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Audio: rbb24 Inforadio | 25.08.2022 | Anke Michel | Quelle: radbahn.berlin

Teststrecke der Radbahn unter der U1

Mobilitätswende im Kleinen

Ein moderner Radweg quer durch Kreuzberg, ohne Hindernisse und Stress? Mit dieser Vision wird am Donnerstag eine Teststrecke der Radbahn unter der U1 eingeweiht. Wird es den Machern gelingen, das düstere Viadukt für Radfahrende zu gewinnen?

Der Platz in Berlin wird knapp, finden die Macher der "Radbahn Berlin". Noch dazu ist er ungleich verteilt: "Bevorzugt wird der Autoverkehr, und es fehlt an öffentlichen Raum, der nicht mit Konsum zusammenhängt." Die Aufgabe des Teams: "Wir müssen uns den Platz zurückerobern." Das geht am besten mit einem modernen Radweg unter der U1, ohne Hindernisse, ohne Stress. Auf der Höhe der Oranienstraße soll unter dem Viadukt auf der Skalitzer Straße ein erstes Testfeld eröffnet werden.

Zur Person

rbb|24: Wie kam es zur Idee für die Radbahn unter der U1?

Johanna Schelle: Es gibt da so eine Anekdote, dass sich Anfang 2015 befreundete Architekt*innen und Stadtplaner*innen alle zusammen irgendwo in einer Bar rund um das Schlesische Tor getroffen haben. Eine Person kam aus Mitte und ist die Skalitzer Straße zu dem Treffen geradelt und es hat geregnet. Er kam sehr nass an und meinte, dass es irgendwie Sinn machen würde, diese Fläche unterhalb des Viadukts - die zum größten Teil brach und ungenutzt liegt - dafür zu verwenden, dass man dort trocken, also beschützt bei Wind und Wetter, sein Ziel erreichen kann.

Und aus diesen Hirngespinst wurden erste Skizzen angefertigt. Aus dieser Idee entwickelte sich dann der bis heute existierende Verein paper planes. Dessen Ziel ist es tatsächlich, den vorhandenen Stadtraum neu umzunutzen, der Gesellschaft zurückzugeben und in neuer Form zu beleben.

Drei von diesen Menschen, die sich an dem Abend getroffen haben, sind nun unsere Geschäftsführung.

Was verspricht sich denn das Team von der Radbahn?

Wir befinden uns momentan städtisch in einer Situation, wo wir merken, der Platz wird knapp. Das hat sich nicht nur in Pandemiezeiten gezeigt, dass Menschen raus wollen, aber der Platz ist nicht da. Der Platz in unseren Städten ist quasi ungleich verteilt, der Autoverkehr wird bevorzugt, und es fehlt an öffentlichem Raum, der nicht mit Konsum zusammenhängt.

Und das ist das, was die Radbahn schaffen möchte. Einen neuen Ort in der Stadt, wo sich der Kiez trifft und wo man quasi in dieser Mittellage die Hektik rausnimmt. Es geht uns immer um Entschleunigung und die bewusste Wahrnehmung der Umgebung und der Mitmenschen.

Mobilitätswende und Verkehrswende sind Begriffe, die oft mit Ängsten verbunden sind, weil der eine oder die andere Angst hat, dass ihr Auto oder Parkplatz jetzt weggenommen wird, dass sie sich nur noch mit dem Fahrrad fortbewegen können. Aber man muss erst mal in kleinen Modellprojekten den Bewohnern und Bewohnerinnen der Stadt zeigen, wie die Mobilitätswende aussieht.

Müssen die Bewohner um die Skalitzer Straße jetzt, da die Parkplätze unter der U1 wegfallen, ihre Autos verkaufen oder irgendwie loswerden?

Das Parkplatzthema ist immer mit großen und negativen Emotionen verbunden. Auf der Strecke des Reallabor Radbahn, die sich zwischen Görlitzer Bahnhof und Kottbusser Tor ausspannt, fallen insgesamt 70 Parkplätze weg. Wenn man heute diese Route begeht, dann fällt auf, dass viele der parkenden Autos dort Dauerparker sind, also teilweise Autos, bei denen der TÜV abgelaufen ist.

Die Fläche, auf der die Teststrecke entstehen wird, gehört dem Bezirk. Es ist also Aufgabe des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg, zu entscheiden, wollen wir Ausgleichsparkplätze schaffen oder nicht? Und im Moment orientiert sich das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg an dem Mobilitätsgesetz und hat die Vision, die Stadt nicht unbedingt weiter für den Ausbau für die Autofahrenden voranzutreiben. Es werden also keine Ausgleichsparkplätze extra geschaffen.

