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Audio: rbb24 Inforadio | 19.08.2022 | Jakob Rüger | Quelle: imago images/TEAM 2

Analyse | Herthas knappe Niederlage in Gladbach

Ein Wettrennen gegen sich selbst

Hertha BSC schafft es in der neuen Saison noch nicht, sich für gute Leistungen zu belohnen. Bei der 0:1-Niederlage gegen Borussia Mönchengladbach zeigen die Berliner ihr bislang bestes Spiel, doch erneut machen individuelle Fehler alles zunichte. Von Marc Schwitzky

Grundsätzlich ist es eine gesunde Faustregel, den Diskurs in sozialen Netzwerken nicht allzu ernst zu nehmen. Die Wucht, die jener auf Facebook, Twitter und Co. annehmen kann, überzeichnet gerne einmal die Realität. In Bezug auf Hertha BSC bedeutet es, dass man via Social Media nach Niederlagen das Gefühl bekommen könnte, der ganze Verein stünde vor dem Abgrund. Untergangsstimmung, Fatalismus, Häme – das volle Programm.

Doch nach der 0:1-Niederlage gegen Borussia Mönchengladbach trägt sich am Freitagabend in den sozialen Netzwerken Erstaunliches zu. Das erste Mal nach langer Zeit übt sich die große Mehrheit der Hertha-Fans, trotz einer Pleite, in Lob für die eigene Mannschaft. Durchhalteparolen werden angestimmt, der Zusammenhalt gepredigt. Sicherlich, Kritiker tummeln sich ebenso in den Kommentarspalten, doch die positiven Stimmen überwiegen deutlich. Und das zu Recht, denn Hertha zeigt in Mönchengladbach seine beste Leistung in der noch jungen Saison.

0:1-Pleite in Mönchengladbach

Zwei Hertha-Handspiele besiegeln Niederlage

Hertha hat eine starke Mannschaftsleistung nicht in Zählbares verwandeln können. Am Freitagabend verlor das Team von Trainer Sandro Schwarz bei Borussia Mönchengladbach mit 0:1. Spielentscheidend waren zwei unnötige Handspiele.

Hertha baut auf dem Frankfurt-Spiel auf und passt sein Pressing an

Bereits nach dem 1:1-Unentschieden gegen Eintracht Frankfurt am vergangenen Wochenende konnte ein positives Fazit gezogen werden. Zwar verfiel Hertha noch zu oft in Passivität - und individuelle Abwehrfehler brachten die Berliner um einen möglichen Sieg - doch die gänzlich verbesserte Haltung im Vergleich zum blutleeren Derby und das mutige Spiel nach vorne machten Hoffnung. Trainer Sandro Schwarz sieht daher keinen Grund, seine Startaufstellung am 3. Spieltag der neuen Saison zu verändern, er will durch Vertrauen Konstanz schaffen.

Seine Herangehensweise wird belohnt, denn gegen die Gladbacher wirkt das Spiel der "alten Dame" von Beginn an wie aus einem Guss. Schwarz passt im Vergleich zum Frankfurt-Spiel nur das Verhalten gegen den Ball an. Zum einen steht Hertha auffällig eng, um dem Zentrumsfokus der "Fohlen" möglichst gut begegnen zu können. Zum anderen bekommt Lucas Tousart, der erneut als Kapitän aufläuft, eine Schlüsselrolle zugewiesen. Er soll Gladbachs Aufbauspieler Manu Koné in Manndeckung nehmen, um dessen Spieleröffnung maximal zu stören. Da sich Koné gerne in die Innenverteidigung fallen lässt und Tousart ihm folgt, entsteht oftmals die Situation, dass Hertha im 4-4-2 verteidigt. Eine intelligente Anpassung an das eigene Pressingverhalten, die gut aufgeht. Koné kommt nur schwerlich in die Partie, sodass das Ballbesitzspiel der Borussia stockt.

Das Scheitern an sich selbst in Dauerschleife

Nach nur wenigen Minuten wird klar, dass die Begegnung im Mittelfeld entschieden wird. Die Mannschaft, die den Ball in dieser neuralgischen Zone behaupten oder erobern kann, wird sofort gefährlich für den Gegner. Es ist ein ständiges Ringen um die Oberhand im Zentrum, ein Mangel an Aggressivität und Schärfe wird schlagartig bestraft. So kommt es im ersten Durchgang auf beiden Seiten zu brenzligen Momenten. Die Berliner schaffen es immer wieder, das neue furiose Offensivtrio um Chidera Ejuke, Dodi Lukebakio und Wilfried Kanga in Szene zu setzen. Gleichzeitig haben die Gäste größere Probleme mit den agilen Alassane Plea und Marcus Thuram. Beide Mannschaften hätten bereits in Führung gehen können, Gladbach verzeichnet die insgesamt besseren Chancen, so trifft beispielsweise Plea in der siebten Minute die Latte.

Es ist die Elfmeterszene in der 33. Minute, die eine bis dahin ausgeglichene Partie in eine Richtung kippen lässt. Das Handspiel von Maximilian Mittelstädt ist so unstrittig - wie nötig. Plea tritt an und verwandelt gegen Hertha-Torhüter Oliver Christensen zum 1:0. Ein aus Berliner Sicht bitterer Spielverlauf, denn einmal mehr ist es ein individueller Fehler, der die eigentlich gute Leistung bestraft. Imponierend ist die Reaktion der Hauptstädter, die sich widerstandsfähig zeigen und unbeirrt weiter mutig nach vorne spielen. Aufgrund einer schwachen Chancenverwertung – ebenfalls ein wiederkehrendes Element der laufenden Spielzeit – bleibt es bis zur Halbzeitpause jedoch beim 0:1-Rückstand.

