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Quelle: imago-images/Antonia Guillem

Der Absacker

Mit der absolut langweiligsten App durch die Krise

Als das letzte Mal eine App für so viel Gesprächsstoff sorgte, musste man mit dem Handy knatschbunte Monster im Alltag fangen. Nun können sich vor allem diejenigen freuen, bei denen auf dem Handy eins passiert: nichts. Von Haluka Maier-Borst

Viele Bonmots der deutschen Internetgeschichte zeugen nicht gerade von einer Vorreiterrolle. Mit dem Satz "Bin ich schon drin" outete sich Boris Becker nicht als IT-Spezialist. Angela Merkel belegte mit dem "Neuland"-Vergleich, dass sie sich mit dem Internet eher schwer tut. Und wer in anderen Jahren an Weihnachten und Ostern zu den Eltern fährt, weiß, wie kompliziert für manchen das Einrichten des WLANs allein schon ist. Aber nun könnte sich unerwartet die Chance bieten, unsere Netzkompetenz zu beweisen. Tun müssen wir dafür denkbar wenig.

1. Was vom Tag bleibt

Da ist sie nämlich, die Corona-Warn-App. Ich habe die App heute Morgen installiert und sagen wir es mal so, es ist keine App, die mit brilliantem Design oder tollem Spielerlebnis überzeugt. Weder geht es darum, irgendwelche digitalen Pokémon vor der Dönerbude zu schnappen, noch verbringt man die Zeit damit, das eigene Herzblatt zu finden. Man stellt die App an und hofft, nie mehr etwas von ihr zu hören. Sie ist gewissermaßen der Feuermelder unter den Apps. Was Sie alles zur App wissen müssen, können Sie hier nachlesen.

Außerdem wird dieser Tage zugleich klar, dass die App allein uns nicht aus dieser Krise helfen wird. Denn die Menschen müssen sich auch an etwaige Quarantäne-Vorgaben halten, sollte das Handy Alarm schlagen. Wie schwierig das mit der dafür nötigen Disziplin sein kann, zeigt aktuell das noch ganz analoge Beispiel des Ausbruchs in Neukölln. Denn der örtliche Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) räumt ein, dass man Mühe habe, gewisse Quarantäne-Betroffenen dazu zu bekommen, nicht raus zu gehen.

2. Abschalten.

Passend zur vielleicht langweiligsten App seit Langem sei hier verwiesen auf ein Loblied auf die Langeweile. Das hat nämlich der Autor Christoph Drösser vor einigen Jahren geschrieben. Es geht darum, wie sehr inzwischen für uns alle das Handy zum "Schnuller für die Hand" geworden ist [zeit.de] und es verhindert, dass wir uns langweilen – und kreativ werden. Also will ich es hier auch kurz halten und einfach dazu raten rauszugehen -  und das Handy mit angeschalteter Corona-Warn-App in der Hosentasche zu lassen. Und wenn Sie vorher noch schauen wollen, welche Parks denn in der Nähe wären, um auf der Parkbank rumzulümmeln, dann seien Sie noch mal auf diesen Text von uns verwiesen.

Wer ich bin

Großstadtchaos statt Alpenpanorama, Brandenburger Seen statt britisches Meer. Haluka Maier-Borst war schon an ein paar Orten und hat immer die falsch-richtige Wahl getroffen. Für Berlin. Jetzt sitzt er im Wedding und gönnt sich hin und wieder einen Absacker mit seinen Kolleginnen und Kollegen – und damit eine kleine Pause von der Nachrichtenlage. Vorerst allerdings nur digital aus dem Homeoffice.

3. Und, wie geht's?

Heute zu Wort kommen Rafael und seine Freundin, die eigentlich anders heißen, aber anonym bleiben möchten. Er ist Lehrer, sie Erzieherin und sie sehen derzeit die Lockerungen mit gemischten Gefühlen:

Was soll man dazu sagen. Eigentlich geht es uns gut. Wir haben wenig Zeit damit verbracht uns zu beschweren, denn anders als vielen stand uns ein Garten zur Verfügung. Und wir taten aus Vernunft und Überzeugung alles, um eine Ansteckungsmöglichkeit für uns und unsere Umwelt zu vermeiden.

Und während andere Schulen schon geschlossen hatten, saßen wir noch mit 30 Kolleginnen in einem Raum und diskutierten über die Notengebung und Inhalte. Meine Freundin führte die Notbetreuung durch und ich versuchte, den Kontakt zu meinen Schülern nicht zu verlieren.

Wie wir nun erfahren durften, bekamen die ErzieherInnen eine Urlaubssperre in den Sommerferien und in der Hortbetreuung wird ein Personalschlüssel von 1:22 angestrebt. Die Senatsverwaltung wünscht in diesem Rundschreiben viel Spaß und Freude in der Ferienbetreuung und empfiehlt Besuche im Zoo oder anderen öffentlichen Orten (wie war das noch mit der Aufsichtspflicht?). Nach dem Ferien gibt es keine Abstandsregeln und Regelbetrieb an einer Schule mit 1.100 SchülerInnen und über 150 KollegInnen, in der nicht einmal alle Räume belüftet werden können.

Wie würden Sie sich fühlen? War jetzt alles umsonst? Übertreiben wir, wenn wir sagen, dass wir Angst haben oder etwas gereizt sind, nur weil wir beide bereits an unseren Schulen direkte Covid-Fälle hatten und die Konsequenzen kennen? Die Antwort ist, dass unsere Gefühle ambivalent sind und wir beide der Meinung sind, dass wir in der letzten Zeit eine Menge über die Gesellschaft, Wertschätzung und Misstrauen sowie uns selbst gelernt haben. Zudem werden wir eine Weile benötigen, um die Zeit zu reflektieren und die aufgerissenen Wunden in allen Bereichen zu versorgen.

Wie schauen Sie auf die allmählichen Lockerungen? Fühlen Sie sich in diesen Zeiten genügend wertgeschätzt? Schreiben Sie uns bitte weiterhin an: absacker@rbb-online.de.

4. Ein weites Feld...

Ich will selbst schnell raus und das Wetter genießen. Und auch über die Worte von Rafael und seiner Freundin nachdenken. Entsprechend wünsche ich Ihnen nur:

Genießen Sie den Sommertag und passen Sie auf sich auf

Ihr Haluka Maier-Borst

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