Aber es gibt an der Prinzenstraße und am Görlitzer Bahnhof Parkhäuser, die bisher sehr wenig belegt werden und ähnlich wie bei dem Modellversuch Graefekiez Parkplätze für eine reduzierte Parkgebühr anbieten können. Wir können uns vorstellen, dass das langfristig eine Lösung sein wird, mit dem Wegfall von Parkplätzen im öffentlichen Raum, den Leuten attraktive Angebote zu machen, ihre Autos in die vorhandenen Parkhäuser unterzustellen.

U1-Trasse auf der Skalitzer Straße in Berlin-Kreuzberg | Quelle: IMAGO / Sabine Gudath

Viel Verkehr, aber auch viele Kreuzungen und Eingänge zu U-Bahnhöfen. Wie kann man Radfahrenden helfen, da problemlos vorbeizukommen?

Das ist natürlich auch ein Punkt, der ganz oft in den sozialen Medien kritisiert wird. Dass das Projekt also Quatsch ist, weil man ja wegen der U-Bahnhöfe nicht geradeaus unter dem Viadukt fahren kann. Das wissen wir natürlich. Da muss man noch mal sagen, die Radbahn führt nicht hundert Prozent unter dem Viadukt her.

Sie führt unter und entlang des Viadukts an gewissen Stellen, wo es an den Seiten gut ausgebaute Radverkehrsinfrastruktur gibt. Dort schwenkt der Radweg geplant quasi auf die Straße aus und überlässt den Raum unter dem Viadukt für eine andere Nutzung. Also man umfährt quasi an gewissen Stellen die Ein- und Ausgänge.

Die Skalitzer Straße hat nicht unbedingt einen besonders guten Ruf. Wie möchten Sie sicherstellen, dass dieser Ort nicht mehr in Verbindung mit Kriminalität gebracht wird und nicht mehr zum Beispiel als Umschlagplatz für Drogen verwendet wird?

Wir hoffen, dass eine Verbindung zwischen den Menschen in der Nachbarschaft und der Fläche geschaffen wird. Was ja auf den ersten Blick heißt, wo mehrere Menschen vorbeigehen, die sich dann auch dort gerne aufhalten, dort ist der Ort belebt, und das stößt schon mal Kriminalität ab. Und man darf nicht vergessen: Es wird beleuchtet sein. Also Beleuchtung führt im Endeffekt zu einer Reduzierung der Kriminalität.

Ganz ausschließen können wir es nicht. Es ist ein öffentlicher Raum. Wir wissen, in der Nähe ist der angrenzende Görlitzer Park. Wir alle wissen, was dort passiert. Wir können quasi nur auf den Verlagerungseffekt dorthin zählen. Wir wissen aber auch, dass das auch kein gewünschter Effekt ist und dass dort wieder die Politik tatsächlich gefragt ist, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln.

Wie wird die Umgebung der Skalitzer in fünf Jahren aussehen? Wird alles glänzen und sauber sein und alle werden umziehen müssen, weil die Mieten explodieren?

Ich hoffe nicht, weil ich wohne auch quasi mit Blick auf das Viadukt. Ich glaube, Kreuzberg wird immer Kreuzberg bleiben. Aber trotzdem sollten auch die hart eingesessenen Kreuzberger und Kreuzbergerinnen offen für Wandel sein. Wir brauchen hier wirklich kein High-Class-Projekt, wie die High Line in New York. Aber wir wollen eigentlich den Raum, der dort ist, den Menschen zurückgeben.

Ob wir überhaupt die Macht haben, als Radbahn so viel zu gentrifizieren, bezweifeln wir. Weil wir das mit den Bürgern umsetzen wollen und auch nicht alles Geld der Welt haben um da eine Hightechstrecke zu machen. Es wird quasi ein bisschen mehr Lebensfläche geschaffen. Natürlich wird es ein bisschen sauberer, aber wir kennen Kreuzberg, es wird dort ganz schnell wieder dreckig werden.

Und das ist etwas, das mich auch persönlich ein bisschen aufregt. Sobald man einen Ort verkehrsberuhigen möchte oder den Fahrradausbau vorantreiben möchte, immer dieses Argument der Gentrifizierung kommt. Und es kann ja nicht sein, dass wir die Verkehrswende mit Gentrifizierung gleichsetzen. Da müssen wohnungspolitische Lösungen her.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Efthymis Angeloudis

Die Teststrecke der Radbahn kurz vor dem Start. | Quelle: dpa/Annette Riedl

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