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Audio: rbb24 | Di 30.08.22 | Schönfelder, I. | Quelle: imago images

Wie sich Berlin ans Klima anpasst

"Beim Thema Schatten ist de facto nichts passiert"

Ein trockener Sommer mit Rekordtemperaturen liegt hinter Berlin. Und was tut die Stadt, um die Hitze erträglicher zu machen? Schon 2016 hatte sich der Senat vorgenommen, für mehr Schatten zu sorgen. Warum ist seitdem so wenig passiert? Von Anne Kohlick

Ein Windhauch zieht durch die Straße, Wasser verdunstet an begrünten Fassaden, im Schatten einer Pergola wartet eine Bank auf müde Fußgänger: Dieses Idealbild einer hitzeangepassten Großstadt zeichnet der "Stadtentwicklungsplan Klima" von 2016 für Berlin [stadtentwicklung.berlin.de | PDF]. In diesem Papier hatte sich der damals noch rot-schwarze Senat vorgenommen, die Hauptstadt im Sommer abzukühlen. Als wichtigste Maßnahmen dafür nennt der Plan: durchlüften, durch Verdunstung kühlen und mehr Flächen in der Stadt verschatten.

Doch besonders im Hinblick auf Schatten hat sich die Lage in Berlin seitdem eher verschlechtert als verbessert - obwohl die Grünen seit Herbst 2016 mitregieren: Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hat vorgerechnet, dass die Hauptstadt von 2012 bis 2019 im Schnitt 1.100 Straßenbäume pro Jahr verloren hat - dabei versucht eine Senatskampagne bereits seit zehn Jahren, die Zahl der Stadtbäume zu erhöhen. Die Neuanpflanzungen können bislang aber nicht einmal die Zahl der gefällten Bäume ausgleichen - die meisten fallen Sturmschäden, Schädlingsbefall oder Trockenheit zum Opfer.

Der Platz vor dem Humboldt-Forum - "ein Desaster"

Weiterhin entstehen in Berlin neue große Plätze, vollständig versiegelt, ohne Schatten - auch wenn der Stadtentwicklungsplan anderes vorsieht. Er ist nur ein Ideenpapier, rechtlich nicht bindend. "Ein Desaster finde ich, was in der Hinsicht am Humboldt-Forum passiert ist", sagt Nina Lerch im Interview mit rbb|24. Sie sitzt für die SPD im Abgeordnetenhaus - unter anderem im Umweltausschuss. Mitten im Zentrum liegt der neue Schlossplatz in der prallen Sonne, der gepflasterte Boden heizt sich auf, schattige Sitzplätze fehlen - und das in einer Stadt, die sich ihrer Hitze-Probleme seit Langem bewusst ist, zumindest auf dem Papier. Doch verantwortlich für diesen Berliner Bau ist der Bund.

In ihrer Doktorarbeit [tu-berlin.de | PDF] hat die Stadtklima-Forscherin Britta Jänicke den Platz vor dem Humboldt-Forum als einen der schattenlosen Hitze-Hotspots von Berlin identifiziert - weitere Problemorte sind etwa das Tempelhofer Feld oder der Platz vor dem Hauptbahnhof. Die Expertin - mittlerweile Professorin für Umweltmeteorologie an der Universität Kassel - fordert im Gespräch mit rbb|24 mehr Schatten, gezielt für Orte, an denen sich oft Kinder und alte Menschen aufhalten: Gruppen, die besonderen Schutz brauchen vor der UV-Strahlung der Sonne und starker Hitze. "Sonnensegel über Spielplätzen, die bislang zu wenig Schatten haben, können kurzfristig helfen", lautet einer von Jänickes Vorschlägen.

Interview | Schattenplätze in Berlin

"Wir müssen die Stadtbäume erhalten, die wir haben"

Die Sommer der Zukunft werden Berlin noch mehr Hitze bringen. Dafür braucht die Stadt schattenspendende Bäume und weniger versiegelte Flächen, sagt Ökologin Sonja Knapp. Ein Gespräch über Berlins Hitze-Hotspots und Ideen für mehr Abkühlung.

