Kommunalwahlen 2024 - Der Traum, auch auf dem Land gut angebunden zu sein

Sa 25.05.24 | 08:18 Uhr | Von Philipp Gerstner
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Protestierende in Dolgelin (Quelle:rbb)
Audio: Antenne Brandenburg | 15.05.2024 | Philipp Gerstner | Bild: rbb

Abgeschnitten auf dem Dorf, angebunden im Berliner Speckgürtel: In Märkisch-Oderland muss die Politik auf sehr verschiedene Realitäten reagieren. Vor den Kommunalwahlen macht ein Dorf auf seine schlechte Anbindung aufmerksam. Von Philipp Gerstner

Bei den Kommunalwahlen in Brandenburg werden Tausende zum größten Teil ehrenamtliche politische Posten verteilt. Doch wie funktioniert Kommunalpolitik überhaupt, was wird hier entschieden und welche Probleme gibt es? rbb|24 schaut sich in den Landkreisen und kreisfreien Städten um, welche Themen dort relevant sind.

Für viele Brandenburger spielt bei den kommenden Kommunalwahlen das Thema öffentlicher Nahverkehr eine große Rolle. Denn viele wollen oder müssen ohne Auto von einem Ort zum anderen kommen. Im Landkreis Märkisch-Oderland ist die Politik vor allem durch die unterschiedlichen Bedingungen schwer gefordert: Während im stadtnahen Raum sehr viele Pendler befördert werden müssen, kämpfen die Anwohner im ländlichen Raum darum, überhaupt eine günstige Zuganbindung zu bekommen.

Einer von diesen schlecht angebundenen Orten ist Dolgelin, keine 20 Kilometer von der deutsch-polnischen Grenze entfernt. Einmal pro Stunde fährt ein Regionalzug der Bahnlinie RB60 (Frankfurt (Oder) – Eberswalde) durch das 450-Seelen-Dorf. Doch einsteigen dürfen die Dolgeliner nicht. Der Zug hält seit Anfang der 1990er Jahre dort nicht an.

Der Bus hält selten im Dorf

An einem Frühlingstag steht mehr als ein Dutzend der Dolgeliner am verwaisten Bahnsteig und protestiert für eine bessere Anbindung. "Wir sind Rentner und wenn wir nicht mehr Auto fahren können, zu Ärzten oder zum Einkaufen, müssen wir immer irgendjemandem aus dem Dorf fragen, ob sie uns mitnehmen", erzählt Birgit Gattner. Die Dolgelinerin hat keinen Führerschein, wie sie sagt. "Für mich ist es ein großes Problem."

Wer von dem Dorf ins fünf Kilometer entfernte Seelow oder nach Frankfurt (Oder) möchte, kann theoretisch auch den Bus nehmen. Er hält im Ortskern - allerdings nur sehr unregelmäßig und am Wochenende nur vier Mal am Tag. Für viele Anwohner ist das keine Option: "Der fährt über x Orte und ist ewig lang unterwegs", beschwert sich Joachim Pagel, "man kann das Oderbruch und alles kennenlernen, aber man ist nicht schnell da."

Es ist eine Frage des Geldes

Der Kreistag von Märkisch-Oderland hat erst im April einen neuen Nahverkehrsplan beschlossen, um die Buslinien an die Bedürfnisse der Fahrgäste anzupassen. Ab 2027 möchte der Landkreis in vier Regionen Rufbusse einsetzen, die bei Bedarf 90 Minuten vor der Fahrt bestellt werden können. So solle die Mobilität im ländlichen Raum zumindest etwas verbessert werden, heißt es aus der Kreisverwaltung.

Über den Nahverkehr entscheidet der Wirtschaftsausschuss des Kreistages mit. Sein Leiter, Mario Eska (Linke), zeigt sich mit der aktuellen Situation unzufrieden. Es habe zwar eine große Beteiligung von "wirklich qualifizierten" Mitbürgern bei den Ausschusssitzungen gegeben, so Eska. "Letztendlich konnten wir kaum zur Zufriedenheit des öffentlichen Nahverkehrs beitragen, weil es eindeutig eine Finanzierungssache ist." Bund und Land müssten den Kommunen mehr Geld geben, damit die sich den Nahverkehr leisten können.