Hertha beherrscht die Tragikomödie wie keine zweite Mennschaft

Im zweiten Durchgang ist Hertha um den Ausgleich bemüht, die Berliner laufen nun noch früher an und zwingen die Borussia zu langen Bällen. Erneut ist es ein Elfmeter, der den Spielverlauf auf den Kopf stellt. Wieder spielt ein Herthaner den Ball mit der Hand, dieses Mal ist es Filip Uremovic (66. Minute). Da sich der kroatische Innenverteidiger bei der Ausführung des ersten Strafstoßes bereits die gelbe Karte abholt, indem er die Ausführung provokant wie unnötig stört, muss er nun mit gelb-rot vom Platz.

Die Geschichte des Spiels, sie ist eine Tragikomödie: Hertha spielt das beste Spiel der neuen Saison, doch wie schon beim Pokal-Aus in Braunschweig und gegen Frankfurt sind es individuelle Patzer, die alles zunichtemachen. Hertha-Spiele haben ihre eigenen Gesetze – es kann fernab vom eigentlichen Spielverlauf absolut alles passieren, zu oft nachteilig für die Berliner.

Zwar kann Christensen Hofmanns Elfmeter halten, doch nun läuft Hertha in Unterzahl weiter dem 0:1 hinterher. Die Aufgabe wird nicht einfacher. Doch erneut ist das Aufbäumen der Gastmannschaft zu erkennen. Nun im 4-3-2 aufgestellt und mit Kevin-Prince Boateng als Organisator auf dem Feld, soll der Ausgleich noch gelingen. Zehn Herthaner drängen elf Borussen in den Schlussminuten in deren eigene Hälfte. Doch es soll nicht mehr sein.

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Trotz positiver Erkenntnisse – die Abwehr bleibt ein Problem

"Heute fühle ich mich nicht als Verlierer", erklärt Marc Oliver Kempf nach dem Spiel bei DAZN. "Wir haben ein gutes Spiel gemacht, einen weiteren Schritt nach vorne. Durch zwei Elfmeter haben wir unglücklich verloren." Auch die Zahlen bestätitgen diesen Eindruck: Hertha verzeichnet deutlich mehr Abschlüsse als Gladbach, ist trotz der 20 Minuten in Unterzahl mehr gelaufen.

Kurzum: Es ist eine gute, streckenweise sogar sehr gute Leistung des Hauptstadtklubs. Aggressivität, ständige Aktivität, Leidenschaft, immer wieder schnell die Tiefe suchen – in Mönchengladbach sind sehr viele Elemente des Schwarz-Fußballs durchgängig zu erkennen. Hinzu kommt die neue Widerstandsfähigkeit nach Rückschlägen. Blickt man auf die Leistungen der letzten Saisons, stellt die aktuelle Entwicklung einen Quantensprung dar. "Es ist die große Kunst, sich jetzt nicht nur von dem Ergebnis blenden zu lassen", sagte Schwarz bereits nach der Niederlage in Braunschweig. Die alte Dame zeigt große Fortschritte, erstmals seit langer Zeit reißen Hertha-Spiele wieder mit.

Nur die gesamte Abwehrleistung ist weiterhin sehr kritisch zu betrachten. Die Defensive wirkt immer wieder im Kollektiv, aber vor allem individuell, überfordert. In jeder Partie der neuen Spielzeit führten bislang klare Fehler zu Gegentoren. Die Offensive bereitet Freude, die Defensive Sorgenfalten. Boyata, Kempf, Uremovic – kein Innenverteidiger konnte bislang überzeugen. Auch die Außenverteidiger, Kenny und Mittelstädt, leisten sich haarsträubende Fehler – zumal Torhüter Christensen auch noch nicht der sichere Rückhalt ist. Herthas Spiel steht auf wackeligen Füßen, da die Abwehr zu jeder Zeit einen spielentscheidenden Fehler begehen kann.

Hertha steht an einem entscheidenden Punkt

Hertha steht an einem sehr empfindlichen Punkt der neuen Saison, womöglich sogar der gesamten Ära von Schwarz (und somit auch von Geschäftsführer Bobic): Gleichen sich die Ergebnisse irgendwann den Leistungen an – oder umgekehrt? Schafft es Hertha, aus sich heraus ein Momentum zu entwickeln? Es ist ein Wettrennen gegen sich selbst. Fest steht, dass die Berliner sich hierfür nicht mehr auf den ominösen Fußballgott verlassen, sondern es selbst in die Hand nehmen. Es ist zu spüren, wie die Mannschaft den Erfolg nach all den schweren Jahren erzwingen will. Und gute Leistungen sind nun einmal die Voraussetzung für nachhaltig gute Ergebnisse. Es sind vor allem die enttäuschenden Vorjahre, die den aktuellen Saisonstart in dunklere Farben hüllen.

Das Umfeld schafft momentan die Grundlage für eine positive Entwicklung. Seit dem Amtsantritt von Präsident Kay Bernstein herrscht ein "Burgfrieden" auf der Geschäftsstelle, der Verein ruht spürbar mehr in sich. Auch das Band zwischen Mannschaft und Fanszene wirkt deutlich stabiler. Nach jedem Spiel in dieser Saison wurde dem Team aus der Kurve lautstark Mut zugesprochen, Geschlossenheit demonstriert. Die Fans gehen gerade in eine Vorleistung, die nur mit Ergebnissen beglichen werden kann – eine Rechnung, die vielleicht erst in ein paar Wochen aufgehen wird und unheimlich viel Geduld einfordert. Will Hertha sich als gesamter Verein wirklich neu erfinden, muss diese Trockenphase durchgestanden werden.

Sendung: rbb24, 19.08.2022, 21:45 Uhr

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