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Quelle: dpa/Sebastian Gollnow

Studieren in der Inflation

"Es reicht definitiv nicht für ein entspanntes Studi-Leben"

Auch wenn sie Bafög bekommen, müssen viele Studierende neben dem Studium arbeiten, um über die Runden zu kommen. Nun wird das Bafög erhöht - doch die Inflation frisst die Steigerung auf. Von Naomi Donath

"Mit dem Bafög-Höchstsatz könnte ich nicht Medizin studieren, ohne einen Nebenjob zu haben", erzählt Dina Davidova. Die 22-Jährige ist ausgebildete Rettungssanitäterin und studiert Medizin an der Berliner Charité. Sie bekommt den Bafög-Höchstsatz für Studierende ohne Kind, die noch familienversichert sind: 752 Euro im Monat. Darin enthalten sind 325 Euro, die als Wohnkostenzuschuss für die Miete reichen sollen.

"Ich muss sagen, dass diese 325 Euro Wohnkostenpauschale definitiv nicht ausreichen", sagt Davidova. "Ich gebe mehr Geld für meine Wohnung aus. Würde ich mir nichts dazuverdienen, beziehungsweise vorm Studium dazuverdient haben, würde ich eigentlich gar nicht mit dem Bafög-Höchstsatz über die Runden kommen."

Dina Davidova studiert Medizin an der Charité in Berlin. | Quelle: rbb/Naomi Donath

Dina Davidova zahlt 550 Euro Miete für ihre Wohnung in Berlin. 200 Euro gibt sie im Monat für Lebensmittel aus. Damit ist das Bafög weg. "Es reicht definitiv nicht für ein entspanntes Studi-Leben", erzählt sie. Mal mit Freund:innen in die Bar, ins Restaurant oder ins Kino zu gehen, sei nicht drin. Und auch für die Semestergebühr und für Lehrbücher sei das Bafög zu knapp, sagt Davidova: "Ich kann mir leider nicht immer das allerneueste Lehrbuch kaufen, was manchmal doch wichtig wäre."

Nicht mehr als 450 Euro dazuverdienen

Josua Krügel bekommt knapp halb so viel Bafög - 366 Euro im Monat. Der 19-Jährige studiert Luftfahrttechnik an der Technischen Hochschule Wildau und wohnt in einem Studentenwohnheim in Wildau. "Die 366 Euro reichen gerade so für die Miete und für die Verpflegung. Dann ist aber wirklich Feierabend", sagt Krügel. Deswegen habe er sich einen Minijob gesucht, für den er zwischen 300 und 400 Euro im Monat bekommt.

Mehr als 450 Euro im Monat darf sich Krügel nicht dazuverdienen - dann würde sein Bafög gekürzt werden. "Wenn ich mehr als diese 450 Euro verdienen würde, zum Beispiel mit einem Job als Werksstudent, dann würde ich mein Bafög für das kommende Jahr riskieren - und damit die Lebenssicherheit, die ich noch habe", sagt Krügel. Mit der Bafög-Reform wird diese Zuverdienstgrenze nun von 450 auf 520 Euro erhöht.

Josua Krügel studiert Luftfahrttechnik an der Technischen Hochschule Wildau. | Quelle: rbb/Naomi Donath

Jede:r dritte Studierende gilt als arm

Krügel und Davidova bekommen noch Kindergeld, das beträgt 219 Euro im Monat. Insgesamt stehen ihnen weniger als 1.000 Euro netto im Monat zur Verfügung. Damit gelten sie laut Paritätischem Wohlfahrtsverband als arm.

In Berlin liegt die Armutsschwelle für eine Person ohne Kinder bei 1.141 Euro netto, in Brandenburg bei 1.128 Euro netto. In der Gesamtbevölkerung gilt eine von sechs Personen als arm. Bei Studierenden sind es zwei von sechs, bei Bafög-beziehenden Studierenden drei von sechs. Das hat eine bundesweite Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands ergeben [der-paritaetische.de].

