rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik
Video: rbb24 Abendschau | 16.10.2022 | H. Trzeczak / Ph. Höppner | Quelle: dpa/Annette Riedl

Gasag, Fernwärme und 29-Euro-Ticket

Berliner SPD-Fraktion setzt auf Dreifach-Wumms in der Krise

Gerade erst haben Bund und Länder Entlastungspakete in Rekordhöhe geschnürt. Die Berliner SPD-Fraktion legt nun nach: Sie will die Fernwärme und die Gasag verstaatlichen und das 29-Euro-Ticket dauerhaft verlängern. Obendrauf soll der Schulbau neuen Schub bekommen. Von Jan Menzel

Mit gigantischen Hilfspaketen haben die Berliner Parlamentarier inzwischen einige Erfahrungen. Schon in der Corona-Pandemie wurden Milliarden bewegt, um Haushalte und Unternehmen zu unterstützen. Die Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat die Dimensionen noch einmal verschoben. Doch aus Sicht der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus reicht das, was Bund und Land bislang tun, nicht aus.

“Wir beschließen auf unserer Klausur die nächsten Schritte zur Entlastung der Berlinerinnen und Berliner und zur Bewältigung der Krise”, kündigt der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh an. Er und die Mitglieder seiner Fraktion treffen sich an diesem Wochenende im brandenburgischen Nauen um eben diese Schritte zu beraten. Im Klausur-Gepäck haben die Parlamentarier dabei auch einige Sorgen und Befürchtungen.

Viele Bürgerinnen und Bürger würden ihm im direkten Gespräch sagen, dass sie Angst vor dem Winter und den Kosten für Strom und Gas hätten, berichtet Saleh. Der jüngste Wahlerfolg der AfD in Niedersachsen und der Umfrage-Höhenflug der Rechtspopulisten in Brandenburg stimmen den Sozialdemokraten zusätzlich nachdenklich. Zumal in Berlin die Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl und damit auch ein Wahlkampf ansteht. "Wir wollen keine Spaltung der Gesellschaft. Wir müssen alles tun, damit es nicht dazu kommt", begründet er, warum die SPD weitere politische Maßnahmen für erforderlich hält.

Ticketpreise im Nahverkehr sollen dauerhaft senken

Konkret will die größte der drei Regierungsfraktionen erreichen, dass das 29-Euro-Ticket in die Verlängerung geht. Bislang hatte der Senat das günstige Angebot nur befristet bis Jahresende auf den Weg gebracht. Das 29-Euro-Ticket gilt allerdings nur im Tarifbereich AB. Zwischenzeitlich einigten sich die Verkehrsminister von Bund und Ländern im Prinzip auf ein 49-Euro-Ticket für den Nahverkehr, das sogar bundesweit gültig sein soll.

Saleh und die SPD finden das aber als Entlastung nicht ausreichend. Sie wollen, dass "Unser 29-Euro-Ticket bleibt" - wie es in einem Parlamentsantrag heißt. Auch die Preise für Senioren- und Sozialfahrkarten sollen dauerhaft gesenkt werden. Das kostenfreie Berliner Schülerticket bleibe selbstverständlich erhalten, betonen die Sozialdemokarten. Kalkuliert wird dafür mit 200 Millionen Euro im Jahr. Das Geld sei jedenfalls nicht das Problem, heißt es aus der Fraktion. Falls notwendig könnte das 29-Euro-Ticket auch über den Nachtragshaushalt, den der Senat gerade erarbeitet, finanziert werden.

Plan für den Rückkauf von Gasag und Fernwärme

Noch weitreichender, weil strukturell wirksam, ist der Vorstoß zur Re-Kommunalisierung der Gasag und der Fernwärme. Kraftwerke und Fernwärmenetz in Berlin sind noch im Besitz des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall. Die Schweden hatten vor einiger Zeit Verkaufsabsichten erkennen lassen. Insbesondere Wirtschaftssenator Stephan Schwarz hat in den vergangenen Monaten vertraulich sondiert. Nun ist der von der Berliner SPD seit langem verfolgte Rückkauf in greifbarer Nähe.

Auch wenn die Modalitäten noch nicht ausverhandelt sind, deutet sich erstmals ein Weg an, wie die Energieversorgung verstaatlicht werden könnte. Das Land würde nach den Vorstellungen der SPD-Fraktion die Fernwärme-Versorgung mit allem Drum und Dran komplett von Vattenfall übernehmen. Nach diesem Plan würde Berlin auch bei der Gasag einsteigen, aber wohl nur mit einer Mehrheitsbeteiligung. Die anderen privaten Eigentümer Engie und Eon blieben bei dieser Konstruktion an Bord.

Zeitfenster für Rekommunalisierung

SPD-Fraktionschef Raed Saleh sieht sogar eine historische Gelegenheit: "Es wäre falsch, die Hände in den Schoß zu legen. Wir müssen jetzt Verantwortung übernehmen". Berlin könnte mit einer Übernahme des Energiesektors wesentlich besser die Energiewende vorantreiben, sagt er und wiederholt damit, was die Überzeugung von SPD und Linken ist. Die Grünen sind traditionell skeptischer, was die Übernahme von Unternehmen betrifft, die auf Basis fossiler und damit schmutziger Energieträger Strom und Wärme erzeugen.

