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Audio: Inforadio | 05.08.2019 | Dietmar Ringel | Quelle: rbb/Rainer M. Schulz

Interview | Doku "Die jüngsten Opfer der Mauer"

"Mehr als 30 Kinder sind ertrunken oder wurden erschossen"

Unter den Opfern an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze waren auch Kinder und Jugendliche. Die Dokumentation "Die jüngsten Opfer der Mauer" widmet sich dem Thema. Regisseurin Sylvia Nagel spricht im Interview über die Taten an der Grenze.

rbb: Frau Nagel, was ist da passiert an den Grenzen? Wieviele Kinder sind betroffen, welche Ereignisse muss man sich da nochmal ins Gedächtnis zurückrufen?

Sylvia Nagel: Ganz verlässliche Zahlen - also die wissenschaftlich erhoben sind - gibt es nicht, aber es sind auf jeden Fall mehr als 30 Kinder und Jugendliche gewesen, die entweder in der Spree ertrunken sind oder die erschossen wurden. Das hatten wir vorher so in dem Ausmaß auch nicht gewusst, und deshalb haben wir diesen Film gemacht. Wir kannten nur einige Todesfälle und haben dazu Zeitzeugen gesucht. Einige haben wir dann gefunden und für den Film befragt.

Programmhinweis

Die rbb-Dokumentation "Die jüngsten Opfer der Mauer" läuft am 05.08.2019 um 23.20 Uhr im Ersten. Anschließend ist die Doku bis zum 04.09.2019 in der ARD-Mediathek verfügbar.

Wo genau in Berlin und an anderen Orten der Grenzanlagen ist denn so etwas passiert?

Hier in Berlin zum Beispiel am ehemaligen Gröbenufer in Kreuzberg, wo Westkinder zum Spielen dort waren. Ein Kind rutschte aus, fiel ins Wasser und ertrank innerhalb von drei Minuten. Wir wissen nicht genau, ob jemand direkt am Ufer war, aber selbst wenn - die Person wäre nicht hinterher gesprungen, weil sie befürchten musste, von DDR-Grenzern auf der Oberbaumbrücke erschossen zu werden. Andere Fälle haben sich an der Elbe abgespielt - wo die Grenzsicherung noch nicht so stark ausgebaut war und im Harz, wo die Grenze mit Minen und Selbstschussanlagen gesichert war.

In den 1970er Jahren gab es eine gewisse Normalisierung durch Absprachen zwischen Ost und West. Was wurde dann anders?

1973 haben der Berliner Senat und die DDR-Staatsführung Verhandlungen aufgenommen, weil zu dem Zeitpunkt schon drei Kinder gestorben waren. 1975 kam es zu einem Vertrag, da waren bereits fünf Kinder ertrunken. Danach hieß es, man wollte Zäune und Hinweisschilder aufbauen und es hieß, wer zuerst am Unfallort ist, dürfe helfen. Also auch die Westberliner.  

Wie nah waren die Menschen, die sie getroffen haben, noch an den Ereignissen dran - sie liegen ja schon Jahrzehnte zurück?

Sehr nah. Wenn man mit ihnen filmisch arbeitet, kommen die ganzen Emotionen wieder hoch. Uns als Filmemacher haben auch die Stasi-Akten schockiert, also die Grausamkeit des Regimes: Wie Fälle verschleiert wurden, wie eine Schweigepflicht über die Todesfälle verhängt wurde. Das war schon erschreckend.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dietmar Ringel für Inforadio. Dieser Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung. Das komplette Interview können Sie oben im Beitrag als Audio abrufen.  

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