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Audio: rbb24 Inforadio | 19.01.2023 | Ulf Morling | Quelle: rbb/Ulf Morling

Prozess zu getöteter Afghanin

"Maryam H. hatte den kleinen Wunsch, ihr Leben als Frau frei zu verbringen"

Im Juli 2021 kommt Maryam H. gewaltsam zu Tode. Seit einem Jahr läuft der Prozess. Eine Berliner Staatsanwältin fordert nun für die zwei Brüder, die ihre Schwester ermordet und verscharrt haben sollen, die lebenslange Gefängnisstrafe. Von Ulf Morling

Am 40. Prozesstag plädiert Staatsanwältin Antonia Ernst im Saal 701 des Landgerichts Berlin für eine Verurteilung der beiden angeklagten Brüder wegen gemeinschaftlichen Mordes ihrer großen Schwester und Mutter zweier Kinder. "Aus niedrigen Beweggründen" hätten Mahdi (24 Jahre) und Yousuf H. (28 Jahre) ihre Schwester erdrosselt. Nach fast elfmonatiger Beweisaufnahme ist die Staatsanwältin überzeugt, dass es zusätzlich ein heimtückischer Mord war. Dieses sogenannte "Mordmerkmal" wurde den beiden Brüdern bisher nicht vorgehalten und ist neu.

In demselben Landgericht laufen aktuell zwei weitere Prozesse um eine getötete Mutter von sechs Kindern und einer Frau, die sich ebenfalls von ihrem Mann getrennt hatte und mit ihrer Tochter laut Staatsanwaltschaft fast ermordet worden sein soll von ihrem Ex-Mann. Im Prozess um den Tod Maryam H.s sagt Staatsanwältin Ernst: "Das ist kein Ehrenmord, das hat die Staatsanwaltschaft nie behauptet." Maryam H. habe sterben müssen, weil sie eine Frau war und in Freiheit hatte leben wollen. "Es gibt keinerlei religiöse Hintergründe" für die Tat, sagte Ernst, "es war eine Frage der individuellen Einstellung" der beiden Brüder gegenüber Frauen beziehungsweise der Schwester.

Prozess am Berliner Landgericht

Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft für Brüder getöteter Afghanin

Der gewaltsame Tod der Afghanin Maryam H. wird seit knapp einem Jahr am Berliner Landgericht verhandelt. Am Donnerstag sprach die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer: Wegen Mordes verlangt sie lebenslange Haft für deren Brüder.

"Sie wollte ihr Leben als Frau frei verbringen"

Maryam H. (34 Jahre) war mit 16 Jahren in Afghanistan zwangsverheiratet worden und bekam zwei Kinder, mit denen sie im Jahr 2015 nach Deutschland flüchtete. In Berlin wurde sie von einem islamischen Geistlichen geschieden. Auch Teile ihrer Familie leben in Deutschland, unter anderem die beiden Brüder, die sie am 13. Juli 2021 in der Neuköllner Wohnung des jüngsten Bruders Mahdi mit einem schwarzen Halstuch erdrosselt haben sollen. Danach wurde der Hals der getöteten Schwester fast vollständig durchschnitten, damit der Körper der Getöteten in den Rollkoffer passte, hatte im September Yousuf H. in seinem Teilgeständnis im Prozess berichtet.

Es sei ein Streit gewesen, bei dem die Schwester schlecht über die gemeinsame Mutter in Afghanistan geredet habe, da sei es zum Drosseln des Halses gekommen und die Schwester sei zu Boden gefallen. Der mitangeklagte Bruder habe davon nichts bemerkt. Als Mahdi dazugekommen sei, habe er den kleinen Bruder gezwungen, mit dem Taxi zum Bahnhof Südkreuz mitzufahren, um mit ihm nach Donauwörth an seinen Wohnort zu fahren, damit er die Leiche der Schwester auf einer ehemaligen Deponie "verscharren" konnte, wie die Staatsanwältin es nennt.

"Spurarmes Vorgehen"

Die beiden Angeklagten hätten ihre Schwester ermordet, hieß es im Plädoyer, weil sie sich "als Vollstrecker entschieden hätten, dass sie sterben muss, um das Leben nicht weiterzutragen, was sie versuchte zu leben." Dass die Schwester nur Kopftuch getragen habe aus Angst vor den teilweise brutalen Brüdern, die sie überwachten, dass sie ab und zu ausging und sich mit anderen traf und heimlich einen neuen Freund hatte, habe zu dem Entschluss beigetragen, die Schwester zu töten. "Das sie sich diesem quasi Gefängnis entziehen wollte, kam ihrem Todesurteil gleich", hieß es im Plädoyer.

Als die Ermittler nach dem Verschwinden von Maryam H. die angeklagten Brüder ins Visier genommen hatten, war die Spurenlage allerdings ungewöhnlich schlecht. In der Wohnung von Mahdi H. in Neukölln hatte zwar an einer Stelle ein Leichenhund angeschlagen, ebenfalls am Kofferraum des Taxis, dass die Brüder zum Abtransport der Leiche bestellt haben sollten, aber "ein relativ spurarmes Vorgehen der Angeklagten" stellte die Staatsanwaltschaft im Plädoyer fest.

DNA des jüngeren Brudern Mahdi sei darüberhinaus unter anderem am Panzertape gefunden worden, mit dem die Leiche gefesselt worden sei, die Videoüberwachung am Bahnhof Südkreuz habe die beiden Brüder festgehalten, wie sie mit dem 67 Kilogramm schweren Leichnam der Schwester die Rolltreppe nehmend zu ihrem Bahnsteig eilten, die Kinder Maryams hätten berichtet, dass wenige Tage vor dem mutmaßlichen Mord die beiden Brüder ein Spiel mit ihnen gespielt hätten: Größe und Gewicht der Kinder und Maryams zu messen.

Plädoyers und Urteil

Die beiden Angeklagten waren nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft danach gemeinsam im Internet auf Koffersuche. Die Suchkriterien "+Koffer+Berlin+bis 70 kg" seien nachweislich eingegeben worden, so Staatsanwältin Ernst.

"Maryam H. hatte den kleinen Wunsch, ihr Leben als Frau frei zu verbringen mit ihren beiden Kindern", hieß es im Plädoyer der Staatsanwaltschaft. Am Donnerstag, den 26. Januar, werden die Plädoyers der übrigen Verfahrensbeteiligten erwartet. So wird der Nebenklagevertreter der beiden Kinder Maryam H.'s (10 und 15 Jahre alt), die vom Jugendamt untergebracht sind, plädieren. Ebenso die vier Verteidiger, die offene Fragen sehen und von der 22. Strafkammer enttäuscht scheinen, da die "Gründlichkeit, Hinweisen nachzugehen" die Richter jetzt vermissen ließen, da alle Beweisanträge abgelehnt würden, kritisieren sie. Unter anderem geht es dabei um den familiären und kulturellen Hintergrund der Familie H. in Afghanistan, wo noch immer die Mutter Maryams und der beiden angeklagten Brüder lebt.

Am 9. Februar soll das Urteil gesprochen werden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.01.2023, 6 Uhr

Beitrag von Ulf Morling

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