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Quelle: Niklas Schenck

Interview l Medienkonsum und Krieg in der Ukraine

"Niemand kann auf Dauer diese Masse an negativen Nachrichten verarbeiten"

Live-Ticker, Pushnachrichten, Sondersendungen: Der russische Überfall auf die Ukraine ist in den Medien seit Tagen omnipräsent. Wie es gelingt, die Flut schlechter Nachrichten auszuhalten, erklärt die Autorin Ronja von Wurmb-Seibel im Interview.

In ihrem Buch "Wie wir die Welt sehen: Was negative Nachrichten mit unserem Denken machen und wie wir uns davon befreien" beschreibt die frühere Afghanistan-Korrespondentin Ronja von Wurmb-Seibel, wie sich Medienkonsum in Krisenzeiten auswirken kann.

rbbl24: Ronja von Wurmb-Seibel, seit Tagen dringen aus dem Internet, Radio, Fernsehen und Zeitungen furchtbare Meldungen über den Krieg in der Ukraine auf uns ein. Überfordern die Medien Menschen mit dieser Berichterstattung?

Ronja von Wurmb-Seibel: Grundsätzlich ist das natürlich eine sehr individuelle Frage. Was ich aber auf jeden Fall sagen kann ist, dass viele in der letzten Zeit viel mehr Nachrichten konsumieren, als ihnen eigentlich guttut. Nachrichten sind heutzutage nichts, was wir extra suchen müssen, sondern sie kommen zu uns, über Social-Media, im Radio, über Pushnachrichten oder auch, wenn man den Fernseher einschaltet. Dadurch werden wir eigentlich den ganzen Tag mit Nachrichten überschüttet, ganz besonders in der jetzigen Situation.

Was dann hilft, ist dass wir uns erstmal selbst beobachten und fragen, tut mir das gerade gut. Die Allermeisten, die ich kenne, sagen, es geht ihnen im Moment eher nicht gut und dann muss man eben sagen, okay, dann reduziere ich den Konsum.

Wenn man nicht wegschauen will, kommt es also darauf an den Nachrichtenkonsum zu bündeln?

Genau, anstatt dass die Nachrichten den ganzen Tag meinen Alltag durchlöchern und immer wieder reinplatzen, nehme ich mir ein oder zweimal am Tag dafür Zeit, zehn, zwanzig oder dreißig Minuten, so lange wie das eben gewünscht ist und informiere mich da dann auch innerlich etwas ausgeruhter.

Ich kann nur allen empfehlen, die nicht von dem Konflikt unmittelbar betroffen sind, sich nicht minütlich über den Krieg zu informieren und auch die Pushnachrichten von den Handys zu nehmen, sonst macht man es sich schwer, denn Eilmeldungen verbreiten auch Extrastress und Adrenalin. Auch den Fernseher ständig nebenbei laufen zu lassen oder Live-Ticker zu verfolgen, würde ich niemandem raten. Die Situation ist in so einem Krieg ohnehin so unübersichtlich, dass wir sie nie ganz überblicken können. Deswegen verpassen wir auch nichts, wenn wir sagen, wir konsumieren Nachrichten nur ein bis zweimal am Tag.

Wie kann man es in dieser Zeit hinkriegen, nicht zu sehr an den negativen Schlagzeilen hängen zu bleiben?

Innerhalb dieser Kriegsberichterstattung sollte man auch immer wieder schauen, wo sind Nachrichten, die einem wenigstens ein ganz kleines bisschen Hoffnung und Mut geben können. Das kann sowas sein, wie der zivile Widerstand in Russland oder die Menschen, die in der Ukraine helfen, die Ärzte, Hebammen und Feuerwehrleute, die vor Ort sind. Oder wir schauen uns die Solidarität mit den Geflüchteten in den Nachbarländern an.

Das führt alles am Ende nicht dazu, dass wir sagen können, der Krieg ist weniger schlimm, aber es führt dazu, dass wir Hoffnung schöpfen können und Ansätze sehen, wie wir da wieder rauskommen.

