rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik
Audio: rbb24 Inforadio | 15.11.2022 | Iris Spranger im Interview | Quelle: dpa/P.Zinken

Klima-Demonstranten

Innensenatorin fordert längeren Gewahrsam - Kritik von Linken und Richterbund

Wer sich in Berlin auf Straßen festklebt und so andere nötigt, dem drohen 48 Stunden Polizeigewahrsam. Der Innensenatorin ist das zu wenig. Der Richterbund verweist auf das Rechtssystem.

Die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) will erreichen, dass Klima-Demonstranten bei rechtswidrigen Protestaktionen auch in der Hauptstadt künftig länger als 48 Stunden in Gewahrsam genommen werden können. Dazu müssten allerdings die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Berlin geändert werden, sagte sie am Dienstag dem rbb.

Anders als zum Beispiel in Bayern, wo bis zu 30 Tage Gewahrsam möglich seien, könne Gewahrsam in Berlin maximal 48 Stunden dauern, so Spranger. "Ein 30-tägiger Gewahrsam ist in Berlin wie auch in den meisten anderen Bundesländen rechtlich nicht möglich. Schön wäre es, wenn wir das länger als 48 Stunden machen könnten, aber 30 Tage finde ich verfassungsrechtlich eher bedenklich", sagte die Senatorin im rbb24 Inforadio. Über einen längeren Gewahrsam wolle sie nun mit der Justiz und dem Abgeordnetenhaus sprechen.

Debatte um Klima-Proteste in Berlin

Bundesjustizminister lehnt Gespräche mit "Letzter Generation" ab

Die "Letzte Generation" hat Mitglieder der Bundesregierung zum Gespräch eingeladen, doch die wird dem nicht nachkommen. Die Gruppe verletze das Strafrecht, begründet Justizminister Buschmann im rbb. Zugleich ist er gegen schärfere Strafen.

Die Berliner Linkspartei erteilte den Überlegungen von Innensenatorin Spranger allerdings noch am Dienstag eine klare Absage. Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schrader, kritisierte solche Gedankenspiele als "Wahlkampfpropaganda" und sagte dem rbb, er gehe nicht davon aus, dass das Thema in der rot-grün-roten Koalition ernsthaft diskutiert wird.

Richterbund verweist auf Rechtssystem

Der Deutsche Richterbund wehrte sich zudem gegen den Vorwurf, dass die Justiz in Berlin beim Thema der Klima-Demonstranten unangemessen vorgehe. Der Vorsitzende des Landesverbands, Stefan Schifferdecker, sagte ebenfalls am Dienstag im rbb24 Inforadio, viele der Klima-Demonstranten seien noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Auch wenn Nötigung oder Hausfriedensbruch Straftaten darstellten, seien dafür bei Ersttätern keine Gefängnisstrafen vorgesehen. Entsprechende Forderungen entsprächen nicht dem Rechtssystem.

Ob es künftig möglich sein sollte, nur Klima-Demonstranten länger in Gewahrsam zu nehmen, sei eine politische Entscheidung, betonte der Richter. "Man muss bedenken, dass sie [Anm. d. Red.: die Klima-Demonstranten] ein verfassungsrechtlich geschütztes Demonstrations- und Versammlungsrecht ausüben", so Schifferdecker.

Spranger: "Der Zweck heiligt nicht die Mittel"

Berlins Innensenatorin Spranger hatte erneut die Straßenblockaden der "Letzten Generation" kritisiert, betonte aber auch, dass ihr das Thema Klimawandel "überhaupt nicht egal" sei. "Aber wie protestiert wird, dafür habe ich gar kein Verständnis. Die Blockaden greifen in die Freiheitspflichten der Menschen ein, in Zwänge und Nöte, das ist ignorant. Und der Zweck heiligt eben nicht die Mittel", so Spranger.

Die Berliner Polizei habe schon mehr als 2.000 Strafanzeigen gegen Klima-Demonstrierende geschrieben, es habe bislang 300 Gewahrsamsvorführungen gegeben, knapp 800 Vorgänge lägen bei der Staatsanwaltschaft. "Dabei geht es um Nötigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Behinderung von hilfeleistenden Personen und gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr", fasste Spranger zusammen.

Staus in Berlin-Charlottenburg

"Letzte Generation" blockiert Messedamm und Sachsendamm

"Uns geht es nicht darum, gemocht zu werden"

Der 31-jährige Berliner Naturwissenschaftler Theodor Schnarr ist einer der Organisatoren der Straßenblockaden der "Letzten Generation". Zur Forderung der Innensenatorin nach einem längeren Gewahrsam sagte er ebenfalls im rbb24 Inforadio: "Das würden wir in Kauf nehmen. Wenn Frau Spranger sagt 96 Stunden Gewahrsam, dann gehen wir 96 Stunden in Gewahrsam."

Zur Kritik auch aus den Reihen der Grünen an den Protestformen der "Letzten Generation" bemerkte Schnarr: "Menschen, die sich jetzt schon gegen den Klimawandel einsetzen, werden das auch weiterhin tun, auch wenn sie unsere Protestform nicht gut heißen." Ihm und seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern gehe es nicht darum, gemocht zu werden, so der Aktivist. "Es geht um den drohenden Zusammenbruch unserer Zivilisation, um die Zukunft unserer Kinder. Deshalb wählen wir Protestformen, die nicht ignoriert werden können. Ziviler Widerstand und das Unterbrechen des Alltags sind das effektivste Mittel."

Anhänger der "Letzten Generation" kleben sich immer wieder auf Straßen fest und verursachen lange Staus. Aufsehen erregten auch Aktionen, bei denen sie Kunstwerke in Museen beschmierten.

Sendung: rbb24 Inforadio, 15. November 2022, 7:05 Uhr

Artikel im mobilen Angebot lesen