Bus in Märkisch-OderlandBus in Märkisch-Oderland. Bild: rbb

Frank Schütz (CDU) sitzt ebenfalls im Wirtschaftsausschuss und sagt, der Nahverkehr "ist besser als sein Ruf". Künftig werde die Fahrleistung - also die Kilometer, die Busse und Züge insgesamt fahren - um etwa acht Prozent steigen, so Schütz. Beispielsweise werde die Ostbahn ab dem Fahrplanwechsel im Dezember von Berlin bis Müncheberg im Halbstundentakt fahren. Der CDU-Politiker fordert zudem den zweigleisigen Ausbau und die Elektrifizierung der Strecke. Der Anstieg des Angebots im Nahverkehr werde sich im Haushalt bemerkbar machen. So benötige der Kreis in diesem Jahr 6,25 Millionen Euro mehr für diesen Posten als noch vor fünf Jahren.

Auch die SPD setzt in ihrem Wahlprogramm auf den Ausbau der Ostbahn und auf eine Taktverdichtung der S-Bahn-Linie 5, die bis nach Strausberg-Nord fährt. Außerdem möchten die Sozialdemokraten Carsharing-Angebote im S5-Bereich schaffen und nennt sie die "dritte Säule" des ÖPNV. Die FDP macht sich in ihrem Wahlprogramm vor allem für den Schülerverkehr stark und fordert eine Taktverdichtung in den Morgen- und Nachmittagsstunden.

Die Grünen fordern in ihrem Programm den Ausbau des Schienennetzes und Buslinien, die auch Orte außerhalb des Landkreises anschließen. Außerdem fehle es an Angeboten an Bahnhöfen und Busstationen, um die "letzte Meile" zu überbrücken, zum Beispiel mit Hilfe von Leihfahrrädern oder Carsharing-Angeboten. Die AfD will die Taktung der Bahnlinie RB26 (Berlin-Ostkreuz – Kostrzyn) verbessern und fordert personelle Konsequenzen beim Verkehrsministerium und beim Betreiber, der Niederbarnimer Eisenbahn (NEB), wegen der Pannen der vergangenen Monate. Die Partei setzt sich auch für Rufbusse ein. BVB/Freie Wähler fordern grundsätzlich, dass Busse und Bahnen täglich von vier Uhr früh bis Mitternacht im sogenannten Taktverkehr verkehren.

Im Speckgürtel ist die Lage deutlich besser

Deutlich besser als in Dolgelin ist die Lage derweil im Berliner Umland. Dort kämpft der Landkreis mit anderen Herausforderungen. So kommt alle zehn Minuten in Hoppegarten eine S-Bahn aus Berlin an und von dort aus müssen die vielen Pendler in die umliegenden Orte gebracht werden.

Die Verbindungen scheinen aktuell gut zu funktionieren, wie Anwohner berichten. "Es hat sich vor ein paar Jahren verbessert, dass viel mehr Züge eine Busanbindung haben", sagt Jürgen Hahn aus Neuenhagen. Das spreche sich langsam herum, die Busse würden immer voller, so Hahn. "Ich bin gar nicht so unzufrieden."

Auch in Dolgelin wünschen sich die Anwohner eine schnelle Lösung für ihr Mobilitätsproblem und fordern einen Bedarfshalt für ihr Dorf. Bereits vor zweieinhalb Jahren gab es eine Potenzialanalyse der Landesregierung für 34 stillgelegte Zughalte. Reaktiviert wurden aber nur einige Halte im Speckgürtel, wo eben viele Menschen leben und pendeln.

In Dolgelin werden die Züge in den kommenden Jahren wohl weiter nur durchfahren.

