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Geflüchtete aus der Ukraine

Visa-Regelung für Drittstaatenangehörige ist ausgelaufen

Ende August ist die großzügige Visa-Regelung für Ukraine-Geflüchtete, die eigentlich aus anderen Ländern kamen, ausgelaufen. Für einige kann das heißen, dass sie von jetzt auf gleich Deutschland verlassen müssen. Von Dörthe Nath

Adebayo K.* ist 23 Jahre alt, lebt in Berlin-Kreuzberg in einer WG, spielt in seiner Freizeit gerne Fußball und möchte gerne Betriebswirtschaft studieren. Geboren wurde K. nicht in Berlin, sondern in Nigeria. Wären die vergangenen Monate nicht so gelaufen, wie sie gelaufen sind, wäre auch seine Geschichte eigentlich keine besondere.

Aber vor einem halben Jahr trieb ihn der Krieg aus dem Land, in dem er ein neues Leben starten wollte. Im Februar wohnte Adebayo K. nämlich noch in Kiew. Dort wollte er studieren. Dann griff Russland am 24. Februar die Ukraine an. K. hörte die Explosionen in der Stadt, Flugzeuge donnerten über die Häuser und in den Straßen fuhren die Panzer auf: "Das war sehr beängstigend", sagt er.

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In Sicherheit und doch unsicher

Nach drei Tagen hielt er es nicht mehr aus, packte einen Rucksack und machte sich mit seinen Freunden auf die Flucht - Hauptsache raus aus dem Land. Jetzt sitzt er also in dem Kreuzberger WG-Zimmer, das er nutzen kann, solange der reguläre Mieter im Urlaub ist. Obwohl er nun eigentlich in Sicherheit ist, ist die Unsicherheit in seinem Leben noch nicht vorbei. Im schlimmsten Fall muss Adebayo nämlich von jetzt auf gleich Deutschland wieder verlassen.

Ende August ist die Visa-Regelung für Drittstaatenangehörige ausgelaufen. Bis dahin hatten Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland kamen - unabhängig von ihrer eigentlichen Staatsangehörigkeit - auch ohne Visum hier ein Aufenthaltsrecht. Das gilt nun für Menschen wie Adebayo K. nicht mehr. Das Problem: Er hat keinen ukrainischen Pass. Es gilt jetzt zwar eine neue Visumsfreiheit, aber nur für 90 Tage ab Einreise und die sind für die Geflüchtete der ersten Wochen nach Kriegsausbruch längst ausgelaufen.

Für Menschen wie ihn, also Studenten, die zum Studium in die Ukraine gekommen waren und von dort aus fliehen mussten, hat der Berliner Senat zwar eine sechsmonatige Übergangsregelung erlassen. Adebayo K. aber weiß gar nicht, ob die Ausländerbehörde ihn überhaupt als Studenten anerkennt. Er hatte in Kiew nämlich zunächst einen Vorbereitungskurs besucht, um Ukrainisch zu lernen.

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Viele befinden sich in einer Art "rechtlichem Limbo"

Rechtsanwalt Alexander Gorski kennt viele solcher Fälle. In seiner kostenlosen Rechtsberatung hat er schon 200 bis 300 Menschen beraten, die eine ähnliche Geschichte haben wie Adebayo K. Ihre Gemeinsamkeit ist, dass sie keinen ukrainischen Pass besitzen, also Drittstaatenangehörige sind. Die meisten von ihnen kämen aus afrikanischen und asiatischen Ländern, sagt Gorski. Seine Mandanten seien inzwischen sehr verunsichert. "Sie befinden sich in einer Art rechtlichem Limbo. Sie wissen nicht, wie es weitergeht und ob sie ihre Pläne, die sie eigentlich für ihr Leben in der Ukraine hatten, hier in Deutschland weiterführen können." In ihrem Herkunftsland, in K.s Fall also Nigeria, sei das in der Regel nicht möglich.

Anders als ukrainische Staatsangehörige werden nur wenige Drittstaatenangehörige als Kriegsgeflüchtete anerkannt. Sie müssen dafür entweder ukrainische Familienangehörige haben, eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für die Ukraine besitzen, dort als Flüchtling anerkannt sein - oder Deutschland erkennt an, dass ihr Herkunftsland nicht dauerhaft sicher ist.

Stundenlanges Warten in separater Schlange

Wie die Behörden mit Drittstaatenangehörigen umgehen, sei keineswegs selbstverständlich und oft beobachte er einen anderen Umgang mit ihnen als mit ukrainischen Kriegsflüchtlingen etwa, sagt Rechtsanwalt Gorski. Diese Erfahrung hat auch Adebayo K. gemacht. Er schildert, wie ihm auf seiner Flucht in der Ukraine kein Bahnticket verkauft worden sei - anderen hingegen schon. Er habe stundenlang in einer separaten Schlange an der ukrainischen Grenze in Richtung Polen in der Kälte warten müssen.

Ukrainerinnen und Ukrainer, die in der anderen Schlange standen, gingen derweil einfach über die Grenze. Als er selbst in Polen ankam, habe er wieder viel Ablehnung erfahren. Nach anfänglicher Freude darüber, in Deutschland angekommen zu sein, fühlt er sich hier mittlerweile auch nicht mehr fair behandelt: "Es gibt so eine Art Erste-Klasse-Flüchtlinge und wir sind die zweite Klasse. Darunter leiden wir sehr." Wie sehr ihm die Lage zusetzt, sieht man ihm an. Er wirkt nervös, knetet immer wieder seine Hände während des Gesprächs. Dass die Nervosität in den kommenden Monaten abnimmt, ist unwahrscheinlich.

Lächeln und weitermachen - die einzige Perspektive für den Moment

Wenn Adebayo also nicht als Student anerkannt wird, dann gilt für ihn die Berliner Übergangsregelung, nach der er zumindest sechs Monate bleiben könnte, nicht und dann müsste er raus aus Deutschland.

Zurück nach Lagos in Nigeria will Adebayo aber auf keinen Fall. Das Land sei nicht sicher, sagt er und erzählt, wie er auf dem Weg zur Uni dort mit einer Pistole an der Schläfe überfallen wurde. Deswegen war er weggegangen. Jetzt beschäftigen ihn seine Erlebnisse in der Ukraine noch viel mehr, manchmal habe er in der Öffentlichkeit Herzrasen, sagt er. Mit diesen Erfahrungen und den Angstzuständen jetzt nach Nigeria zurückzumüssen, würde alles nur noch schlimmer. Sein Studium könne er dort auch nicht fortsetzen.

Deswegen bewirbt er sich hier an den Unis. Seinen nigerianischen Schulabschluss hat aber bislang keine Stelle anerkannt. Trotzdem macht er weiter, weil er es so von seinen Eltern gelernt hat, sagt er und lächelt vorsichtig. Er lernt er nun Deutsch in einem Kurs mit anderen ukrainischen Geflüchteten. Er zahlt dafür. Die anderen nicht.

*Name von der Redaktion geändert

Sendung: rbb24 Inforadio, 02.09.2022, 7:50 Uhr

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Beitrag von Dörthe Nath

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