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Audio: rbb24 Inforadio | 01.08.2022 | Tabea Kunze | Quelle: IMAGO/Sports Press Photo

Kommentar | Hype um die Fußball-Frauen

Sie spielen für eine Nation, die jetzt ihre Namen kennt

Steigende Zuschauerzahlen, neue Rekorde: Rund um die EM ist ein Hype um den Fußball der Frauen entstanden. Der wird nur zu konservieren sein, wenn neue Ideen umgesetzt werden, kommentiert Tamara Keller, Podcasterin von "Frauen reden über Fußball".

87.192 ist von nun an eine historische Zahl. So viele Zuschauerinnen und Zuschauer waren am Sonntag im Wembley, um das Finalspiel England gegen Deutschland anzuschauen. Ein neuer Rekord, es ist nun das meistbesuchte Europameisterschaftsspiel in der Fußballgeschichte. Auch kein Spiel der Männer war bisher so gut besucht. Eine Bestmarke, die für dieses Turnier und seine weitreichende Bedeutung spricht.

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Frauen nun Teil der allgemeinen Fußballhistorie

Anerkennung gebührt natürlich den Gastgeberinnen und den neuen Europameisterinnen: England hat sich selbst übertroffen. Die schönen Stadien, in denen die Spiele ausgetragen wurden, waren Stimmungsmagneten – egal ob mit belgischer Blaskapelle oder mit "Sweet Caroline"-Karaoke. Auch der Sieg der Engländerinnen ist eine Zäsur: Sie werden dafür gefeiert, den "englischen Fluch" gebrochen zu haben und damit in die englische Fußballgeschichte einzugehen. Dass Frauen in diese allgemeine Historie einbezogen werden, wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen.

In der Vergangenheit wurde oft das "mangelnde Interesse" als Argument benutzt, um dem Fußball der Frauen den Wert abzusprechen und um zu begründen, warum Spielerinnen nicht in Stadien wie Wembley spielen dürfen. Und warum sie nicht adäquat bezahlt werden. Erst im Rahmen der aktuellen Europameisterschaft brachte der sportliche Leiter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Oliver Bierhoff, wieder das Argument, man müsse "die Zahlen anschauen", wenn es um eine faire Bezahlung gehe.

Dabei haben sich zumindest die Zuschauerzahlen – sowohl vor dem Fernseher als auch vor Ort – bei dieser EM in allen Belangen übertroffen.

Equal Pay und Sexismus

Genötigt war Bierhoff zu seiner Aussage, weil Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) via Twitter eine faire Bezahlung der Spielerinnen gefordert hatte. Sowohl er als auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) schauten am Sonntag nach der Niederlage bei den deutschen Spielerinnen in der Kabine vorbei. Auch Annalena Baerbock feuerte das Team fleißig via Twitter an. Ein Novum, dass sich die deutschen Politikerinnen so sehr mit den Spielerinnen auseinandersetzen.

Und auch, dass Themen wie "Equal Pay" oder Sexismus im Fußball [NDR Panorama] in der breiten Öffentlichkeit besprochen werden, ist neu. In England selbst wird sogar noch eine Schippe draufgelegt: Dort wird im hohen Maße über Vereinbarkeit von Kind und Profisport, aber auch über fehlende Diversität in der Mannschaft diskutiert, und wie das mit den Strukturen des Fußballs zusammenhängt. Themen, die in Deutschland teilweise noch gemieden werden.

Sportlich hat sich ebenfalls viel weiterentwickelt: Ein schnelleres Spiel, viel Pressing, schöne Varianten - so ausgeklügelt, dass Martina Voss-Tecklenburg im Finale sogar einen Spickzettel herumreichen ließ. Nährboden für die sportliche Steigerung sind die besseren Trainingsstrukturen, die in den vergangenen Jahren in der französischen, englischen und teilweise auch deutschen Liga dafür aufgebaut wurden. Die Resultate sehen wir jetzt.

Der Wendepunkt für den Fußball der Frauen?

"Ist jetzt der Wendepunkt für den Fußball der Frauen?", wird nun in einigen Medien gefragt. In der Wahrnehmung hat dieses Turnier sicherlich einiges verändert, was aber bereits Wurzeln in der Weltmeisterschaft 2019 in Frankreich geschlagen hatte: Steigerungen sowohl des Spiels als auch des Medieninteresses waren dort bereits erkennbar.

Damals machte das deutsche Team mit einem Werbeclip auf sich aufmerksam: "Wir spielen für eine Nation, die unsere Namen nicht kennt", hieß es dort. Diese Zeiten sind jetzt vorbei und das allein ist schon ein unglaublicher Meilenstein. Die Spielerinnen haben sich das verdient. Das Team rund um Martina Voss-Tecklenburg konnte sich stetig steigern, zeigte eine vielseitige Offensive, die sich fast auf jeder Position eins zu eins ersetzen ließ und eine im Vorhinein von den Medien viel kritisierte Defensive, die vor allem im Halbfinale und Finale gezeigt hat, dass diese Kritik nicht berechtigt war. Der Wendepunkt wird trotzdem nicht so schnell kommen. Den Hype zu konservieren, wird schwierig.

Größere Stadien für mehr Zuschauerandrang

Die Bundesligaspiele bekommen nicht genügend Präsenz im Fernsehen, unattraktive Anstoßzeiten und sind auch weniger gut besucht. Mehr Zuschauer und Zuschauerinnen wurden zuletzt durch die Champions-League-Spiele angelockt. Dabei wäre die Lösung so einfach: "Ich bin der Überzeugung, wenn man in den großen Stadien spielen lässt, dann werden diese auch voller", sagte dazu Ralf Kellermann, sportlicher Leiter der VfL Wolfsburg Frauen, am Sonntag in der Halbzeitberichterstattung der ARD.

Wer den Hype jetzt mitnehmen will, der muss also die bestehenden Strukturen hinterfragen und auch einmal neu denken, um Neues zu ermöglichen. Schneller könnte es gehen, wenn der Druck wächst, auch von der Öffentlichkeit, die jetzt plötzlich Interesse zeigt. Mögliche Ansätze gibt es schon: So stellte das Bündnis "Fußball kann mehr", bestehend aus neun weiblichen Fußballgrößen, bereits 2021 einen Acht-Punkte-Plan vor, wie der deutsche Fußball gerechter werden kann. Der DFB ist bis dato nur wenig darauf eingegangen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 01.08.2022, 12:15 Uhr

Beitrag von Tamara Keller

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