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Video: Abendschau | 30.03.2021 | T. Schmutzler | Quelle: imago images/C. Ohde

Kommentar | Corona-Politik

Der Berliner Senat fährt Schlingerkurs

Frustrierend ist, wenn der Senat Unerwartetes beschließt und die konkrete Umsetzung gar nicht geregelt ist. Noch weniger nachvollziehen kann man, wenn Überzeugungen von jetzt auf gleich über Bord geworfen werden. Das muss sich ändern, kommentiert Tobias Schmutzler.

Die Spielfiguren zurück auf Start und die Würfel nochmal durchgemischt: Ab Mittwoch dürfen wir uns wieder auf neue Corona-Spielregeln einstellen. Klar: Die Pandemie ist unberechenbar. Und Regierungen müssen schnell reagieren. Ja, auch ich habe Verständnis, wenn neue Corona-Maßnahmen auf den ersten Blick widersprüchlich wirken. Schnelle Kursänderungen müssen manchmal sein, weil die dynamische Situation es nicht anderes zulässt.

Aber auch dieses Verständnis hat Grenzen. Der Senat fährt in der Corona-Politik mittlerweile einen Schlingerkurs, für den er nicht allein, aber sehr wohl mitverantwortlich ist. Das hat die vergangene Woche gezeigt: beginnend mit dem Endlosgipfel mit der Kanzlerin, fortgesetzt durch die Senatssitzungen im Laufe der Woche und gipfelnd in den Beschlüssen von Samstagabend.

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Plötzlich gilt nicht mehr, was eben noch richtig war

Frustrierend finde ich dabei, wenn neue Regeln ganz unerwartet beschlossen werden – und schon Minuten nach dem Beschluss niemand so richtig weiß, wie genau die neuen Vorschriften funktionieren sollen. Beispiel Testpflicht: Wenn ich im Einzelhandel einkaufen will, muss ich ab Mittwoch einen "tagesaktuellen" Test dabeihaben. Aber was genau heißt "tagesaktuell"? Heißt das Test vom selben Tag, oder darf er 24 Stunden alt sein? Kann ich den Test vorm Laden machen, oder auch zu Hause? Und wie funktioniert dann der Nachweis? Nach dem Beschluss waren die Antworten auf viele Fragen zunächst unklar.

Noch weniger nachvollziehen kann ich, wenn auf einmal gar nicht mehr gilt, was der Senat vor Kurzem noch als richtig und wichtig verkauft hat. Beispiel Modellprojekte: Noch am Dienstag vergangener Woche hat der Regierende in der Senatspressekonferenz ausdrücklich gesagt, dass er die Modellprojekte für Sport und Kultur weiterverfolgen will. Nicht nur das, er hat sogar in Aussicht gestellt, dass es bald auch Modellprojekte für die Außengastronomie geben soll. Ich konnte in dem Moment meinen Ohren kaum glauben.

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Wie das Kaninchen, das einer Möhre hinterherläuft

Diese Ungläubigkeit hat sich jetzt auch bestätigt: Nach den Senatsbeschlüssen vom Samstag gibt es nämlich erst mal überhaupt keine Modellprojekte mehr. Das hat aus meiner Sicht keine Logik mehr. Denn die Inzidenzzahlen sind auch schon am vergangenen Dienstag gestiegen. Und mit dieser Absage begräbt der Senat die Hoffnungen vieler Menschen, die sich mit großer Leidenschaft in die Modellversuche in Kultur und Sport eingebracht haben.

Ganz zu schweigen von den Gastronominnen und Gastronomen. Sie müssen sich nach dieser angetäuschten und dann zurückgezogenen neuen Hoffnung langsam fühlen wie das sprichwörtliche Kaninchen, dem man immer wieder eine Möhre vor die Nase hält. Abbeißen darf es aber nie.

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Medien sind mitverantwortlich

Dass die Politik sich getrieben fühlt und auch dadurch Beschlüsse entstehen, die in der Bevölkerung für Kopfschütteln sorgen, haben die Medien mitzuverantworten. Weil wir doch so sehr auf jeden Gipfel lauern, nach jedem Zwischenergebnis lechzen und eine sehr hohe Erwartungshaltung an den Tag legen, verursachen sicher auch wir in einigen Fällen mit, dass manchmal einfach etwas beschlossen wird, damit etwas beschlossen wird.

Durch die ständigen Maßnahmenwechsel kommen jedenfalls allmählich nur noch Experten mit, was gerade der neueste Stand der Corona-Regeln ist. Doch was ist mit Menschen, die kein Internet haben? Oder denen, die schlichtweg kein Interesse haben, sich alle zwei Tage auf den neuen Stand zu bringen? Es guckt nicht jeder jeden Tag die Tagesschau, die Abendschau oder liest Onlineartikel über die neuesten Regelungen. Es kann auch niemand dazu verpflichtet werden.

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Extremes Hin und Her muss enden

Deshalb muss Struktur und Verlässlichkeit zurückkehren. Ein großes und schwer erreichbares Ziel, das ist klar. Aber eines, das sich zu verfolgen lohnt. Dafür braucht der Senat – wie alle, die gerade regieren – eine klare Haltung, die für uns alle nachvollziehbar ist. Also sozusagen das Gegenteil von dem, was wir in der letzten Woche erlebt haben. Natürlich wird es auch in Zukunft schnelle Kursänderungen geben. Aber das extreme Hin und Her der vergangenen Woche darf sich nicht wiederholen.

Sendung: Abendschau, 30.03.2021, 19:30 Uhr

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