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Audio: rbb24 Inforadio | 25.01.2023 | Susett Kleine, Ute Barthel | Quelle: dpa/J. Walzberg

Energie, Verkehr, Telekommunikation

Neues Gesetz soll Schutz der kritischen Infrastruktur regeln

Bahnanlagen, Stromnetze, Wasserwerke - sie alle sind zentral für das Funktionieren der Gesellschaft. Als "kritische Infrastruktur" müssten sie besonders geschützt werden. Doch wie das zu geschehen hat, ist bislang nur unzureichend gesetzlich geregelt. Von Susett Kleine und Ute Barthel

Seit 2017 gab es in Berlin mindestens zehn Angriffe auf Anlagen der S-Bahn. Immer wieder brannten Kabel oder Schaltkästen. Für die Täter ein leichtes Ziel, denn die Anlagen sind weitgehend ungeschützt. Dabei gehört die Bahntechnik wie auch Einrichtungen der Strom- oder Wasserversorgung zur sogenannten "kritischen Infrastruktur", von der das Funktionieren der Stadt und des alltäglichen Lebens maßgeblich abhängt.

Was jedoch genau zu kritischen Infrastruktur gehört und wie sie dann geschützt werden muss - das ist nicht genau definiert. Auch in Berlin gleicht der Umgang der kritischen Infrastruktur einem Flickenteppich. In den einzelnen Bezirken gebe es ganz unterschiedliche Informationsstände, sagt Björn Jotzo, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. "Wir wissen, dass es in Lichtenberg und Spandau beispielsweise sehr gut läuft bei der Erfassung der kritischen Infrastruktur", so Jotzo.

Brandschlag als Ursache naheliegend

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Kritische Infrastruktur stärker in den Fokus gerutscht

Doch seit im September 2022 die Nord-Stream-2-Pipeline durch mehrere Sprengungen teilweise zerstört und im Oktober der Bahnverkehr in Norddeutschland durch einige zerschnittene Kabel lahmgelegt wurde, ist der Schutz der kritischen Infrastruktur ins Zentrum sicherheitspolitischer Überlegungen gerutscht. In beiden Fällen gehen Sicherheitsexpert:innen von gezielten Sabotageakten aus. Spätestens nach diesen Anschlägen wurde deutlich: Obwohl es in der Vergangenheit immer wieder Angriffe auf kritische Infrastrukturen und ihre physischen Bauteile, wie Kabel, gab, mangelt es an einem bundesgesetzlichen Rahmen, der vorschreibt, wie die Anlagen zu schützen sind.

Norbert Gebbeken, Gründer des Forschungszentrums "RISK - Risiko, Infrastruktur, Sicherheit und Konflikt" schätzt den Handlungsdruck jetzt so groß ein, dass unbedingt ein Gesetz her muss: "Wir fordern eigentlich schon seit Jahrzehnten, dass wir die kritischen Infrastrukturen besser in den Fokus nehmen müssen, weil wir durch die Naturgefahren, die wir hatten, bereits Ausfälle der kritischen Infrastrukturen hatten, aber auch durch Sabotage", so der Sicherheitsexperte. "Jetzt ist es so, dass die Gefährdungslage eine ist, die die Gesamtbevölkerung betreffen könnte."

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) scheint die Dringlichkeit erkannt zu haben. Die derzeitige sicherheitspolitische Lage, der Krieg in der Ukraine und mögliche Angriffe Russlands auch auf Deutschland erhöhen den Handlungsbedarf. Seit Kriegsbeginn betont sie: "Der Schutz unserer kritischen Infrastrukturen hat höchste Priorität."

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Das Kritis-Dachgesetz soll es richten

Um die kritische Infrastruktur besser zu schützen, hat Nancy Faeser das sogenannte Kritis-Dachgesetz angekündigt. Die Erarbeitung dieses Gesetzes war bereits 2021 im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Damit soll zum ersten Mal der physische Schutz kritischer Infrastrukturen bundesweit gesetzlich geregelt werden. Ein wichtiger Schritt, denn der größte Teil der kritischen Infrastruktur liegt in privater Hand, schätzt Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linken und Obfrau im Innenausschuss. "Wir haben in vielen Teilen in den letzten Jahrzehnten unter dem neoliberalen Diktat eine Privatisierung erlebt. Nicht nur bei der Deutschen Bahn - auch bei der Telekommunikation, bei der Stromversorgung", so die Linken-Politikerin. "Und wenn jetzt die staatliche Aufgabe verstärkt sein soll, diese Infrastruktur zu schützen, ist es natürlich ein Problem, dass sie an so vielen Stellen in privater Hand ist und dann eben auch schwer zu kontrollieren."

