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Quelle: Alexandra Friedmann

Häusliche Gewalt gegen Männer

"Ich fühlte mich als totaler Versager"

Jedes fünfte Opfer von häuslicher Gewalt ist ein Mann – immer noch ein Tabuthema. Betroffene werden oft alleingelassen. So ging es auch Clemens. ihn kostete die Spirale aus Scham und fehlenden Hilfsangeboten fast das Leben. Von Alexandra Friedmann

Eine S-Bahn-Brücke in Berlin, hinter einem Hochhaus geht gerade die Sonne unter. Clemens umfasst das Brückengeländer, unter seinen Füßen rast ein Schnellzug vorbei. Vor einigen Jahren stand er schon einmal auf einer Brücke, erzählt Clemens. Damals war er über das Geländer geklettert, auf die andere Seite. An diesem Abend wollte Clemens seinem Leben ein Ende setzen. Zuhause war die Situation so unerträglich geworden, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah.

Als Clemens seine damalige Partnerin kennenlernt, ist es Liebe auf den ersten Blick. Nach kurzer Zeit zieht das Paar zusammen. Doch schon bald kippt die Stimmung. "Wir waren gerade dabei, Möbel aufzubauen, als sie einen Streit anfing. Sie schrie mich an und begann, auf mich einzuschlagen", erinnert sich Clemens.

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Immer häufiger kommt es zu Streitereien, die eskalieren. Clemens berichtet von Schlägen, Tritten, Bisse in den Unterarm. Immer wieder versucht er, die Situation zu entschärfen. Und er beginnt, den Fehler bei sich zu suchen. Dass er ein Opfer von häuslicher Gewalt ist, wird ihm nicht sofort bewusst.

Auf einem Auge blind

Gerade Männern würde es häufig schwerfallen, sich als Opfer wahrzunehmen und sich Hilfe zu suchen, erklärt Torsten Siegemund von der Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz. Körperliche Gewalt, wie zum Beispiel eine Ohrfeige, würden von den Betroffenen heruntergespielt. Viele Männer zeigen Übergriffe gar nicht erst an, vermutet Siegemund. Es sei von einem hohen Dunkelfeld auszugehen.

Dabei zeigen auch die offiziellen Statistiken, dass Clemens Geschichte bei Weitem kein Einzelfall ist. Laut Bundeskriminalamt ist fast jedes fünfte Opfer von häuslicher Gewalt ein Mann (19,7%, Stand 2021). Wenn es um gefährliche Körperverletzung in der Partnerschaft geht, ist bei fast jeder dritten Tat das Opfer männlich.

Zahlen, die bei vielen auf Ungläubigkeit stoßen. Viele könnten sich kaum vorstellen, dass auch Männer in der Beziehung Gewalt erfahren, erklärt Soziologieprofessor Jens Luedtke. "Der Mann ist angeblich groß, kräftig und der Frau überlegen. Solche Stereotype wirken in unserer Gesellschaft auch heute noch", führt Luedtke aus.

Auch Clemens schämt sich für das, was ihm in der Beziehung passiert. Und er hat das Gefühl, sich niemandem anvertrauen zu können. Damit ist er nicht allein. Tatsächlich spricht nur etwa einer von vier Männern mit anderen über Gewalterfahrungen in der Partnerschaft, zeigt eine Befragung von 2014 (Sonderbericht Gewalterfahrungen in Paarbeziehungen, LKA Niedersachsen). Jene, die doch Hilfe suchen, finden nicht immer welche.

"Wenn ein Problem in der gesellschaftlichen Wahrnehmung nicht existiert, gibt es auch keinen Grund, Hilfsangebote zu schaffen", gibt Luedtke zu bedenken. Als Gesellschaft seien wir so auf einem Auge blind.

Ein Ausweg für Betroffene

Die wiederkehrende Gewalt von Seiten seiner Partnerin hat schwere Auswirkungen auf Clemens Psyche. Er spricht von Selbstzweifel und Depressionen, fühlt sich als Versager. Schließlich wird ihm klar, dass er Hilfe braucht. Clemens sucht nach einer Männerschutzwohnung in seiner Nähe. Doch die nächste Einrichtung befindet sich in einem anderen Bundesland.

Derzeit existieren deutschlandweit zwölf Männerschutzwohnungen mit insgesamt 41 Plätzen. Das ist gerade mal ein Platz auf etwa 690 Betroffene [Polizei-Stsatistik 2021, BMI]. Bei jedem zweiten Mann, der hier Zuflucht sucht und abgewiesen wird, ist der Grund Platzmangel. Der Bedarf an Männerschutzeinrichtungen ist also durchaus gegeben, jedoch existieren solche Einrichtungen derzeit nur in fünf Bundesländern [Homepage Männergewaltschutz].

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Keine Männerschutzeinrichtung in Berlin

Berlin ist keines davon. Die Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung sieht sich für die Förderung einer solchen Einrichtung nicht zuständig und weist darauf hin, dass "Frauen ein höheres Risiko haben, schwere, bedrohliche und lebensgefährliche Gewalt in heterosexuellen Paarbeziehungen zu erleben als Männer."

Das möchte niemand bestreiten. Betroffenen Männern wie Clemens hilft das wenig. An jenem Abend auf der Brücke ist es ein Hupgeräusch, das ihm im letzten Moment das Leben rettet. "Mir wurde plötzlich klar, dass ich nicht sterben wollte, sondern einen Ausweg suchte."

Clemens greift nach einem letzten Rettungsanker und geht freiwillig in die offene Psychiatrie. Dort findet er die Kraft, die Beziehung endgültig zu beenden. Heute glaubt er wieder an die Liebe. Und doch: Hätte er früher Hilfe gefunden, hätte er sie dankend angenommen, sagt er heute. So wäre ihm womöglich einiges erspart geblieben.

Sendung: Jetzt mal konkret, 15.3.2023, 16 Uhr

Beitrag von Alexandra Friedmann

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