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Video: rbb24 Abendschau | 28.07.2022 | Jana Wochnik-Sachtleben | Quelle: dpa/S. Sauer

"Das tut dem System nicht gut"

Bahngewerkschaften lehnen Verlängerung des Neun-Euro-Tickets ab

Die Zukunft des Neun-Euro-Tickets wird seit Wochen diskutiert - nun auch mit den Gewerkschaften der Bahn. Sie lehnen eine Fortführung des Tickets ab. Die Infrastruktur sei für derartige Massenbeförderungen (zumindest noch) nicht ausgelegt.

Die Eisenbahngewerkschaften GDL und EVG sprechen sich gegen eine Fortführung des Neun-Euro-Tickets aus.

Nach Ansicht der Gewerkschaft der Deutschen Lokomotivführer (GDL) sollte das Ticket nach dem Ende des Aktionszeitraums Ende August nicht verlängert werden. Der Vorsitzende der Gewerkschaft, Claus Weselsky, sagte am Donnerstag dem rbb: "Mit diesem Neun-Euro-Ticket, mit dem eigentlich die Pendler entlastet werden sollten, haben wir zusätzlichen Verkehr in die Eisenbahn hineingebracht, zusätzliche Reisenden-Anstürme. Das tut dem System nicht gut, weil es sowieso schon auf Verschleiß gefahren wird. Jetzt sind wir zusätzlich noch völlig überlastet."

Weselsky betonte, dass es zwar richtig sei, über ein bundesweites Ticket für den Nahverkehr nachzudenken. Ein solches Ticket müsse aber in erster Linie Pendlern zugutekommen. Vor allem für diese sei das Neun-Euro-Ticket zuletzt aber abschreckend gewesen, weil in den Bahnen Touristenströme zur Ostsee transportiert worden seien. Pendler, die mit dem Ticket entlastet werden sollten, hätten sich dadurch sogar eher von der Bahn abgewendet.

Tatsächlich sind die Beförderungszahlen der Deutschen Bahn (DB) im Regionalverkehr im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. 725 Millionen Fahrgäste hat die DB nach eigenen Angaben im ersten Halbjahr 2022 transportiert. Das sei ein Nachfrage-Zuwachs um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, teilte die Bahn am Donnerstag mit. Allerdings seien die Beförderungszahlen in den vergangen zwei Jahren wegen der Corona-Pandemie auch insgesamt niedriger ausgefallen.

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Soll es eine Anschlusslösung für das Neun-Euro-Ticket geben?

Für neun Euro pro Monat können Bürger im Sommer den kompletten deutschen Nahverkehr nutzen. Und das Angebot wird angenommen: Millionen Tickets wurden bereits verkauft, Regios sind prall gefüllt. Die Frage ist nur: Wie geht es weiter?

Gewerkschaften fordern Ausbau der Infrastruktur

Weselsky forderte, bei Überlegungen über ein Nachfolgemodell, auch einen angemessenen Preis zu veranschlagen. Derzeit "verhökere" man den Nahverkehr und tue so, als sei die Beförderung von Millionen Menschen eine wertlose Leistung.

Auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) spricht sich gegen eine Fortführung des Neun-Euro-Tickets aus. Der Vizevorsitzende der EVG, Martin Burkert, sagte am Donnerstag, dass die "Belegschaft die Belastungsgrenze erreicht und teilweise überschritten" habe. Angesichts der Menschenmassen, die in den Bahnen befördert werden müssten, könne es eine Fortführung des Tickets so nicht geben.

Im Gegensatz zur GDL forderte der EVG-Vize Burkert jedoch langfristig sogar einen kostenlosen Öffentlichen Personennahverkehr. Vorher sei es aber unabdingbar, dass "Angebot und Kapazitäten flächendeckend ausgebaut werden".

Nach Ende des Neun-Euro-Tickets

Verkehrsunternehmen schlagen bundesweites 69-Euro-Ticket vor

Die Verkehrsunternehmen in Deutschland schlagen ein dauerhaftes 69- als Nachfolger des Neun-Euro-Tickets vor. Derweil hat die Initiative "Berlin autofrei" eine Petition für den Erhalt des Neun-Euro-Tickets gestartet.

20 Millionen Nutzer - Erfolg oder Überlastung?

Das Neun-Euro-Ticket gilt noch bis Ende August und ermöglicht bundesweit Fahrten im Nahverkehr. Allein die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) hatten im ersten Monat der Einführung rund 1,25 Millionen Tickets verkauft.

Bund und Länder diskutieren derzeit über eine Nachfolgeregelung. Der Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) hatte ein 69-Euro-Ticket vorgeschlagen, das bundesweit gelten soll. Die Berliner Linksfraktion hatte sich beispielsweise für ein 365-Euro-Ticket ausgesprochen, welches ganzjährig bundesweit gültig sein soll.

Die Vorsitzende des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Kerstin Haarmann, sprach sich am Donnerstag für eine Fortführung des Neun-Euro-Tickets aus. Mehr als 20 Millionen Menschen seien seit der Einführung zusätzlich mit Bussen und Bahnen gefahren. Der VCD wertet das im Gegensatz zu den Gewerkschaften der Bahn als Erfolg.

Streitpunkt bleibt Finanzierung

Der Bundesverkehrsminister solle nun schnellstmöglich eine Nachfolgeregelung bis zum 1. November auf den Weg bringen, um die "Chance auf eine klimaschonendere Mobilität" nicht zu versäumen.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hingegen sieht sich nicht in der Verantwortung, eine Nachfolgeregelung des Neun-Euro-Tickets auf den Weg zu bringen. Eine Nachfolge sei Ländersache. Diese müssten sehen, "wie sie das finanzieren wollen".

Sendung: rbb24 Inforadio, 28.07.2022, 7:25 Uhr

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