Bislang heißt das: Die Betreiber entscheiden weitgehend selbst, wieviel sie in den Schutz und die Kontrolle der physischen Sicherheit der Anlagen investieren. Bundesweit einheitliche Standards durch gesetzliche Vorgaben fehlen. So können Sicherheitslücken durch individuelle Fehleinschätzungen der privaten Betreiber von Bahnanlagen oder auch der Stromversorgung entstehen. Diese Lücken müssen so schnell, wie möglich geschlossen werden, fordert der grüne Koalitionspartner. Konstantin von Notz, Sicherheitsexperte der Bundestagsfraktion und Vorsitzender des Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste, erklärt gegenüber rbb24 Recherche: “Wir haben gesehen, dass wir in diesem Bereich Probleme haben, bei den konzertierten Anschlägen auf die Infrastruktur der Deutschen Bahn, bei dem Anschlag auf die Nordstream-Infrastruktur. Es gibt einen Angriffskrieg mitten in Europa.“ Für von Notz Grund genug, schnell zu handeln.

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Bisher nur Absichtserklärungen

Im Koalitionsvertrag hieß es noch recht unkonkret: "Den physischen Schutz kritischer Infrastrukturen bündeln wir in einem Kritis-Dachgesetz." Im Dezember 2022 wurden dann allgemeine Eckpunkte dazu beschlossen, darunter Ziele wie verpflichtende Risikobewertungen, Mindeststandards für Betreiber und ein zentrales Störungs-Monitoring. Doch wann wird aus diesen Eckpunkten ein Gesetz?

Auf Anfrage von rbb24 Recherche teilt das Bundesinnenministerium jetzt mit: "Die Arbeiten am Kritis-Dachgesetz laufen unter Hochdruck und haben für Bundesinnenministerin Nancy Faeser hohe Priorität." Noch vor der Sommerpause soll ein Gesetzentwurf ins Kabinett eingebracht werden. Der grüne Sicherheitsexperte Konstantin von Notz zeigt sich gegenüber rbb24 Recherche erfreut über den Zeitplan und dass "der bisherige Dornröschenschlaf endlich beendet zu sein scheint". Zugleich hält von Notz den Plan der Ministerin für "ambitioniert". "Ob er angesichts der Komplexität der Materie tatsächlich einzuhalten ist, wird man sehen", so von Notz. "Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Zusage des BMIs, die Verbände umfassend an der Gesetzgebung beteiligen zu wollen, haben wir große Fragezeichen."

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Deadline: Ende 2024?

Aus dem BMI heißt es, das geplante Gesetz werde auch gleich eine neue EU-Regelung berücksichtigten, durch die die Sicherheit der kritischen Infrastruktur in allen EU-Ländern verbessert und die Anforderungen EU-weit harmonisiert werden sollen. Eigentlich hat Deutschland bis Ende 2024 Zeit, sie entsprechend umzusetzen. Laut BMI soll dies nun früher geschehen.

Doch das BMI könnte längst viel weiter sein, sagt Manuel Atug, Sicherheitsexperte und Sprecher der nichtstaatlichen "Arbeitsgemeinschaft Kritische Infrastrukturen", in der sich Fachleute aus Bereichen wie IT, Energie- oder Wasserversorgung mit dem Thema beschäftigen. Denn der Inhalt der EU-Richtlinien ist längst bekannt: "Der Bauplan ist eigentlich schon klar", so der Experte. "Die Harmonisierung könnte man, wenn man möchte, auch jetzt schon massiv vorantreiben. Zum Beispiel mit den Expert:innen in den Austausch gehen - das hätte man schon lange machen können. Wir warten alle!"

Eine schnelle Verabschiedung des Gesetzes wäre auch wichtig für die Sicherheit der kritischen Infrastruktur in Berlin. Die meisten Bezirke müssten dann endlich erfassen, wo sich kritische Infrastruktur - von Elektrizitäts- bis zu Kommunikationsanlagen - überhaupt befindet. Anschließend müsse man beurteilen, welche konkreten Schutzmaßnahmen nötig seien, sagt Björn Jotzo im Gespräch mit rbb24 Recherche. Das neue Bundesgesetz, so seine Hoffnung, könnte die Grundlage für ein einheitliches Schutzniveau schaffen - und die Flickschusterei beenden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.01.2023, 09:00 Uhr

Beitrag von Susett Kleine und Ute Barthel (rbb24 Recherche)

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