In Seoul spenden an Ampeln lichtsensible Sonnenschirme Schatten

Bei einer früheren Forschungsarbeit zum Stadtklima in Seoul sind ihr in der südkoreanischen Hauptstadt automatisierte Sonnenschirme an Ampeln begegnet, die wartenden Fußgängern im Sommer Schatten spenden. "Ein Sensor stellt fest, ob die Sonne scheint - wenn ja, spannt sich der Schirm auf", erklärt die Wissenschaftlerin. Nina Lerch ist skeptisch, ob sich solche technischen Vorrichtungen für Verschattung in Berlin realisieren ließen: "Der Sicherheitsaspekt ist immer eine wichtige Frage. Wer sorgt dafür, dass das niemandem auf den Kopf fällt? Wer prüft das und wer übernimmt die Verantwortung?"

Andere Forscherinnen wie die Stadtökologin Sonja Knapp betonen: Kühlung durch Vegetation bringe dem Stadtklima mehr Vorteile als Schatten durch technische Vorrichtungen. Doch das Problem ist: Bäume, die jetzt gepflanzt werden, brauchen Jahrzehnte, bis sie nennenswerten Schatten spenden. So lange sollten zum Beispiel Kinder auf schattige Spielplätze nicht warten müssen, sagt SPD-Politikerin Lerch. "Sonnensegel können da eine kurzfristige Lösung sein, die Kitas machen uns das vor. Da gibt es fast nirgendwo Flächen in der prallen Sonne, wo die Kinder draußen spielen." Die Abgeordnete betont aber auch: Spielplätze zu gestalten, sei Aufgabe der Bezirke, nicht des Senats.

Viele Spielplätze in Berlin - wie dieser in den Gärten der Welt - bieten bislang wenig Schatten. | Quelle: POP-EYE/Christian Behring

CDU: Bezirke brauchen Geld vom Senat für Klimaanpassung

In dessen Verantwortung liegt aber durchaus, Flächen zu entsiegeln, so dass Bäume und Kletterpflanzen wachsen und Schatten spenden können. Auch in dieser Hinsicht tut sich zu wenig - da sind sich Abgeordnete aus den Fraktionen von Opposition und Regierung einig. "Genauso beim Thema Fassadenbegrünung - da ist Berlin nicht vorangekommen", kritisiert Danny Freymark (CDU) im Gespräch mit rbb|24. "Und von den 1.000 grünen Dächern, die das gleichnamige Programm [berlin.de] seit 2019 fördert, sind wir weit entfernt. Beim Thema Schatten ist de facto nichts passiert."

Den Bezirken fehle oftmals das Geld, um in Klimaanpassung zu investieren. Ein Budget dafür müsse der Senat zentral zur Verfügung stellen, fordert Freymark. "Dieser heiße Sommer hat mir persönlich gezeigt, dass wir keine Zeit mehr zu verlieren haben - wir brauchen sofortige Maßnahmen für eine kühlere Stadt."

Rot-Grün-Rot will "kühle Meilen" nach Vorbild Wiens

In Berlin sogenannte "kühle Meilen" nach dem Vorbild der hitzeangepassten Zieglergasse in Wien zu schaffen - das hat sich der rot-grün-rote Senat im Koalitionsvertrag 2021 [berlin.de | PDF] vorgenommen. Dazu gehören öffentliche Sitzgelegenheiten im Schatten von Pergolen, auf denen Kletterpflanzen wachsen. Doch Stefan Taschner von den Grünen sagt auf Anfrage von rbb|24, bislang sei ihm kein einziges Beispiel für eine solche Konstruktion in Berlin bekannt.

Aus Sicht des Sprechers für Klimaschutz der Berliner Grünen ist zu wenig von den bereits angestoßenen Maßnahmen "auf der Straße angekommen". Eigentlich gebe es viele Fördertöpfe - zum Beispiel für klimaangepasste Wartebereiche im Nahverkehr oder die Entsiegelung betonierter und zugepflasterter Flächen. Aber an der Umsetzung hapere es. Das liege auch an Abstimmungsproblemen zwischen den verschiedenen Senatsverwaltungen.