Gilt für Verträge ab 1. September

Studierendenwerk erhöht Miete in Berliner Wohnheimen um 60 Euro

Ab dem kommenden Jahr müssen sich Studierende in Berliner Wohnheimen auf eine deutliche Mieterhöhung einstellen. Das Studierendenwerk spricht von einer Erhöhung, wie es sie noch nie gegeben hat.

Bafög wird erhöht

Zum Wintersemester 2022/2023 wird das Bafög nun erhöht. Der Höchstsatz für Studierende wie Dina Davidova steigt von 752 Euro auf 812 Euro. Also um 60 Euro - während gleichzeitig auch die Miete in allen Wohnheimen des Studierendenwerks Berlin um 60 Euro teurer wird, wegen der steigenden Energiekosten.

"Die Bafög-Erhöhung wird von der Inflation komplett aufgefressen", sagt Greta Schabram vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. "Das bedeutet, dass Studierende trotz jetziger Bafög-Erhöhung real weniger Geld im Monat zur Verfügung haben, als sie es vorher hatten." Studierende seien besonders von der Inflation betroffen, sagt Schabram. "Sie geben einen Großteil ihres Einkommens für Nahrung, Wohnung, Energie aus. Das sind die Preistreiber der Inflation."

Sparen, um nicht zu frieren

Auch Dina Davidova macht sich Sorgen wegen der Inflation. "Ich habe Angst und Sorge, dass das Geld mir nicht reicht und dass ich Abstriche machen muss, beispielsweise bei den Lebensmitteln, oder komplett auf Freizeitaktivitäten verzichten muss", sagt Davidova. Ihre Wohnung wird mit Gas beheizt. "Deshalb versuche ich jetzt, Geld zu sparen, damit ich im Winter nicht frieren muss. Aber rein vom Bafög ist es leider kaum möglich, Geld zurückzulegen."

Sie sagt, um Geld zurückzulegen, wolle sie in den Semesterferien Vollzeit arbeiten. Unter der vielen Arbeit könne aber ihr Studium leiden. "Das Problem beim Bafög ist, dass man das Studium auch in Regelstudienzeit schaffen muss - was leider ganz viele gar nicht schaffen", sagt Davidova. In Berlin beispielsweise brauchen Medizinstudierende im Durchschnitt ein Semester länger, als die Regelstudienzeit beträgt. Außerhalb der Regelstudienzeit bekommen Studierende kein Bafög mehr.

Mehr Studierende könnten Bafög beantragen

In Berlin gibt es insgesamt rund 200.000 Studierende an staatlich anerkannten Hochschulen. Etwa jede:r sechste von ihnen bekommt Bafög. Das sind weniger, als eigentlich antragsberechtigt wären, sagt Jana Judisch vom Studierendenwerk Berlin. Wenn sie die Studierenden frage, warum sie keinen Antrag stellen, bekomme sie in der Regel zwei Antworten, sagt Judisch: "Eine Antwort ist: Ich möchte mich nicht verschulden. Aber weitaus häufiger kommt die Antwort, dass ihnen das alles viel zu kompliziert ist. Sie haben Angst vorm Bafög, weil das so komplex ist, dass sie es lieber doch nicht machen."

Deswegen geht dem Studierendenwerk die Bafög-Reform nicht weit genug: "Den Teil, den wir uns gewünscht hätten, nämlich das Bafög insgesamt einfacher zu machen, am allerliebsten elternunabhängig, das ist nicht erfolgt", sagt Judisch. Einen Antrag zu stellen sei genauso komplex wie vorher. "Wir fürchten also, dass die Reform gar nicht so viel bringen wird, weil der Faktor der Abschreckung noch da ist."

Sendung: rbb|24 explainer, 27.07.2022

Beitrag von Naomi Donath

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