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Quelle: dpa / Annette Riedl / Grafik: rbb|24

Was wurde aus ...? | Berliner Feuerwehrmann

"Hier ist irgendwas mit mir passiert. Irgendwas ist kaputtgegangen"

2018 demonstrierten Feuerwehrleute vor dem Roten Rathaus, um mit der Aktion "Berlin brennt" auf ihre immer belastenderen Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen. Gut vier Jahre später die Frage an einen damaligen Teilnehmer: Was hat sich geändert?

In der Interviewserie "Was wurde aus ...?" fragen wir nach bei Menschen, deren Geschichten uns besonders bewegt haben. 2018 berichteten wir anlässlich der Proteste von Feuerwehrleuten über die Zustände bei der Berliner Feuerwehr und sprachen dafür mit mehreren Quellen. Keine wollte namentlich genannt werden, aus Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Eine davon war dieser Feuerwehrmann.

rbb|24: Was machen Sie gerade?

Feuerwehrmann*: Momentan bin ich zu Hause. Ich bin seit Februar nicht mehr bei der Berliner Feuerwehr. Nach fast 15 Jahren im Dienst war ich mit meinen Kräften am Ende.

Was ist passiert?

Ich bin ausgebildeter Feuerwehrmann, als Zusatzqualifikation aber auch Rettungsassistent. Ich habe am Ende nur noch im Rettungswagen gesessen und Einsätze gefahren. Es blieb immer weniger Zeit zur Erholung. Aber das Schlimmste ist, dass man keine Perspektive hat, dass man da jemals wieder runterkommt und seinen eigentlichen Job als Feuerwehrmann machen kann. Manchmal haben wir uns gefühlt wie Taxifahrer, weil wir so sinnlose Einsätze wegen Bagatellen fahren mussten. Irgendwann habe ich diese Perspektivlosigkeit nicht mehr ausgehalten und bin nervlich zusammengebrochen. Da habe ich mir Hilfe gesucht.

2018

Rückblick auf 2018

Ausgebrannt

Berliner Feuerwehrleute protestieren vor dem Roten Rathaus, aus der geplanten einen Woche werden nun zwei. Sie seien mit ihren Kräften am Ende, berichten die Retter,  - und das werde für die Bürger zur Gefahr. Von Sebastian Schneider

Wie hat sich das geäußert?

Meine Frau hat es zuerst gemerkt: Ich konnte zuhause nicht mehr abschalten. Wenn ich früher nach Hause gekommen bin, war die Arbeit aus meinem Kopf. Aber zuletzt sind meine Gedanken immer wieder um dasselbe gekreist: Wie komme ich von dieser Belastung runter, wie soll es weitergehen, wie soll ich dieses Pensum 25 Jahre schaffen? Ich hatte immer nur das Gefühl, ich müsste gegen meinen eigenen Arbeitgeber kämpfen. Dabei liebe ich diesen Job ja. Aber so hat es keinen Spaß mehr gemacht.

Was hat Ihnen den Spaß genommen?

Fast alles. Über die Belastung habe ich schon gesprochen, aber auch der Druck ist viel größer geworden. Die Leute achten mehr auf Fehler, man wird mehr sanktioniert, hat weniger Freiraum, spürt weniger Vertrauen. Für die im Büro ist es einfach: "Fahrt, fahrt", heißt es da nur. Ja? Wann warst Du das letzte Mal auf der Straße?

Ein guter Vorgesetzter würde auch einfach so mal mitfahren und aushelfen - um zu zeigen: Jungs, ich stehe hinter euch, ich sehe, was ihr leistet und ich erkenne das an. Wenn er merkt, meine Leute sind am Ende, die fahren die sechste, siebte Schicht hintereinander. Macht aber kaum einer. Weil sie wissen, wie schlimm es ist.

Woran, denken Sie, liegt das?

Die Führung hat immer noch nicht verstanden, dass es nicht mehr so weitergeht, dass jeder die 112 wegen irgendwelcher Bagatellen ruft. Unser ärztlicher Leiter Herr Poloczek steht auf der selben Stufe wie der Landesbranddirektor. Er ist der einzige, der in der Verantwortung steht - und somit sichert der sich natürlich lieber ab. Also kommt bei jedem Mückenstich ein Rettungswagen, weil es so im Rettungsdienstgesetz steht. Aber dieses System geht auf Kosten von uns Berufsfeuerwehrleuten und am Ende auch auf Kosten der Bevölkerung. Da müsste man ran.

Wie könnte das gehen?

Zuerst mal das Rettungsdienstgesetz ändern, damit nicht jeder Mensch die Berliner Feuerwehr anzeigen kann, weil der Rettungswagen nicht zum Mückenstich gekommen ist. Wir fahren zu 90 Prozent zu Bagatellfällen, wo kein Rettungswagen benötigt wird. Juristisch muss das geklärt werden. Es kann nicht sein, dass ein einziger juristisch in der Verantwortung steht, mit der Konsequenz, dass wir zu den schweren Fällen zu spät kommen. Etwas überspitzt gesagt: Ich kann ja nicht zu zehn Mückenstichen ausrücken, aber den Herzinfarkt, für den wir eigentlich ausgebildet sind, den erreichen wir nicht.

