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Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 12.03.2023 | N.Nowak und K. Neumann | Quelle: dpa/Arno Burgi

Umstrittene CCS-Technologie

Brandenburger Koalition führt neue Debatte über CO2 im Untergrund

Bundeswirtschaftsminister Habeck will die unterirdische CO2-Speicherung auch in Deutschland ermöglichen. Das heizt auch in Brandenburg die Debatte um die so genannte CCS-Technologie neu an. Durch die Landesregierung geht ein Riss. Von Katrin Neumann und Michael Schon

Katrin Mußhoff steht auf einem Acker im Havelland. Der Boden unter ihren Füßen ist aufgeweicht, seit Tagen regnet es. Ein wintergrauer Märzmorgen wie überall in Brandenburg, mit einem gewichtigen Unterschied: Unter ihren Füßen lagern fast 70.000 Tonnen Kohlenstoffdioxid, etwa so viel wie 25.000 Autos im Jahr ausstoßen. Und das macht den Acker bei Ketzin dann doch ein wenig außergewöhnlich.

Von 2008 bis 2013 hat das Geoforschungszentrum Potsdam hier versuchsweise CO2 in die Erde gepumpt, mehr als 600 Meter tief. Dort ist es bis heute. "Wie man sieht, hat sich augenscheinlich nichts geändert", sagt Mußhoff. Sie ist die Bürgermeisterin von Ketzin. Die SPD-Politikerin ist überzeugt: "Umwelt und Natur sind unbeschadet davongekommen, und der Mensch auch." So viel Gelassenheit bringt nicht jeder für das Thema auf.

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Erfolgreicher Protest in Beeskow

CCS (Carbon Capture and Storage, also Kohlenstoff-Abscheidung und -speicherung) – diese drei Buchstaben lösen zuweilen noch immer starke allergische Reaktionen aus. In Beeskow, etwa zwei Stunden Autofahrt von Ketzin entfernt, gibt es kein CO2 im Boden. Dafür gibt es gelbe Kreuze am Straßenrand und Schilder mit der Aufschrift "Seismologische Untersuchungen untersagt. Der Grundstückseigentümer." Beeskow war vor mehr als zehn Jahren als Standort im Gespräch, an dem die CO2-Speicherung in größerem Maßstab ausprobiert werden sollte. Die Proteste dagegen waren damals heftig.

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Die Angst ist noch da

Die Pläne sind längst vom Tisch. Die Ängste der Beeskower aber sind nach wie vor da. "Irgendwann kommt das sowieso wieder hoch. Es braucht doch bloß mal kurz jemand anzubohren", sagt zum Beispiel Udo Sigmund, den wir auf dem Marktplatz treffen. Damit dürfte er hier vielen aus der Seele sprechen. Volker Richter, ebenfalls Beeskower, sagt: "Die Menschen haben natürlich Angst. Es gehört eine vernünftige Kommunikation der Politik dazu zu erklären, ob es was nutzt, ob es gut ist."

Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat entschieden, dieser Politiker nicht zu sein: "Eine Verpressung in Brandenburg kommt nicht infrage", sagt er. Angesichts der Proteste vor zehn Jahren dürfte er zur Erkenntnis gekommen sein, dass CCS in Brandenburg kein Gewinnerthema ist. Allenfalls mit der Nutzung von CO2, das in industriellen Prozessen abgeschieden wird, kann er sich anfreunden. Beispielsweise in der Papier- oder Zementindustrie entsteht zwangsläufig CO2, das sich nicht vermeiden lässt. "Wir sind bereit, diese Diskussion zu führen", sagt Woidke.

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Abgeschiedenes CO2 nutzen? Michael Kühn vom Geoforschungszentrum Potsdam ist da skeptisch. Man könne es zwar beispielsweise in Kunststoffen verarbeiten, erläutert er, "die Mengen, die man dann nutzt, sind aber so gering, dass sie keinen Einfluss haben auf die Menge CO2, die wir ausstoßen."

Der Professor ist Verfechter der CCS-Technologie. Er hat das Projekt in Ketzin betreut. Das Ergebnis seiner Forschung: Man müsse sich keine Sorgen wegen CCS machen. Das Verfahren sei erwiesenermaßen sicher. Das in Ketzin gelagerte CO2 hat sich hauptsächlich in Wasser gelöst, ein Teil hat sich mit dem Gestein in Kalk umgewandelt, ein weiterer hängt gasförmig im Boden unter einer Deckschicht. Kühn verweist darauf, dass in Deutschland bereits seit Jahrzehnten Gas unterirdisch gespeichert werde.

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Redmann: CCS unumgänglich

Von der Sicherheit der Technologie ist auch Jan Redmann, CDU-Fraktionschef im Landtag, überzeugt. Er möchte seine Partei nächstes Jahr als Spitzenkandidat in die Landtagswahl führen und hält das Thema, anders als Woidke, offenbar für wahlkampftauglich. Sein Vorschlag: In Schwedt solle Erdgas in Wasserstoff und CO2 aufgespalten und das CO2 dann per Pipeline zum Verpressen nach Norden transportiert werden. Dänemark und Norwegen seien offen für CCS.

Wasserstoff aus herkömmlichem Erdgas zu produzieren, ist aus Redmanns Sicht unumgänglich: Allein mit erneuerbaren Energien könne "nicht im Entferntesten ausreichend Wasserstoff produziert" werden, der in Zukunft zur klimaneutralen Industrieproduktion gebraucht werde. Er sieht Brandenburg in einem Wettlauf mit westdeutschen Bundesländern, die bereits in den nächsten Jahren CO2-Pipelines zur Nordsee planten. Brandenburg drohe ein Standortnachteil, wenn die Diskussion um CCS nicht jetzt geführt würde, so Redmann.

Ob Ministerpräsident Woidke in diese Debatte einsteigt, ist allerdings fraglich: "Ich glaube, wir sollten unsere Probleme grundsätzlich nicht zu Lasten von anderen lösen", sagt Woidke. "Abfälle nach Afrika zu exportieren oder CO2 über Pipelines in die Nordsee" könne nicht der Weg für Brandenburg sein.

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Grüne sehen Technologie kritisch

Auch die Grünen in Brandenburg stehen CCS kritisch gegenüber. Für die Abscheidung von CO2 bei fossilen Kraftwerken lehnen sie die Technologie ab. Ebenso eine Speicherung in der Mark. Für die Kompensation von technisch nicht vermeidbaren Treibhausgasemissionen habe es Vorrang, sie in natürlichen Ökosystemen wie Mooren und Wäldern zu binden, sagt die Grünen-Landeschefin Alexandra Pichl.

Sollte das nicht ausreichen, lassen sich die Grünen ein CCS-Hintertürchen offen. Der Spalt ist aber noch recht klein: "Bevor allerdings Infrastrukturfragen wie Pipelines geklärt werden können, muss eine ausreichende fachliche Grundlage über die anfallenden CO2-Mengen und Bedarfe bestehen", sagt Pichl.

So oder so: Selbst für Geowissenschaftler Kühne ist CCS allenfalls eine Übergangstechnologie. "Der Raum, der uns unter der Erde zur Verfügung steht, ist endlich", sagt er: "Wenn wir wirklich CO2 loswerden wollen, dann sollten wir weniger produzieren."


Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 13.03.2023, 19:30 Uhr

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