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Audio: Inforadio | 13.04.2021 | Interview mit Carl Gierstorfer | Quelle: rbb/DOCDAYS/Carl Gierstorfer

Interview | Doku "Charité intensiv: Station 43"

"Trotz der Heftigkeit der Fälle gab es eine unglaubliche Menschlichkeit"

Auf der Charité-Station 43 kämpfen Mediziner und Pflegepersonal um das Überleben schwer erkrankter Covid-19-Patienten. Der Dokumentarfilmer Carl Gierstorfer durfte den Alltag auf der Intensivstation begleiten. Über seine Erlebnisse spricht er im Interview.

rbb: Herr Gierstorfer, wenn es im Kampf gegen Covid-19 eine vorderste Linie gibt, dann sind Sie dorthin gegangen. Wie ist die Situation auf der Intensivstation?

Carl Gierstorfer: Es ist ein harter Kampf, der natürlich vor allem mit menschlichem Einsatz von Pflegern, Ärzten und Service-Personal geführt wird. Er wird auch mit maschinellem Aufwand betrieben. Auf der 43 im Speziellen bedeutet das, dass man sich auf Organersatz-Therapien spezialisiert hat und schon vor der Pandemie sehr viel Erfahrung mit Lungenersatz-Therapien gesammelt hatte. Und deshalb wurde das bei der Behandlung von sehr schweren Covid-Verläufen sehr wichtig. Deshalb kommt die sogenannte ECMO, die Lungenersatzmaschine, zum Einsatz. Und das ist wirklich der Faktor, der diesen Patienten überhaupt noch eine Überlebenschance bietet.

Damit beginnt auch eine der insgesamt vier Folgen von "Charité intensiv: Station 43", die die Arbeit mit diesen Maschinen dokumentiert. Wie arbeiten diese?

Das ist ein riesengroßer medizinischer Eingriff. Diese ECMO-Maschine funktioniert so, dass fast der gesamte Blutkreislauf über die Maschine geschleust wird durch eine Membran. Dort wird das Blut mit Sauerstoff angereichert. Das CO2 wird abgeleitet, und das funktioniert natürlich nur, wenn man große Zu- und Abgänge in den Körper legt. Unter teilweise hohem zeitlichen Druck, weil die Patienten schon kritisch sind, müssen Schläuche gelegt werden. Die sind fast so dick wie Gartenschläuche. Und das ist ein großer und heftiger Eingriff.

Das Personal arbeitet unter extremem Druck. Das ist bestimmt auch psychisch nicht leicht zu verkraften.

Das ist die größte Belastung. Diese Zeit zwischen kurz vor Weihnachten bis Mitte Januar war extrem. Die Ärzte und Pfleger sind es gewöhnt, weil es eine Intensivstation ist, die schon immer schwere Fälle behandelt hat, dass sie mit dem Tod konfrontiert sind. Nur in dieser Taktung, in dieser Heftigkeit was es für alle neu. Das große Problem ist, dass sie nicht die Zeit gefunden haben, das physisch oder psychisch zu verarbeiten. Es gab nicht genügend Pausen, nicht genügend Zeit der Erholung dazwischen, um das zu verarbeiten. Jeder denkt wahrscheinlich darüber nach, ob man es damit abgehakt hat, oder ob es in irgendeiner Form wieder hochkommt. Eine Ärztin sagte mir, jeder denkt darüber nach, ob eine dritte Welle kommt und ob jeder das nochmal so durchstehen kann, wie in der zweiten Welle.

Mich hat auf der Station 43 zutiefst überrascht, trotz der Heftigkeit der Fälle, dass eine unglaubliche Menschlichkeit immer da war. Ich hätte eigentlich das Gegenteil erwartet, dass man sich, wenn man sich dem ständig aussetzt, auch viel mehr emotional schützt und distanziert. Aber was ich jeden Tag gesehen habe, waren Momente großer Menschlichkeit. Das war eigentlich mein Hauptmotiv, was mich geleitet hat, den Film zu machen. Ich wollte das auch transportieren, denn es wird viel gestorben und es ist auch sehr traumatisch, was man sieht. Was bei mir aber hängen bleibt, ist, dass sich dort das Menschsein auf so vielfältige Art und Weise manifestiert hat, dass ich fast immer noch sprachlos bin.

Es wird in den vier Folgen mehrmals festgehalten, wie Menschen auf der Station 43 sterben. Man hört oft diesen Piep-Ton der Maschinen, den Sie in Bild und Ton festhalten.

Das habe ich mehrmals miterlebt und auch mehrmals dokumentiert. Wenn das Piepen beendet ist, ist das ein besonderer Moment. Das ist der Moment, wenn ein Mensch verstirbt. Ich habe eine Frau begleitet, deren Mann auf der Station lag und auch verstorben ist. Die Frau ist sehr gläubig, und sie hat am Bett ihres Mannes sehr schön gesungen. Dieser Moment hat mich unglaublich berührt. Man hat nicht nur das Piepen, sondern auch das Blinken der Maschinen wahrgenommen. Und dann dieser Gegensatz der Maschinen und der Hoffnung, dem Glauben, der Liebe, all das. In diesem Moment habe ich mich gefragt, ist es eigentlich ein Gegensatz oder ist es in sich auch komplementär? Irgendwie wurde mir auch klar, dass die Maschine nur ein Teil dessen ist, was auf der Station 43 passiert.

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Der andere Teil ist natürlich, dass die Maschinen ohne die Empathie, ohne das Mitgefühl, ohne die Liebe und Zuneigung nichts sind. Weil, wenn ich dort als Patient liege, weiß ich ja, die Maschine rettet mir das Leben. Aber das habe ich auch oft in Gesten, Blicken und Gesprächen gesehen. Das allermeiste, was man natürlich will, ist Zuneigung und Zusprache. Jemanden da zu haben, der einen versteht. Und wenn die Maschinen anzeigen, dass sie die Aufgabe, die ihm zugedacht ist, nämlich das Leben zu retten, nicht mehr erfüllen können, treten der Mensch beziehungsweise die Angehörigen wieder in den Vordergrund. Umso menschlicher wird dann auch wieder diese Szene.

Ist es eine Dokumentation über das Leben oder über den Tod?

Über beides. Mir ist dort bewusst geworden, dass Leben und Tod wahnsinnig nahe beieinander sind. Es sind alles Klischees, die man immer sagt, die jeder gehört hat: Genieße jeden Tag deines Lebens, schätze jeden Tag deines Lebens, an dem du gesund bist. Das wird einem dort unglaublich bewusst. Vor meiner Erfahrung auf der Station 43 ist ein Wort aus meinem Wortschatz verschwunden: Demut. Das habe ich nicht mehr benutzt in meinem Leben.

Und dieses Wort ist sehr oft gefallen auf der 43. Und da ist mir auch klar geworden, dass in diesem Wort Demut so viel steckt. Da ist nicht nur Demut vor dem Leben, Demut vor der Tatsache, dass man gesund ist oder der Tatsache, dass man krank ist. Oder Demut vor der Medizin, was sie kann, was sie nicht kann. Aber auch Demut auch vor dieser gesamten Situation, der wir uns jetzt ausgesetzt sehen. Es gibt einfach Mächte oder Prozesse, die sind größer als wir und die können wir nicht kontrollieren. Und da können wir nur versuchen, uns dem zu stellen. So gut wie möglich.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Carl Gierstorfer führte Christian Wildt, Inforadio.

Der Text ist eine gekürzte und redaktionell bearbeitete Fassung. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: Inforadio, 13.04.2021, 10:45 Uhr

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