Ist der Konsum von Texten über den Krieg tendenziell schonender als sich Videos anzusehen, die die Gewalt in Bildern zeigen?

Das Wichtigste ist eigentlich, dass die Quellen seriös sind. Aber auch bei seriösen Quellen sollte man sich nicht jedes Video anschauen, in dem die Zerstörung zu sehen ist. Das braucht man auch gar nicht unbedingt, um zu verstehen, was passiert.

Es kommt bei der Auswahl der Nachrichten ansonsten aber sehr stark auf den Inhalt an und weniger darauf, ob es sich um Videos handelt oder um Text. Ein Artikel kann Grausamkeit in einem Krieg auf eine sehr eindrückliche Art beschreiben und Videos können andererseits auch positive Geschichten von Hilfsbereitschaft oder Engagement erzählen und uns dann nicht mit einem solchen Gefühl der Ohnmacht zurücklassen. Das geht natürlich viel weniger, wenn ich nur Nachrichten über die politische Ebene konsumiere, also mich nur mit den Machthabern selber beschäftige.

Du hast selbst über zwei Jahre als Reporterin in Afghanistan gearbeitet. Was macht eine gute Berichterstattung zu einem so harten Thema aus?

Ich finde es wichtig, die menschliche Seite der Ereignisse mitzuberichten, um zu vermitteln, wir können auch helfen. Sonst kann sich ein Ohnmachtsgefühl einstellen, das auf Dauer auch dazu führen kann, dass Menschen sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen. Medien können im positiven Sinne auch einen Handlungsspielraum aufzeigen und den Menschen vorführen, was sie selbst ganz konkret machen können. Wir können zwar die Ereignisse in der Ukraine nicht direkt beeinflussen, aber wir können sehr viel dafür tun, die Folgen des Krieges für Menschen abzuschwächen.

In Deinem neuen Buch beschäftigst Du Dich auch mit der Frage, wie sich der Konsum schlechter Nachrichten auf die Gesundheit auswirken kann, zu welchem Ergebnis kommst Du darin?

Es gibt Nachrichten die uns total fertigmachen können. Es ist inzwischen erforscht, dass es so etwas gibt, wie eine prätraumatische Belastungsstörung. Anders als bei einer posttraumatischen Belastung, die entsteht, wenn Menschen vielleicht Krieg erlebt haben, meint prätraumatisch, dass wir diese Symptome haben, bevor ein Erlebnis eintritt, in vielen Fällen sogar, ohne dass es überhaupt eintritt. Von vielen negativen Nachrichten kann ich eben traumähnliche Symptome entwickeln, das sind wirklich gesundheitliche Folgen, die da entstehen können und es ist wichtig, dass wir uns davor schützen.

Auf welche Warnsignale sollte man dabei achten?

Wenn ich eine sehr große Hilflosigkeit empfinde, oder wenn ich denke, oh mein Gott, die ganze Welt ist schlecht, wie soll nur die Zukunft werden, wenn ich diese Art von Gedanken habe, dann würde ich auf jeden Fall empfehlen, in dem Moment aufhören Nachrichten zu konsumieren und eine Pause einzulegen, wenigstens für einen Tag, wenn das eben möglich ist.

Niemand kann auf Dauer diese Masse an negativen Informationen verarbeiten. Wir kommen dann leicht in eine Spirale. Ein Thema macht uns Angst, also suchen wir uns Informationen. Was wir dann finden, macht uns aber teilweise noch mehr Angst. Und wenn wir merken, wir wollen immer mehr und immer mehr wissen, dann sollten wir das unterbrechen für den Moment und auch versuchen, da wieder rauszukommen.

Es hilft aber auch, andere Menschen aktiv nach Tipps zu fragen, wie sie das Ganze bewältigen. Im Moment sind wir ja alle in einer ähnlichen Situation aber wir müssen da nicht alleine durch.

Vielen Dank für das Gespräch.

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