oder der Nutzer ;-).

  19. 43.

    Ich finde diese Diskussion typisch für Deutschland. Lösungen für globale Probleme werden öffentlichkeitswirksam in der Breite gesucht um die Mängel in der Verwaltung zu vertuschen und nur nicht die Industrie zu stark zu fordern.
    Die großen oder öffentlichen Stellschrauben lässt man locker oder verwaltet das Thema einfach durch.
    Allein hier im rbb finden sich reichlich Beispiele wo wir als Land schon viel weiter sein könnten.
    Entbürokratisierung der Energiewende schleicht vor sich hin, wahrscheinlich weil auch dieser Prozess aufwendig verwaltet werden muss. Etliche neue EEG Anlagen stehen betriebsbereit und warten nur auf irgendwelche Papiere, um in Betrieb zu gehen. Zitat Habeck: „jede kWh zählt“. Dann macht endlich etwas das dies auch die Behörden und Netzbetreiber begreifen.
    Probleme beim Bauen oder Material sind dagegen Kindergarten.
    Die öffentliche Diskussion dreht sich um private Haushalte, die in den meisten Fällen schon alle möglichen Energiesparmaßnahmen umgesetzt haben.

  20. 42.

    Das haben sie sehr gut erkannt. Viele Bürgerinnen und Bürger in Wannsee, Nikolassee, Frohnau, Köpenick und Potsdam, insbesondere die, auf 200 qm Wohnfläche aufwärts am Wasser residieren, und die Menschen in Villen auf Sylt, am Starnberger See und Bodensee sind davon glücklicher nicht betroffen. Diese heizen und klimatisieren weiter und betanken ihre Fahrzeuge und Boote weiter. Die breite Masse fördert weiter Einschränkungen und Armut.

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