In den vergangenen Wochen hat die Innensenatorin Verbesserungen angekündigt. Zum Beispiel werden Codes bei der Annahme von Notrufen angepasst. Fälle mit diesen standardisierten Codes werden an die Kassenärztliche Vereinigung abgegeben, ein Rettungswagen muss also dafür nicht mehr raus. Was halten Sie davon?

Es ist ein Anfang, reicht aber bei weitem nicht aus. Wir sprechen hier von 14 Codes – das ist ein Tropfen auf den heißen Stein, bei den ganzen Alarmierungen. Umgerechnet bedeutet das ungefähr 100 Einsätze, die pro Tag an die KV abgegeben werden – von insgesamt etwa 1.700. Das hilft nur begrenzt. Wir müssen grundsätzlicher an dieses System ran.

Wenn wir nochmal zur "Berlin brennt"-Aktion ins Frühjahr 2018 zurückgehen: Wie haben Sie diese Tage damals erlebt?

Das war zunächst mal eine sehr gute Aktion, die war ja recht groß. Sie wurde natürlich auch belächelt, aber ich war da noch optimistisch. Ich dachte: Jetzt stehen alle auf, in den Medien wird groß berichtet, es wird Veränderungen geben. Dass die eine Weile dauern, zwei, drei Jahre, das war mir auch klar.

Aber dann ist nichts passiert, es wurde für uns trotzdem immer mehr. "Wir bilden aus, aus, aus", haben sie uns versprochen, um endlich Entlastung zu schaffen. Bei uns kam nichts davon an. Wenn der damalige Senator Herr Geisel sich hingestellt und gesagt hat: "Wir haben verstanden" - da muss ich sagen: Die haben gar nichts verstanden.

Zum einen fehlten Ihnen also auch danach die Leute. Wie sah es mit der versprochenen Bezahlung aus?

Das Finanzielle wurde verbessert, aber das war nicht nur in Berlin der Fall. Das Geld ist auch nicht der Grund, warum wir kämpfen. Das Geld ist in Ordnung, wir kommen damit klar. Wir wollen einfach unseren Job ordentlich ausführen, wir wollen ihn richtig machen. Das haben die Führungskräfte immer noch nicht kapiert. Die schleifen uns immer, immer mehr, auf Kosten der Gesundheit. Ich möchte nicht wissen, wie viele Kollegen zuhause sind, weil sie nicht mehr können – so wie ich. Oder die in andere Bundesländer abwandern.

Wo gehen die hin?

Brandenburg, Schleswig Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern, die suchen ja überall. Ich kenne persönlich 40 Feuerwehrleute, die alleine in den letzten vier Jahren abgewandert sind. Berlin ist riesengroß – ich möchte nicht wissen, wie viele Hunderte gegangen sind.

Wenn Sie mit dem heutigen Wissen nochmal so eine Aktion wie "Berlin brennt" sehen würden. Würden Sie etwas anders machen?

Ich würde heute an dieser Aktion nicht mehr teilnehmen, ich habe jetzt resigniert. Wir haben viel Energie aufgewendet und wurden doch nur wieder enttäuscht. Das Problem ist politisch: Wir werden das Rettungsdienstgesetz nicht ändern. Ich finde es aber gut, dass Frau Spranger endlich mal die Feuerwehrführung in die Pflicht genommen hat und sie selbst jetzt erstmal entscheidet. Ich hatte zuvor auch große Hoffnungen in den neuen Landesbranddirektor gesetzt. Aber außer großen Tönen war dann nichts, im Gegenteil. Es hat sich nur noch weiter verschlimmert.

Was ist in den Jahren danach passiert?

Noch viel mehr Einsätze. Der Rettungsdienst rückte auf der Prioritätenliste noch weiter nach oben. Es wurden noch mehr Löschfahrzeuge außer Dienst genommen. Die Leute sind nur noch zwischen den Dienststellen gewandert.

Das bedeutet, Sie sind von ihrer üblichen Dienststelle immer dorthin, wo an dem Tag wieder Lücken waren.

Genau. Der Ausnahmezustand war früher das, was das Wort sagt: die Ausnahme. Heute ist er fast Normalzustand. Das kann doch nicht richtig sein. Berlin hat Glück gehabt, das bis jetzt nichts großartig passiert ist. Auch die Qualität leidet.

Können Sie das genauer beschreiben?

Oben werden immer mehr Stellen geschaffen, aber sie sind falsch verteilt. Uns fehlen die Notfallsanitäter, die im Rettungswagen verantwortlich sind. Kollegen haben sich zum Notfallsanitäter ausbilden lassen, dadurch waren sie bei den Dienstleistungsberichten in der Benotung besser. Und schwupps haben die sich zum Zugführer beworben, das ist der gehobene Dienst. Fast 100 junge, fertig ausgebildete Notfallsanitäter - die sind jetzt weg. Die sitzen jetzt auf dem Löschfahrzeug oder im Büro, nicht im Rettungswagen. Die fehlen auf der Straße. Was ergibt das für einen Sinn?

