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Audio: Antenne Brandenburg | 24.11.2022 | Roland Schleif | Quelle: IMAGO/Future Image

Bürgergeld-Poker

Wenn Bund und Brandenburg nicht zusammenpassen

Der Streit ums Bürgergeld offenbart ein Dilemma für die CDU in Brandenburg: Regierung im Land, Opposition im Bund. Das führte zum Zwist mit SPD und Grünen. Ein Vorbote für noch rauere Zeiten in der Kenia-Koalition? Von Hanno Christ

Unter den Köpfen aus Bund und Ländern, die sich am Mittwochabend im Koalitionsausschuss über das Bürgergeld beugen, wird aus Brandenburg kein Verfechter der großen Sozialreform dabei sein. Niemand von der SPD, die so sehr dafür geworben hatte. Niemand von den Grünen, die das Projekt nicht weniger gutheißen. Stattdessen aber Innenminister Michael Stübgen. Dabei waren er und seine CDU in den vergangenen Wochen die ersten, wenn es darum ging, Front gegen die große Sozialreform im Bund zu machen.

Stübgen nimmt als Stellvertreter den Platz von Kathrin Schneider (SPD) ein, der Chefin der Staatskanzlei. Sie ist derzeit erkrankt. Dass er aber vom Kompromiss abweichen wird, der bereits am Dienstag von den Ampel-Koalitionären und seinem eigenen Parteivorsitzenden verkündet worden war, dürfte unwahrscheinlich sein. Stübgen sitzt zwar als Vize-Ministerpräsident Brandenburgs und Mitglied der größten Oppositionspartei im Bund zwischen allen Stühlen, die sind allerdings so nahe zusammengerückt worden, dass er da nicht mehr durchrutschen dürfte.

Auch in Brandenburgs Koalition gehen sie nach bewegten Wochen nicht mehr davon aus, dass der CDU-Landeschef zum Abweichler wird und Brandenburg erneut in die Abstimmungs-Blockade im Bundesrat zwingt.

Ampel und Union finden Kompromisse

Der Weg für das Bürgergeld ist frei

In tagelangen Verhandlungen um das Bürgergeld haben sich die Ampel-Koalition und die Union auf Kompromisse geeinigt. Damit kann das Bürgergeld für Millionen Beziehende am 1. Januar die derzeitigen Hartz-IV-Leistungen ablösen.

Regierungs-Farben in Bund und Land harmonieren nicht

CDU-Fraktionschef Jan Redmann spricht sogar von einem "mustergültigen Verlauf" der Verhandlungen. Die Union hat ihren Teil bekommen, indem etwa die sanktionsfreie Zeit ("Vertrauenszeit") und das Schonvermögen von Arbeitssuchenden reduziert wurden. Die SPD - und mit ihnen Grüne wie auch FDP - ziehen einen Strich unter die Jahre von Hartz-IV, auch wenn die einst große Reform am Ende wohl mehr die Züge einer Novelle hat. Bleibt nun aber ein Kratzer in der Kenia-Koalition zurück?

Seit der Bundestagswahl und dem Ende der Großen Koalition im Bund ist das Betriebsklima zwischen SPD, Grünen und CDU in der märkischen Koalition abgekühlt. Das Zusammenspiel ist hakeliger geworden. Die Regierungs-Farben in Bund und Land harmonieren nicht.

Die CDU ist nicht nur Regierungspartei, sondern spielt zugleich auch die Karte der Opposition im Bund. Das ist keine ungewöhnliche Konstellation, auch nicht in Brandenburg, wo in den zurückliegenden Jahren die Linke einerseits in Regierungsverantwortung mit der SPD stand, im Bund aber gegen die Regierung unter SPD-Führung lederte. Eine solche Konstellation macht geschlossene Regierungsarbeit schwieriger. Für SPD-Generalsekretär David Kolesnyk ist das keine Überraschung. "Spätestens seit der letzten Bundestagswahl ist spürbar, dass sich kommunikativ etwas verändert hat", sagt er.

Länder pochen auf Einigung

Es gibt aber auch einen anderen Effekt. Die Regierungsbeteiligung der CDU in den Ländern verpflichtet sie zu Kompromissen und konstruktiven Lösungen. Eine Totalblockade, wie sie sich etwa auch CDU-Chef Friedrich Merz hatte vorstellen können, war mit den Ländern nicht zu machen. Sie pochten darauf, den Fuß von der Bremse zu nehmen und einer Zustimmung im Bundesrat den Weg frei zu machen, so dass das Bürgergeld noch im Januar an den Start gehen kann. Mit jeder Verzögerung hätte sich die CDU ein Eigentor geschossen: Gerade im Osten Deutschlands - mit immer noch vergleichsweise höheren Arbeitslosenzahlen - hätte sich die CDU wohl in Erklärungsnöte gebracht. Auch in Brandenburg.

Vermittlungsausschuss muss übernehmen

Bürgergeld findet im Bundesrat keine Mehrheit

Das Votum kommt nicht überraschend: Das Bürgergeld ist im Bundesrat am Widerstand von CDU und CSU gescheitert. Auch die Brandenburger rot-schwarz-grüne Koalition konnte sich nicht auf eine Linie einigen und enthielt sich.

Landtagswahlen werfen Schatten voraus

Die Koalitionspolitiker des Landes betonen stets die Trennung zwischen Landes- und Bundesebene, zwischen Partei- und Regierungsamt. Ob dies im politischen Alltag tatsächlich so sauber praktiziert wird oder ob Zugeständnisse nicht doch erst aufgrund von Drohkulissen bei Abstimmungen zustande kommen, ist schwer nachvollziehbar.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Grenzen dort eher fließend sind, dürfte nicht geringer werden. Die Koalitionäre müssen zusehen, dass sie die wichtigsten Vorhaben dieser Legislaturperiode bis Ende 2023 abgeräumt haben. Im Herbst 2024 stehen die nächsten Landtagswahlen an, da werden viele Mittel recht sein, um an der Profilierung zu arbeiten - und an Erfolgen, die dann im Wahlkampf einzahlen. Für die Klientel der CDU dürfte schon jetzt der erfolgreiche, zeitweilige Widerstand gegen das Bürgergeld dazugehören. Weitere könnten folgen, fürchtet wohl auch die Bündnisgrünen-Landesvorsitzende Julia Schmidt. "Ich erwarte von der CDU, dass die Oppositionsagenda der Union im Bund nicht zur Leitlinie der CDU in der Brandenburger Landesregierung wird." Sie hoffe weiterhin auf konstruktive Zusammenarbeit.

Abstimmung für das Bürgergeld ist wahrscheinlich

Einen dramatischen Showdown im Bundesrat, wie ihn einst die Brandenburger Koalition von Jörg Schönbohm (CDU) und Manfred Stolpe (SPD) bei der Abstimmung zum Zuwanderungsgesetz lieferte, wird es am Freitag wohl nicht geben. Damals stand die märkische Koalition vor dem Bruch. Heute hat sie sich einmal mehr zusammengerauft. Um morgen vielleicht schon wieder erneut in den Ring zu steigen.

Sendung: Antenne Brandenburg, 23.11.2022, 17 Uhr

Beitrag von Hanno Christ

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