Den Befürwortern der Rekommunalisierung im Senat und in den Fraktionen spielt bei ihren Überlegungen ein bestimmtes Datum in die Hände: Bis zum 30. November kann der Senat sein Sonderkündigungsrecht für die Gaskonzession der Gasag geltend machen. Das würde automatisch ein langwieriges Verfahren und womöglich juristische Konflikte nach sich ziehen. Daran können die privaten Eigentümer kaum ein Interesse haben, was den Druck erhöhen dürfte, sich zu einigen.

SPD verspricht keine sinkenden Preise

Ob das unmittelbare Vorteile für die Kunden hätte - immerhin hängen Dreiviertel aller Haushalte am Fernwärme- und am Gasnetz - ist unklar. "Was die Preise betrifft, machen wir keine Versprechen", sagt SPD-Fraktionschef Raed Saleh. Er verweist aber gleichzeitig auf das Beispiel der rekommunalisierten Wasserbetriebe. Dort seien die Preise nach dem Rückkauf mehrfach zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher gesenkt worden. Wobei klar ist, dass Wasser anders als Gas, Kohle und Öl nicht zu Weltmarktpreisen beschafft werden muss.

Bei konkreten Summen zum Kaufpreis von Gasag-Anteilen sowie der Fernwärme, hüllen sich Senat und Fraktionen in Schweigen. Für das Stromnetz hat Berlin Vattenfall seinerzeit 2,1 Milliarden Euro überwiesen. Die Fernwärme wäre aber deutlich teurer, hieß es damals. Möglicherweise haben sich die Bewertungsparameter in der aktuellen Energiekrise aber auch verschoben: Konventionelle Kraftwerke und alte Gasleitungen dürften eher an Wert verloren haben.

Schulausbau in Berlin

Bezirke rechnen mit Tausenden Schulplätzen weniger als geplant

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen in Berlin wächst, das Land braucht dringend Schulplätze. Doch nun sollen geplante Schulbaumaßnahmen verschoben werden. Allein in Mitte könnten deshalb mehr als 1.000 Plätze wegfallen. Von Kirsten Buchmann

Dauerbaustelle Schule

Die dritte Offensive, die die Sozialdemokraten angesichts von Krise und heraufziehendem Wahlkampf starten wollen, betrifft den Schulbau. Hier sind zwar die Mittel für Neubau und Sanierung in den vergangenen Jahren kontinuierlich auf zuletzt rund 650 Millionen Euro im Jahr 2021 hochgefahren worden. Allerdings schaffen es Senat und Bezirke Jahr für Jahr nicht, alle Gelder zu verbauen, die zur Verfügung stehen.

Aus diesem Grund hat die Koalition bereits die Wohnungsbaugesellschaft Howoge verpflichtet, in den Schulneubau einzusteigen. Nun soll mit der Berlinovo ein zweites Wohnungsunternehmen des Landes ins Rennen geschickt werden. Die Berlinovo war einst aus dem Berliner Bankenskandal hervorgegangen und ist seitdem zu einer Ertragsperle geworden. Sie soll ähnlich wie die Howoge mit ihrer Bauexpertise und ihrer Finanzkraft helfen.

"Wir erfinden an dieser Stelle das Rad nicht neu", betont SPD-Fraktionschef Raed Saleh. Die Berlinovo soll so wie die Howoge, über Kredite Bau- und Sanierungsvorhaben stemmen. Als "seriös" schätzten Haushaltspolitiker der SPD es ein, dass die Berlinovo im Jahr bis zu 250 Millionen Euro für den Schulbau mobilisieren könnte.

Im Zeichen des Wahlkampfs

Innerhalb der rot-grün-roten Koalition dürfte sich wohl niemand diesem Plan verwehren, so das Kalkül führender Sozialdemokraten. Zumal die jüngste Bevölkerungsprognose von einem Zuwachs von 200 000 Menschen in den kommenden Jahren ausgeht, darunter viele Kinder und Jugendliche. Der Bedarf an Schulplätzen steigt also erwartbar. Bei der Verlängerung des 29-Euro-Tickets als auch beim Rückkauf der Gas- und Wärmenetze dürfte es dagegen durchaus Diskussionen unter den Koalitionspartnern geben.

Nicht zuletzt weil sich Grüne und Linke einmal mehr von der SPD überfahren fühlen werden. Für erhöhte Sensibilität sorgt zudem, dass sich alle Parteien auf einen harten und kurzen Winterwahlkampf unter unklaren Bedingungen vorbereiten. Die SPD hat mit ihren Klausurbeschlüssen vorgelegt. “Wir können nicht zaubern”, sagt SPD-Fraktionschef Raed Saleh, “aber wir tun das Mögliche.”

Sendung: rbb|24 Inforadio, 15.10.2022, 18:00 Uhr

Artikel im mobilen Angebot lesen