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Proteste in Frankreich

Paris brennt - und Berlin sorgt sich um den Weg zur Arbeit

Über eine Million Menschen demonstrieren in Frankreich gegen die geplante Rentenreform. Was die französische Protestbewegung von Demos in Deutschland unterscheidet: ein Erfahrungsbericht. Von Nils Hagemann

Im 10. Bezirk in Paris, am Porte Saint-Denis, brennen Müllberge. Es knistert, dann wummert es. Irgendetwas in dem Haufen muss explodiert sein. Dunkler Rauch wabert an den Fassaden entlang. Wegen des Protests gegen die Rentenreform streikt auch die Pariser Müllabfuhr. Seit Wochen wachsen die Müllberge auf den Straßen. Jetzt brennen sie. An den lodernden Flammen vorbei ziehen Demonstrierende. Sie brüllen: "Révolution! Révolution! Révolution!"

Warnstreiks am Montag

Hunderte Demonstranten unterstützen in Berlin Gewerkschaftsforderungen

Über eine Million Menschen

Ganz vorne hat der Protest etwas von 1. Mai am Kotti. Sie tragen schwarze Kleidung, manche von ihnen haben ein rotes A auf dem Rücken der Lederjacke. Wieder andere tragen Gasmaske, so als wollen sie gut vorbereitet sein auf das, was noch kommt. Weiter hinten fühlt es sich dann eher nach Großdemo zwischen Goldelse und Brandenburger Tor an. Da vorne läuft eine junge Familie mit Kindern, eine ältere Frau hat einen blauen Luftballon in der Hand, neben ihr läuft ein Mann im Anzug, sein Plakat zeigt Emmanuel Macron mit Hitlerbart.

Auch wenn es sich so anfühlen mag, eigentlich ist dieser Protest in Paris nicht vergleichbar mit dem in Berlin. Die reine Organisation, Wucht und Breite in Paris ist unfassbar. Landesweit zählt das französische Innenministerium am Abend über eine Million Demonstrierende. Der französische Gewerkschaftsbund "Confédération générale du travail" spricht alleine in Paris von rund 800.000.

Auch in Deutschland wird in diesen Tagen demonstriert. Tarifkonflikt. 5.000 Teilnehmende hat die Gewerkschaft Verdi für ihre Großdemonstration vor dem Brandenburger Tor angemeldet.

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Das Rathaus in Bordeaux brennt und Tankstellen geht das Benzin aus

Zurück in Paris, 9. Bezirk. Weiter hinten im Protestzug. Hier werfen sie keine Steine mehr und kokeln auch nicht an Müllbergen herum. Sie tragen rote, gelbe oder blaue Westen und bunte Schilder. "C'est pour vos enfants", steht auf einem. Also: "Es geht um Eure Kinder".

Zehn Fahrradminuten von hier, am Place de la Concorde, köpft die Guillotine der Revoluzzer vor 200 Jahren Marie Antoinette. Heute schiebt ein Franzose mitten im Protestzug einen kleinen Hotdogwagen vor sich her. Noch weiter hinten gibt es Crêpes. Sie sind gut vorbereitet, die Franzosen. Auf den kleinen Pariser Balkons stehen Anwohner und gucken oder klatschen.

Ganz Frankreich ist an diesem Tag im Ausnahmezustand. Später in dieser Nacht wird das Rathaus in Bordeaux brennen. Und nicht nur die Müllabfuhr streikt. Auch die Lehrer. Unterricht findet nicht statt, Chaos am Flughafen Charles des Gaulle, Tankstellen fehlt das Benzin. TGVs fallen aus. Die Metro kommt nur selten.

Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst

Warnstreiks bei Berliner Stadtreinigung und in Kliniken fortgesetzt

Berlin steht auch am Freitag im Zeichen von Arbeitsniederlegungen: Die am Donnerstag gestartete neue Warnstreikwelle im öffentlichen Dienst geht weiter, auch am Montag. Dann gesellt sich noch ein weiterer wesentlich größerer Streik hinzu.

Tränengas, Flaschen und Schlagstöcke

Deutschland. Wegen des Großstreiks im Verkehr fährt am Montag die Bahn nicht. In Berlin steht die S-Bahn still. Ein Nutzer kommentiert unter den Artikel bei rbb|24: "Quatsch! Völlig überzogene Forderungen". Ein anderer: "Es wird Zeit, dass auch hier wie in Großbritannien die Gewerkschaften eingeschränkt werden". Und wieder ein anderer "Null Verständnis. Der X. Streik in den letzten Jahren und viele werden nicht zur Arbeit kommen und Abmahnungen bekommen".

Während man sich in Berlin beschwert, dass man nicht zur Arbeit kommt, riecht es in Paris nach verbranntem Plastik. Tränengas liegt in der Luft. Ein vermummter Mann sprayt mit knallroter Farbe an eine Ladenfassade: "Der Hass der Bourgeoisie. Die Liebe der Revolte". Steine fliegen auf eine Filiale der Bank BNP Paribas.

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Die Demonstrierenden werfen mit Böllern

Die Polizei geht dazwischen. Flaschen sausen durch die Luft. Polizisten prügeln mit Schlagstöcken auf Demonstrierende ein. Steine treffen Polizeihelme. Eine junge Frau steht am Straßenrand neben einem der Müllberge. Blut läuft ihr über die Stirn. Sanitäter verarzten einen Polizisten.

Laut französischem Innenministerium werden an diesem Tag 440 Polizisten verletzt. 457 Demonstrierende festgenommen.

Der Protestzug endet am Place de l’Opéra. Die Polizei verbarrikadiert die Ausgänge des Platzes, die zum Élysée-Palast führen. Es ist dunkel geworden. Die mit den bunten Plakaten und bunten Westen sind schon längst zu Hause. Ein paar Male kommt es in dieser Nacht noch zu Gewalt zwischen Demonstrierenden und Polizei. Die Demonstrierenden werfen mit Böllern, die Polizei mit Tränengaskartuschen. Während Paris brennt, fährt die S-Bahn in Berlin ab Dienstag wieder nach Regelfahrplan.

Beitrag von Nils Hagemann

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