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Audio: Inforadio | 17.05.2021 | Michael Ernst | Quelle: dpa/Jörg Carstensen

Nach Schwerpunktimpfung

Neuköllner Amtsarzt fordert mehr Impfberatung für Migranten

Bei einem Pilotversuch in Neukölln sind am vergangenen Wochenende in Kiezen und Quartieren rund 2.200 Menschen gegen das Coronavirus geimpft worden. Der Neuköllner Amtsarzt fordert nun eine gezielte Impfberatung für Menschen mit Migrationshintergrund.

Der Amtsarzt in Berlin-Neukölln, Nicolai Savaskan, fordert eine gezielte Impfberatung für Menschen mit Migrationshintergrund. Das sagte der Mediziner nach der ersten Berliner Schwerpunktimpfung in Berlin am vergangenen Wochenende.

Die Schwerpunktimpfung in Neukölln sei ein guter Anfang, so Savaskan. Türkisch- oder arabischstämmige Berliner hätten sich damit aber deutlich schwerer erreichen lassen als Menschen mit Englisch oder Spanisch als Muttersprache. Deshalb müsse jetzt eine Feinjustierung in sozialen Brennpunkten folgen. "Flugblätter allein reichen da nicht", betonte der Mediziner. Neuköllns Amtsarzt schlägt deshalb individuellere Beratungen und Impfangebote vor, zum Beispiel über das Quartiersmanagement.

Bei einem Pilotversuch in Neukölln sind am vergangenen Wochenende rund 2.200 Menschen gegen das Coronavirus geimpft worden - rund 1.000 mehr als ursprünglich geplant. Berechtigt waren rund 10.000 Menschen aus Kiezen mit hohen Ansteckungszahlen. "Wir haben vor allem die Menschen erreicht, die schon gut informiert waren", sagte Savaskan. Das sei gut, denn sie seien nun wie Schutzschilde in ihren Wohnquartieren. Doch es sei nur rund ein Fünftel aller Eingeladenen.

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Beratung möglichst in der Muttersprache

Um bei solchen Schwerpunktimpfungen künftig mehr Menschen mit türkischen und arabischen Wurzeln zum Impfen zu motivieren, sei mehr Zeit bei der Beratung nötig - möglichst in ihrer Muttersprache, erklärte Savaskan. Diese Bevölkerungsgruppe konsumiere mitunter wenig deutsche Medien. Fünf Minuten vor der Impfung reichten nicht, um Vertrauen zu gewinnen.

So hätten sich zum Beispiel bei einem schnell organisierten Impfangebot in Unterkünften für Geflüchtete in Neukölln am Ende nur rund fünf Prozent der Bewohner impfen lassen. Dort seien unter anderem Impfmythen über Unfruchtbarkeit kursiert. Es habe auch Misstrauen gegenüber den angebotenen Vektor-Impfstoffen gegeben.

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Streetworker und Ärzte in den Quartieren unterwegs

Bisher setzen Savaskan und sein Team in der Pandemie in Neukölln ganz bewusst Akzente, die auf Quartiere mit hohem Migrantenanteil zugeschnitten sind. Sie haben "Parkrunden" eingeführt, bei denen ein Arzt vom Gesundheitsamt und ein Streetworker Jugendliche an ihren Treffpunkten besuchen. Sie verteilen FFP2-Masken, beraten über Impfstoffe und sinnvolle Hygiene-Maßnahmen. In Einkaufszentren laufen Filme, in denen Neuköllner Hausärzte übers Impfen sprechen. Dazu gibt es mobile Beratungen auf Neuköllner Wochenmärkten - begleitet von einem interkulturellen Team, das bis zu 13 Fremdsprachen bietet. Auch ein Arzt des Gesundheitsamtes sitzt in einem Anhänger und berät.

Savaskan fände es nur folgerichtig, wenn Ärzte des Gesundheitsamts nach all dieser Vorarbeit auch impfen dürften - zum Beispiel über das Quartiersmanagement. "Aber darauf hat das Land die Hand gelegt", kritisierte der Amtsarzt. "Wir dürfen die schärfste Waffe im Kampf gegen diese Pandemie selbst nicht nutzen." Die Gesundheitsverwaltung lässt diese Kritik bisher nicht gelten. Die Gesundheitsämter hätten mit der Kontaktnachverfolgung schon genug zu tun, heißt es dort.

Um die Pandemie zu beenden, müssen nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts rund 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sein oder eine Infektion durchgemacht haben. Für diese Größenordnung müssten auch skeptische oder schlechter informierte Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen erreicht werden, betonte Savaskan.

Sendung: Abendschau, 17.05.2021, 19:30 Uhr

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