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Quelle: imago images/Santos

Konzertkritik | Kim Petras

Superstar made in Germany

Seit dem Hit “Unholy” gilt Kim Petras als Superstar. Doch die queeren Communitys liebten sie lange vor ihrem Welterfolg für ihren schambefreiten Pop. Den gab es im Rahmen ihrer Welttournee auch in der Columbiahalle zu hören. Von Christopher Ferner

Es ist so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz: Die besten Partys Berlins sind queere Partys. Für diese reisen Menschen aus der ganzen Welt in die deutsche Hauptstadt. Deswegen überrascht es auch nicht, dass die Fans, lange bevor Kim Petras überhaupt auf der Bühne steht, die Columbiahalle in einen Club verwandeln. Zu vom DJ gespielten Popklassikern reißt das queer dominierte Publikum die Hände in die Luft und singt die mit Zuckerguss überzogenen Lyrics von Ariana Grande, Nicki Minaj und Co. textsicher mit.

Und dann steht sie da, Deutschlands derzeit größter Pop-Export, und eröffnet ihre ausverkaufte Show mit dem Song "Feed the Beast" aus ihrem gleichnamigen Album. Vor aufwendig produzierten, dämonisch anmutenden Visuals im Hintergrund singt sie "I know you wanna feed the beast / It's time to let me off the leash / Come put your hands all over me" – und das Publikum singt mit.

Preisgekrönte Unheiligkeit

Den ersten Teil ihrer Show beendet Petras mit ihrem erfolgreichsten Track: Für "Unholy" gewann die in Bonn geborene Sängerin gemeinsam mit Sänger:in Sam Smith im vergangenen Jahr einen Grammy in der Kategorie "Best Pop Duo" – und schrieb damit ein kleines Stück queere Geschichte. Denn Petras ist die erste Person, die als offen lebende trans Frau in einer der herausragenden Kategorien den begehrten Musikpreis mit nach Hause nehmen durfte.

Konzertkritik | Beirut in Berlin

"Hoffentlich höre ich nach dem nächsten Song auf zu zittern"

Fünf Jahre lang war Beirut-Mastermind Zach Condon nicht aufgetreten. Die letzte Tour brach er vorzeitig ab. Zu groß war der Stress, mental und körperlich. Jetzt aber wagt er sich für ein paar Shows wieder auf die Bühne. Von Hendrik Schröder.

Kim Petras Weg in die Öffentlichkeit begann lange bevor sie ihren ersten Track veröffentlichte. Bereits mit 13 Jahren stand der mittlerweile in Los Angeles lebende Star gemeinsam mit ihren Eltern für eine TV-Reportage vor der Kamera, um über Transidentität und ihre Hormonbehandlung zu sprechen. In einem Interview sagte sie aber einmal, dass sie nicht für ihre Transgeschlechtlichkeit berühmt sein möchte, sondern für ihre Musik.

Im zweiten Akt des Konzerts performt Petras gemeinsam mit ihren beiden Tänzer:innen und in einer knappen Schuluniform gekleidet die größten Hits aus ihrer EP "Slut Pop". Die Songs "Throat Goat", "Treat Me like a Slut", und "XXX" sind maximal plakativ – und machen maximal Spaß. Es ist diese Sektion, in der die Stimmung in der Columbiahalle ihren Höhepunkt erreicht; in der es sich tatsächlich ein kleines bisschen anfühlt, wie in einem queeren Underground-Club.

Sexuelle Selbstermächtigung mit bitterem Beigeschmack

Eine trans Frau, die in ihren Songs schamlos und unzensiert über Promiskuität und Oralverkehr singt, könnte die wunderbare Geschichte einer sexuellen Selbstermächtigung sein. Doch auch wenn an diesem Abend nichts davon zu spüren ist, haben die Songs und erst recht die Textzeilen einen bitteren Beigeschmack.

Konzertkritik | Slowdive in Berlin

Untergehen im Meer von Klang und Licht

Slowdive gelten als Mitbegründer des Shoegaze Sounds und zaubern live auch fast 35 Jahre nach ihrer Gründung immer noch einen entrückenden Soundteppich in die Halle - wie Hendrik Schröder in der Columbiahalle feststellen konnte.

Denn Produzent von "Slut Pop" ist Lukasz Gottwald, besser bekannt als Dr. Luke. Zu der Zeit, als die EP entstand, lieferte sich der 50-Jährige einen Rechtsstreit mit der Sängerin Kesha. Die Musikerin hatte Dr. Luke vorgeworfen, sie mit Drogen gefügig gemacht und anschließend sexuell missbraucht zu haben. Nach zehn Jahren wurde der Rechtsstreit außergerichtlich beigelegt.

Viele Fans von Kim Petras zeigten sich damals enttäuscht über ihre Kollaboration mit dem Produzenten. Online stellten viele die Frage, ob es überhaupt noch moralisch vertretbar sei, ihre Musik zu hören, ob sie nicht eigentlich gecancelt gehöre. Bei ihrem Berlinkonzert stellt sich diese Frage natürlich gar nicht erst. Und so mancher und manche ist sowieso der Ansicht, dass Politik in der Pop-Musik nichts zu suchen habe. The show must go on!

Zurück zu den Anfängen

Die zweite Hälfte des Konzerts ist weniger exzentrisch, weniger tanzbar. Als Petras dann den Schluss ihrer Show ankündigt, hat sie, wie sie selbst sagt, auch eine gute Nachricht für das Publikum: "The last song is about tits." Und so singen sie und ihre Fans noch ein mal gemeinsam die fabelhaft bescheuerten Lyrics des ultra-eingängigen Tracks "Coconuts".

Nach rund anderthalb Stunden ist es dann so weit: Kim Petras und die beiden Tänzer:innen verlassen die Bühne. Doch die Fans auf den Rängen und vor der Bühne wollen noch nicht nach Hause, sie wollen den deutschen Popstar noch einmal sehen. Und Petras gibt den Zuschauer:innen, was sie wollen. Als Zugabe singt die Sängerin ihren Song "Alone", der Alice Deejays 1999er-Hit "Better Off Alone" sampelt, sowie einen ihrer frühesten und zugleich stärksten Tracks: "Heart to Break". Statt um wilden Sex geht es darin um das Verlangen des Herzens und die damit verbundene eigene Verletzlichkeit.

Dass die Fans ihr Herz an Petras verschenkt haben, dürften sie an diesem Abend nicht bereut haben. Die Sängerin lieferte ihnen, wofür sie gekommen waren: ein Konzert, bei dem sich niemand zu ernst nehmen muss und der kopflose Spaß im Vordergrund stand.

Beitrag von Christopher Ferner

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