Die Feuerwehr ist eine Behörde. Müsste man was an den Strukturen ändern?

Die Strukturen sind einfach viel zu altbacken. Heutzutage machen es doch die ganzen jungen Firmen, aber generell alle mit einem vernünftigen Personalmanagement, vor. Warum kann man solche Impulse aus der Wirtschaft nicht mal übernehmen? Warum kann ich so ein externes Personalentwicklungsteam nicht mal bei der Feuerwehr einsetzen und das macht dann Vorschläge, wie man die Motivation und die Mitarbeiterentwicklung verbessern kann? Weil da jeder seine eigene Suppe kocht und jeder Feuerwehrmann meint: Na ich kann Personal leiten, Unterstützung von außen brauch ich keine.

Nee, können viele eben nicht. Nur weil sie mal einen Lehrgang besucht haben, haben sie noch keine Ahnung, wie man in einer Behörde mit 4.000 Leuten richtig mit Personal umgeht. Deswegen fände ich es richtig, dass sich das externe Fachleute ansehen und diese Strukturen mal aufbrechen.

Im Februar haben Sie erstmal aufgehört. Wie lief es für Sie in den Tagen und Wochen davor?

Ich war schon einige Zeit mit einem Psychologen in Kontakt, weil ich nicht mehr in der Lage war, als Chef im Rettungswagen mitzufahren. Ich hab dringend eine Pause gebraucht. Da habe ich erfahren, dass die Behörde dagegen vorgehen will. Das lassen die sich natürlich nicht gefallen. Als ich davon gehört habe, habe ich geheult. Ich wusste, die wollen an mir ein Exempel statuieren, weil ich mich wehre.

Weshalb?

Sie können sich einfach nicht erlauben, dass das eine Welle schlägt und dann mehrere Verantwortliche sagen: Okay, ich kann nicht mehr, ich zieh jetzt auch die Notbremse. Also versuchen sie Druck aufzubauen, das spricht sich rum und dann sagt der andere: Nee lass mal, ich hab Angst. Ich wehre mich, aber neun von zehn Feuerwehrleuten wehren sich aus meiner Erfahrung nicht. Die sind dann irgendwann komplett ausgebrannt, verlassen ihre Familien, werden Alkoholiker. Soweit möchte ich es auf keinen Fall kommen lassen, deswegen habe ich Konsequenzen gezogen, als ich gemerkt habe: Hier ist irgendwas mit mir passiert. Irgendwas ist kaputtgegangen.

Welche Folgen hatte das bis jetzt für Sie?

Personal von der Wache, auf der ich immer war, ist jetzt versetzt worden – ich war natürlich auch dabei, trotz meiner Krankheit. Beamtenrechtlich ist das zulässig, aber es ist der nächste Nackenschlag für mich. Ich verliere meine Kollegen, mit denen ich gerne zusammen war und mit denen ich mich ausgetauscht habe. Das sind Jungs die ich seit zehn, 15 Jahren kenne, das wäre doch eine Motivation für mich gewesen, wieder zurückzukehren. Das ist, als ob man mir meine Familie wegnimmt.

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Wie geht es Ihnen jetzt?

Der Abstand hat mir gutgetan, ich bin wieder zur Ruhe gekommen. Ich habe in meinem privaten Umfeld andere Aufgaben gehabt, an die Feuerwehr habe ich irgendwann gar nicht mehr gedacht, bin auch aus Chats von Kollegen ausgetreten. Ich wollte nichts mehr davon lesen und wissen. Aber ich weiß ja, dass ich irgendwann wieder einen Weg finden muss. Ich weiß nur gerade noch nicht, wohin.

Was könnten Sie sich vorstellen?

Ich habe mich bei der Feuerwehr in einem anderen Bundesland beworben, weil es dort ruhiger ist. Das könnte eine Perspektive sein. Ich könnte mir auch vorstellen, meinen Beamtenstatus wieder aufzugeben. Beamter zu sein ist ein Privileg, aber es ist nicht alles im Leben. Viele bei der Feuerwehr waren vorher Handwerker, ich auch. Das Geld ist nicht mehr das Gleiche, klar, auf dem Bau ist es hart und schwierig. Aber man hat keine Nachtschichten mehr, einen geregelten Arbeitstag. Aber das wäre der worst case, da bin ich ehrlich. Ich liebe meinen Beruf ja, ich bin gerne Feuerwehrmann.

Aber nicht mehr so.

Richtig. Nicht mehr unter diesen Bedingungen.

Was würden Sie Ihrem jüngeren Ich am ersten Arbeitstag bei der Feuerwehr raten?

Mach keine Zusatzqualifikation für den Rettungsdienst. Die wird mir jetzt zum Verhängnis – ich werde sie nicht mehr los. Ansonsten immer seinen Mund aufmachen und sich nicht erpressen lassen, sonst verbrennt man noch viel schneller.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sebastian Schneider, rbb|24

*auf Bitte des Gesprächspartners bleibt dieser anonym.

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