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Quelle: dpa/Jochen Tack

Interview | Berliner Mutter mit drei Kindern

"Für uns sind drei Stunden Schule eher ein Rückschritt"

Wenn am Montag die Schule für die Klassen 1 bis 3 wieder losgeht, wird die Situation für Anke Herbst aus Pankow nicht leichter. Sie ist im Home-Office und Mutter dreier Kinder, von denen zwei dann zu unterschiedlichen Zeiten geholt, gebracht und betreut werden müssen.

rbb|24: Frau Herbst, Sie leben in Berlin-Pankow und sind Mutter dreier Schulkinder. Mit diesen sind Sie und Ihr Mann – selbst im Home-Office - nun seit Wochen zu Hause im Home-Schooling. Wie alt sind Ihre Kinder und welche Aussichten auf Präsenzunterricht in der Schule haben sie in der näheren Zukunft?

Anke Herbst*: Meine Kinder sind sechs, neun und 14 Jahre alt. Sie besuchen die erste, dritte und achte Klasse. Ab nächster Woche werden die Erst- und die Drittklässlerin an ihre Schule zurückkehren. Und bei der Achtklässlerin habe ich echt den Überblick verloren. Ich glaube, da gibt es noch immer keine Zeitplanung.

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Ihre beiden Kleinen gehen aber Montag gemeinsam zur selben Zeit zur Schule?

Nein, leider nicht. Sie gehen genau versetzt zueinander in die Schule. Und auch das wechselt wöchentlich. Das heißt, die Jüngste beginnt diese Woche. Sie geht von 8 bis 10:35 Uhr. Um 10:35 Uhr beginnt dann der Zeitslot meiner mittleren Tochter. Sie ist dann gegen Mittag fertig. Und nächste Woche ist es dann genau umgekehrt.

Wir werden hier trotz Präsenzunterricht permanent mindestens ein Kind zu Hause haben, das wir betreuen. Dazu zähle ich die Große nicht, sie kommt einigermaßen selbständig zurecht. Während ihres Home-Schoolings können wir auch tatsächlich Home-Office machen.

Was uns besonders nervös macht ist, dass es neben dem Präsenzunterricht für die Grundschüler angeblich auch noch weiter Home-Schooling-Aufgaben geben soll. Das ist für uns eine wirklich höllische Kombination. Denn wenn die Kinder nach dem Präsenzunterricht nicht "frei" haben, haben wir Eltern auch danach noch den Druck, die Kinder dazu zu bringen, Aufgaben in größerem Stil zu erledigen.

Wie läuft das rein organisatorisch ab Montag - werden die Kinder zur Schule gebracht und geholt?

Eigentlich haben wir das große Glück, dass unsere kleineren Kinder seit kurzem in der Notbetreuung sind. Aber als ich sie dorthin gebracht habe, habe ich festgestellt, dass selbst Eltern von Viert- oder Fünftklässlern ihre Kinder derzeit wieder zur Schule begleiten. Ich ahne also schon, was da auf uns zukommt.

Obwohl unsere Kinder vor Corona sehr selbständig waren und seit der ersten Klasse allein zur Schule gegangen sind, denke ich, dass wir sie ab nächster Woche wieder hinbringen und abholen müssen. Denn die Motivation ist gerade – insbesondere wenn die große Schwester zuhause bleiben darf – nicht wirklich hoch. Da werden wir sie an die Hand nehmen, ihnen im Zweifelsfall sogar noch ein Schokobonbon für den Weg geben und hinbringen.

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Das heißt, Ihre Kinder freuen sich gar nicht, an die Schule zurückzukehren?

Das variiert nach Tagesform. Jetzt, wo es klar ist, dass das wirklich passieren wird, freuen sie sich schon langsam darauf. Aber sie wissen eben auch, dass damit wieder mehr Stress in ihr Leben einkehrt. Sie sehen es deshalb nicht nur vorbehaltlos positiv.

Ich glaube, sie finden das permanente Zuhausesein weniger anstrengend als wir Eltern. Obwohl sie natürlich traurig sind, dass sie ihre Freunde nicht ständig treffen können.

Aber im Januar, als es hieß, die Schulen werden wieder geöffnet, haben wir auch gemerkt, wie sehr die Kinder sich schon auf dieses ständige Hin- und Her eingestellt haben. Als mein Mann und ich am Abendbrottisch eröffneten, dass sie ab der kommenden Woche wieder in die Schule gehen würden, hat meine sechsjährige Tochter mich angeschaut und gesagt: "Warte es mal ab, Mama". Tja, eine von uns beiden hat Recht behalten. Ich war es nicht.