Sendung: Antenne Brandenburg, 15.05.2024, 15:40 Uhr

Beitrag von Philipp Gerstner

45 Kommentare

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  1. 45.

    Es stimmt sehr traurig, wie mit den armen bewphnern in MOL umgegangen wird, als wären die weniger Wert als wir Berliner. Das ist eine Ungerechtigkeit, die zum Himmel stinkt!

  2. 44.

    Bedarfshalt zum Halten bitte Haltewunsch-taste drücken. Ganz einfach. Nur halten, wenn jemand ein Oder aussteigen will. Wird in anderen Orten zum Beispiel an der rb11 in mv auch seit Jahren praktiziert.

  3. 43.

    Aber offensichtlich zahlen Sie noch nicht genug. Neben der Infrastruktur müssen ja auch die schädlichen Umwelteinflüsse des motorisierten Individualverkehrs ausgeglichen werden.

  4. 42.

    Immer dieses Schwarz-Weiß denken. Man kann doch durchaus ein Auto besitzen und trotzdem immer öfter mal den ÖPNV oder das Fahrrad benutzen.

  5. 41.

    "Die Steuerung der Geldflüsse begünstigt derzeit Aktieninhaber der Automobilkonzerne. "

    You made my day. :-)))))

  6. 40.

    Mit effektiver Parkraumbewirtschaftung kann das Problem der fehlendes Finanzgrundlage im ÖPNV gelöst werden. Wahlweise lassen sich Subventionen streichen um gegenzufinanzieren.
    Das Geld ist massig da. Es wird eben nicht sinnvoll eingesetzt. Die Steuerung der Geldflüsse begünstigt derzeit Aktieninhaber der Automobilkonzerne.
    Es wird jetzt darum gehen, die Studien Mobilität sehr genau anzuschauen. Wir müssen herausfinden, welche Form der Mobilität die Sinnvollere ist; automatisiertes Fahren besitzerloser Fahrzeuge oder klassisches ÖPNV oder eine Mischung aus Beidem. Der individualisierte Verkehr wird kaum mehr machbar sein. Da sind sich alle Studien einig.

  7. 39.

    Dann wird diese Entscheidung im Zukunft aber hoffentlich bitte mit realistisch ausgestalteten Kostensätzen etwas näher an der Wirklichkeit getroffen.

  8. 38.

    Mäuschen Kröte und Mäuschen Marina sollten sich mal einigen: entweder ÖVP oder alle haben Auto ! Oder geht beides bei den vielen Steuereinnahmen ! Einfach Antrag Stellen und Finanzierung einreichen, da ja da scheinbar genug Steuereinnahmen sprudeln !

  9. 37.

    Jetzt wird's schwierig: Alle ein Auto und ÖVP wie 1970 ? Gab es ja nicht mal früher !
    Klar, kann man alles auf einmal haben, vielleicht noch nen Direktflufverbindung nach Moskau für die AFDler - "Bargeld ist Freiheit" ! In Grünheide konnte sich die AFD auch nicht entscheiden ob für oder gegen den Bau und Ausbau von Tesla zu sein. Abwarten half nicht, irgendwann waren (nachdem sich Befürworter und Gegner gefunden hatten) die dann gegen ...... egal was ....und versuchen sich ranzukommen hängen.

  10. 36.

    Hoppegarten ? Hinter wo ? Ach ja, Kagel ......

    "das Menschen älter werden und mit jedem Neubau auch weiter Jung und Alt hierher ziehen. Wohl vergessen oder wenig interessiert????"

    Und warum genau sollte man dort in ein Neubau einziehen ? Als Alter Mensch, wenn Sie schon schreiben, daß da alle älter werden und als junger Mensch, wenn Sie schreiben da werden alle nur älter ?
    Erklären Sie es noch mal, ich komm nicht drauf ! Was ist mit den Söhnen und Töchtern ?
    Aber, vielleicht hatten Sie einen Vorschlag oder die Gemeinde ?

  11. 35.

