rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik
Quelle: dpa/Christoph Hardt

Analyse

Saisonstart bei "Querdenkern" vor Finale in Berlin

Während in Kassel 20.000 "Querdenker" die City eroberten, trafen sich in Berlin nur ein paar hundert Rechtsextreme zum Anti-Corona-Protest. Dabei will man auf dem Höhepunkt einer Demotour im Wahljahr auf der politischen Bühne der Hauptstadt wieder groß raus kommen. Von Olaf Sundermeyer

Über Wochen, ja über Monate, haben sie sich im vergangenen Jahr auf dem Pariser Platz versammelt: Ein paar Dutzend Rechtsextremisten, Aktivisten der Berliner "Merkel muss weg"-Demonstrationen, darunter Reichsbürger mit ihrem Protest in Zeiten der Pandemie. Ohne die Wannen der Berliner Polizei an ihrer Seite wäre diese "Patriotic Opposition Europe", so der Name dieser Gruppe, wohl niemandem aufgefallen. Ein paar der üblichen Statisten in der Hauptstadtkulisse vor dem Brandenburger Tor eben, wo gefühlt immer irgendjemand sein Freiheitsrecht wahrnimmt.

Dann aber kamen die "Querdenker" aus Stuttgart in die Stadt, und betraten mit ihrem erfolgreichen Provinztheater zur Corona-Krise hier die große Bühne. Die selbst ernannte "patriotische Opposition" schloss sich dem schwäbischen Ensemble an, mit einer kleinen, aber wesentlichen Rolle in diesem gut organisierten politischen Theater, als erste organisierte rechtsextreme Gruppe. Zunächst nur mit einem eigenen Wagen beim großen Demonstrationsumzug der "Querdenker" am 1. August 2020.

Mehr zum Thema

Nach der jüngsten Demo in Berlin

Die "Querdenker" radikalisieren sich weiter

Nützliche Statisten aus "Pegida-Proletariat" nicht mehr erwünscht

Viele andere aus ihrem radikalen Pegida-Milieu schlossen sich aber mit ihnen an: Die westdeutsche "Querdenken"-Initiative sammelte in den heißen Wochen im Berliner August zahlreiche organisierte Rechtsextremisten ein, die Sache nahm ihren Lauf, sie wurde größer, auch immer mehr Reichsbürger fanden den Weg zu "Querdenken". Der Protest war kaum noch zu kontrollieren, in Ausdruck, Radikalität und schließlich auch in Gewalt. Dann hatte noch die AfD selbst sich zum Bündnispartner der "Querdenker" erklärt, als quasi parlamentarischer Arm der Bewegung, und der Verfassungsschutz trat auf den Plan.

Aber bis dahin hatte sich die "Querdenken"-Bewegung längst zu einer eigenen, erfolgreichen Protestunternehmung entwickelt: Mit wirtschaftlichem Potenzial, Markenrechten, Schenkungen, Spenden und der Idee eines eigenen Finanzsystems. Dieser Erfolg sorgte für Streit, um Geld, Führungsstil und öffentliche Anerkennung. Das "Pegida-Proletariat", so ein diffamierender Begriff aus der Bewegung selbst, schien nun nicht mehr gut genug, auch galten die einstigen, nützlichen Statisten der patriotischen Opposition als unkontrollierbar. Sie wurden nicht mehr eingeladen, ihre Redner wurden bei den zahlreichen Auftritten der "Querdenker" nicht mehr zugelassen, aus der Kommunikation ausgeschlossen, als unerwünscht erklärt.

Den Winter zur Reorganisation genutzt

So kam es, dass sich die einen (die "patriotische Opposition") an diesem Wochenende in überschaubarer Zahl in Berlin trafen. Während die "Querdenker" mit ihrem gewachsenen, bürgerlichen Milieu voller Zweifler, Impfgegner und Corona-Leugner aus der westdeutschen Provinz zum Start der Protestsaison im Wahljahr nach Kassel mobilisierten. 20.000 Menschen kamen dort zusammen [tagesschau.de], in ihrem erfolgreichen Widerstand gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Dazu auch der akademische Teil des Berliner "Anti-Corona-Protests" mit dem sogenannten Corona-Ausschuss, einem Thinktank, der sich in diesem Lockdown-Winter auch um eine Bar in Prenzlauer Berg versammelt hatte: Leute, die in Kassel als Redner in den Vordergrund traten, während sich die organisatorischen Macher aus Baden-Württemberg im Hintergrund hielten.

Die "Querdenken"-Bewegung entwickelt sich weiter, hat den Winter zur Reorganisation genutzt, auch mit dem Versuch, den prägenden, öffentlich erkennbaren Einfluss von Rechtsextremisten abzustreifen, der für die eigene Sache kaum zuträglich ist. Es hätte wohl auch die Partystimmung der "happy People" getrübt, die nach der Kapitulation der Polizei vorherrschte.

Mehr zum Thema

Proteste in Berlin

Fast 40.000 Menschen bei Corona-Demos - Sperren am Reichstag durchbrochen

Demotour am Jahrestag in Berlin

Ohnehin ist das Nicht-Einhalten von Mindestabständen und die kategorische Ablehnung von Masken im passiven Widerstand gegen die Ordnungsbehörden der beste Stoff, aus denen sie dort erneut ein Superspreading-Event inszenieren konnten. Die Systemfrage stellen sich viele dieser Menschen ohnehin selbst. Auch für die Verbreitung rechter Verschwörungserzählungen benötigen sie nicht die Krawallbrüder aus dem Osten. Gut, einige von denen waren auch in Kassel mit dabei, aber sie haben sich untergeordnet. Stets betonend, dass sie "nicht spalten" wollten.

Zum Bruch ist es in Kassel jedenfalls nicht gekommen. Dafür war das Gefühl der Selbstermächtigung zu verbindend, das ihnen die hessische Polizei durch Zurückhaltung im Dienst genehmigt hat. Anders als die "Querdenken"-Bewegung selbst hatte die Polizei in Kassel ganz offensichtlich nicht aus den Erfahrungen mit den Demonstrationen aus dem vergangenen Jahr in Berlin gelernt, als die schwarz-weiß-roten Fahnen des "Pegida-Proletariats" auf den Stufen des Reichstags die Eskalation total machte.

In diesem Sommer nun will man mit der "Querdenken"-Demotour wieder nach Berlin kommen: Wieder am 1. August und am 29. August, dem Jahrestag dieser Eskalation. Wohl aber ohne Reichsfahnen und ohne einem "Sturm auf den Reichstag 2.0", vom dem viele träumen, die man bis dahin loswerden möchte.

Die Kommentarfunktion wurde am 22.03.2021 um 20:11 Uhr geschlossen

Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

Beitrag von Olaf Sundermeyer

Artikel im mobilen Angebot lesen