Wie wird das dann nächste Woche mit dem elterlichen Home-Office laufen? Ist da alles schon durchgeplant oder machen Sie das mit ihrem Mann auf Zuruf?

Wir starten traditionell mit dem Zuruf-Modell und da das im Regelfall nicht funktioniert, machen wir dann einen Plan. Für nächste Woche weiß ich es wirklich noch nicht.

Wir sind als Eltern gerade permanent zuhause und einer von uns "versteckt" sich in einem der Kinderzimmer und arbeitet. Der andere hat währenddessen die Verantwortung für die Kinder und versucht mit Home-Schooling, Betreuung, Einkaufen und Spielen die Stellung zu halten. Um, wenn eine Telefonkonferenz für die eigene Arbeit ansteht, auch einfach mal einen Film anzumachen.

Für die kommende Zeit überlege ich gerade, ob ich mir jede Woche einen Urlaubstag nehme bis Ostern, um den Druck für meine Arbeit ein bisschen rauszunehmen. Das ist zwar nicht der Sinn von Erholungsurlaub, aber ich habe das Gefühl, dass mich das mental ein bisschen entlasten könnte von dieser dauerhaften Doppelbelastung. Denn eigentlich muss ich – auch während ich Mathe mit der Drittklässlerin mache oder lesen übe mit der Erstklässlerin - immer noch auf 20 Mails antworten oder Anrufe annehmen.

Eltern, die diese Doppelbelastung thematisieren, wird derzeit oft vorgeworfen, sie seien nicht in der Lage ihre Kinder so zu erziehen, dass diese sich auch mal selbst beschäftigen können. Und das am besten sinnvoll und kreativ.

Lacht. Sinnvoll und kreativ würde ich insbesondere bei der Großen ausschließen. Wenn sie sich selbst beschäftigt, schaut sie gefühlt Youtube, sobald wir das Zimmer verlassen. Das können wir kaum noch kontrollieren, weil sie ja auch permanent am Computer sein muss für die Schule.

Aber natürlich spielen unsere Kinder auch alleine. Das Problem ist nur, dass man das nicht verlässlich einplanen kann. In dem Moment, wo ich das verlange, weil ich drei Stunden arbeiten muss, funktioniert das überhaupt nicht. Mich erinnert das an die Baby-Anfangszeit, wo man, sobald das Kind mal schläft, so schnell wie möglich duscht. So ist das auch jetzt. Sobald sich die beiden Kleinen in ihr Zimmer zurückziehen, muss ich das Zeitfenster nutzen und schnell alles abarbeiten, was geht. Dafür braucht man aber auch einen Job mit sehr großer Flexibilität. Wer beispielsweise ständig Kundenanrufe annehmen muss, kann das sicher nicht.

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Sind die drei Stunden Schule ab Montag denn da überhaupt trotzdem eine Entwicklung, die sie befürworten? Oder hätte man besser mit Video-Unterricht weitergemacht in Ihren Augen?

Bei uns ist eine etwas seltsame Situation entstanden jetzt: Wir hatten die Kinder lange, weil wir die Hilfe der Oma haben, nicht in der Notbetreuung. Obwohl wir beide im Home-Office sind. Das heißt, wir sind da eigentlich in einer wirklich luxuriösen Situation, obwohl wir drei Kinder haben. Trotzdem haben wir uns kürzlich entschieden, auf die Notbetreuung zu setzen statt auf die Oma. Insbesondere für die Aufgabenbetreuung im Home-Schooling. Denn das war ein permanenter Konfliktherd.

Seit letzter Woche gingen beide Grundschulkinder also täglich für vier Stunden in die Notbetreuung und haben ihre schulischen Aufgaben dort erledigt. Insofern sind für uns als Familie die drei Stunden Schule eher ein Rückschritt. Zumal die drei Stunden ja so liegen, dass immer eines der kleinen Kinder zuhause sein wird.

Ansonsten beneide ich jeden, der eine klare Meinung hat zum Thema Schulöffnungen. Mir geht es so, dass ich Pandemie-bedingte Schließungen eigentlich für richtig halte. Und gleichzeitig habe ich innerlich gejubelt, als es hieß, es ginge wieder los mit der Schule. Ich bin da ein bisschen schizophren. Einerseits brauche ich diese Entlastung und glaube, dass es für die Kinder unbedingt wichtig ist, wieder in die Schule zu gehen. Anderseits bezweifle ich, dass das schon der richtige Moment ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

* Der Name der Interviewpartnerin wurde von der Redaktion geändert

Sendung: Abendschau, 19.02.2021, 19:30 Uhr

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