    Hallo? Gehts noch? Vielleicht haben manche kein Auto aufm Land? Du bist aber hartherzig, denk mal nach.

  12. 34.

    Jeden den ich kenne, entscheidet das für sich selber.

    Tut mir leid für Sie, daß Sie das für sich fordern müssen. Na dann , ab zum Ehemann und einfordern !

  13. 33.

    Ich lebe auf dem Land, habe kein Auto und lebe auch. Ich lebe sogar sehr gut. Ich gönne mir den Luxus, bei mir selbst zu sein. Ich muss nirgendwo mehr hin, hier gibt es Lieferdienste für Lebensmittel und online geht auch vieles, nun soll ja für chronisch Kranke der Arztbesuch für das Nachbestellen von Medikamenten auch wegfallen, finde ich super. Meine Kinder haben auch kein Auto, wohnen auch in einer Kleinstadt und ja, sie leben auch und das sehr gut, obwohl arbeitstechnisch stark eingebunden. Mir fehlt nichts. Ich muss ab und zu zu Ärzten, da fährt ein Bus und auch die Bahn oder jemand nimmt mich mit. Vor Ort haben wir allerdings mittlerweile fast alle Fachärzte, die für meine Situation wichtig sind.

    Ganz ehrlich, ich kann dieses Gedöns aus der DDR nicht mehr hören. Wir leben hier und jetzt und das ist unser Leben, nichts bleibt wie es früher war. Oder haben wir in der DDR auch nur vom Kaiserreich gesprochen? Furchtbar diese Ostalgie der Verklärung.

  14. 32.

    Genau meine Meinung, wie soll es zur jetzigen Zeit auch anders gehen

  15. 31.

    Die Grünen fordern in ihrem Programm den Ausbau des Schienennetzes und Buslinien, die auch Orte außerhalb des Landkreises anschließen. Und wer soll diese Träumerei bezahlen?

  16. 30.

    Auf dem Dorf hat doch jeder ein Auto. Für eine Anbindung von jedem kleinen Dorf müsste die Gemeinschaft der Nutzer allenfalls den wirklichen Preis für Anschaffung und Betrieb zahlen. Ich vermute Fahrgemeinschaften sind günstiger auf dem Dorf realisierbar. Schluss mit der Träumerei, aber ein flächendeckendes ÖPNV-Netz kann die Allgemeinheit nicht bezahlen. Hier ist Eigeninitiative der Menschen vor Ort dringend gefragt.

  17. 29.

    Das fürchte ich auch. Wird doch schon erklärt, wie nahe das Bahnsystem fast am Zusammenbruch steht, wenn ein Zug zwei Minuten später ankommt. Insofern steht es beim Zustieg einer 30-köpfigen Rentnergruppe garnicht mehr auf.

    ;-

  18. 28.

    Ja und, warum die Häme? Die Gründe, WARUM das Schienennetz der DDR fundamental besser ausgebaut war + funktionierte, ändern doch nichts am historischen Befund, also an diesem Fakt. (Während die BRD eben die Straße - einschließlich Güterverkehr - ZULASTEN der Schiene förderte.).

  19. 27.

    Fangt endlich mit Werneuchen-Wriezen an, Brandenburg hat genug Kohle aus den Steuereinnahmen der Berlin-Pendler. Aber lieber blockiert man Jahrzehnte die S-Bahn nach Falkensee und den zweigleisigem Ausbau der bestehenden S-Bahnstrecken.

  20. 26.

    Im ländlichen Bereich ist und bleibt ein individuelles Automobil für viele Menschen unerlässlich. Alles andere ist völlig unrealistisch. 365 Tage 24 Stunden lang alle 30 Minuten ein öffentliches Verkehrsmittel in jeden Winkel des Landes ist unfinanzierbar. Dafür gibt es zudem kein Personal. Jeder Mensch entscheidet selbst ob er ein Auto oder Motorrad braucht und wann und wie oft er es benutzen möchte.

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