Auf der "kühlen Meile" in Wien sorgen auch technische Hilfsmittel, die Wassertröpfchen versprühen, im Sommer für angenehmere Temperaturen. | Quelle: ZOOM visual project gmbh

Neue Bauordnung schreibt mehr Grün verbindlich vor

"Wir brauchen jetzt endlich die neue Bauordnung für Berlin", sagt Taschner. Diese neue rechtlich bindende Vorschrift sieht unter anderem mehr Grün auf Hausdächern und Baugrundstücken vor. Aber der Entwurf, der schon seit Ende März vorliegt, wird bis auf Weiteres nicht in Kraft treten. Bausenator Andreas Geisel (SPD) nennt steigende Baupreise als Grund für sein Zögern. Taschner hofft, dass der neue Senatsausschuss Klimaschutz, der im Frühjahr auf Spitzenebene eingeführt wurde, Bewegung in die Konflikte bringt, die unter anderem zwischen Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) und Bausenator Geisel bestehen.

Sonnensegel spenden einer Straße in Madrid Schatten. | Quelle: Zoonar.com/Bruno Coelho

Linken spricht von "Beton-Ideologie der SPD"

Noch deutlicher in ihrer Kritik an der SPD-geführten Senatsbauverwaltung wird Katalin Gennburg von den Linken. Sie spricht gegenüber rbb|24 von einer "Beton-Ideologie der SPD", die nur auf Neubau fokussiert sei: "Deswegen haben wir in der letzten Legislaturperiode schon keine Neuauflage des Stadtentwicklungsplans Klima hinbekommen." Ihre Partei lehne jede neue Versiegelung von Flächen in Berlin ab. "Grundsätzlich dürfen Grünflächen nicht angefasst werden", sagt Gennburg.

Sie fordert, dass Klimaanpassungsmaßnahmen wie Verschattung Voraussetzung werden für die Teilnahme an öffentlichen Architekturwettbewerben: "Das muss eine viel größere Rolle spielen in Berlin - auch in den Jurys solcher Wettbewerbe müssen Sachverständige für klimaneutrales Bauen sitzen."

In Sevilla spendet die innovative Konstruktion "Metropol Parasol" dem darunter liegenden Platz Schatten. | Quelle: dpa/Roberto Moiola

Vorbilder Sevilla und Tel Aviv

Braucht Berlin eine einheitliche Schatten-Strategie, um die Sommer erträglicher zu machen? Auf Anfrage von rbb|24 winkt Felix Reifschneider (FDP) ab: "Wir brauchen nicht gleich neue Vorschriften." Vorbilder seien wichtiger. Die solle sich Berlin beim Städtebau des mediterranen und arabischen Raums suchen. "Da gibt es auch Ideen für künstliche Bäume auf großen Plätzen, die Schatten spenden können."

Frank-Christian Hansel von der AfD kritisiert, der Senat habe zu viel auf Klimaschutz durch CO2-Einsparung gesetzt - und dabei die Stadt zu wenig an die jetzt schon heißeren Sommer angepasst. "Mehr Stadtbäume und Sonnensegel sind wichtiger als abstrakte Weltklimadebatten", sagt er im Gespräch mit rbb|24. Hansel lobt Städte wie Sevilla und Tel Aviv als Vorbilder für Berlin: "Die sind in Sachen Schatten weiter als wir. Da sind ganze Einkaufsstraßen mit Schirmen überspannt."

2060 hat Berlin ein Klima wie Bourges

Als sicher gilt, dass Berlin auch in den kommenden Jahren heiße und trockene Sommer bevorstehen. Für das Jahr 2060 prognostizieren Modelle der deutschen Hauptstadt ein Klima, wie es heute in Bourges in Zentralfrankreich herrscht. Die Franzosen haben in diesem Sommer drei Hitzewellen mit Temperaturen über 35 Grad Celsius erlebt, aktuell leidet das Land unter der schlimmsten je verzeichneten Dürre.

In Berlin dagegen war es vor 50 Jahren im Schnitt nur an fünf Tagen im Jahr wärmer als 30 Grad. In den 2010er Jahren hat sich die Zahl der heißen Tage bereits verdreifacht. Die Klimaforschung rechnet für die Zukunft mit einem weiteren Temperaturanstieg.

Und Berlin muss sich, da sind sich Experten wie Politik einig, überlegen, wie es dem begegnen will.

Beitrag von Anne Kohlick

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