rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik
Quelle: dpa/Monika Skolimowska

Interview | Infratest Dimap

Warum Warteschlangen vor den Wahllokalen zu abweichenden Prognosen führten

Grüne vor SPD statt SPD vor Grün, Ungenauigkeiten von fast fünf Prozentpunkten – die Prognose zur Abgeordnetenhauswahl wich deutlich vom Endergebnis ab. Infratest-Dimap-Geschäftsführer Michael Kunert erklärt die Gründe dafür.

rbb|24: Die Grünen als Wahlsieger, die CDU nur auf Augenhöhe mit den Linken: Wenn man sich die Prognose um 18 Uhr anschaut, war das doch sehr anders als das vorläufige amtliche Endergebnis. Am Ende lag die SPD vorne und die CDU drei Prozentpunkte vor der Linken. Wie kam es zu den gravierenden Abweichungen?

Michael Kunert: Das sind gravierende Abweichungen und das entspricht in keinster Weise unseren Ansprüchen, die wir an unsere Prognosen haben. Normalerweise, vor Corona, haben wir im Schnitt bei Exit-Polls am Wahltag Abweichungen von einem halben Prozentpunkt gehabt pro Partei. Dass wir dieses Jahr so viele Briefwählerinnen und Briefwähler hatten, die wir nicht an der Urne abgreifen konnten, hat es sicher nicht einfach gemacht. Aber trotzdem hatten wir ungefähr die gleichen Abweichungen bei der aktuellen Bundestagswahl wie sonst auch.

Aber in Berlin bei der Abgeordnetenhauswahl waren die Abweichungen deutlich größer. Und da gab es eben eine Reihe von Dingen, die das in diese Richtung beeinflusst haben.

Könnten Sie das bitte genauer erläutern?

Also das eine waren natürlich die Sachen, die man in den Berliner Medien gelesen hat: fehlende Stimmzettel, geschlossene Wahllokale. Wenn ein Ort, an dem wir so eine Umfrage für die Prognose machen, davon betroffen ist, haben wir natürlich ein Problem. Denn wir suchen uns im Vorfeld bewusst die Wahllokale aus, damit wir eine repräsentative Stichprobe haben.

Und das andere, das uns schadet, sind Schlangen. Wenn die Leute schon für ihre Wahl lang anstehen müssen, dann haben die Leute nicht mehr große Lust, an unseren Befragungen teil zu nehmen.

Teilweise wussten die Wahlvorstände vor Ort auch nicht, dass unsere Korrespondenten kommen, und wollten dann nicht, dass wir die Befragungen machen. Daran halten wir uns natürlich, wenn das nicht gewünscht ist. All das hat dazu geführt, dass wir viel weniger Interviews geführt haben als sonst. Und diese Ausfälle sind eben nicht parteipolitisch neutral.

Aber wieso trifft das denn Parteien so unterschiedlich? Wieso überschätzt man die Grünen und unterschätzt die CDU?

Das kann ich jetzt nicht im einzelnen so sagen. Aber sonst ist es eben so, dass wir jeden ansprechen an den Wahllokalen, die wir uns ausgesucht haben, und ungefähr einen Rücklauf von 70 Prozent haben. Dieses Mal konnten wir aber eben gewisse Leute nicht ansprechen und kamen auf eine Quote von 50 Prozent. Entsprechend schräg war unsere Stichprobe.

Die Tatsache, dass wir das bei der Bundestagswahl nicht so hatten und auch nicht in Mecklenburg-Vorpommern, zeigt, dass das etwas Berlin-Spezifisches war. Und dass die Ausfälle wohl auch geklumpt vorkamen.

Welchen Einfluss hatten denn der Volksentscheid und die Tatsache, dass eben mehrere Wahlen gleichzeitig stattgefunden haben?

Klar, wenn sie eben nicht nur einen Stimmzettel ausfüllen müssen, sondern eben Bundestagswahl, Abgeordnetenhauswahl, BVV und Volksentscheid, dann dauert das für jeden länger. Entsprechend bilden sich Schlangen und wie gesagt: Das ist es, das uns weh tut. Dann funktioniert der Exit-Poll wirklich schlecht.

Analyse | Bundestagswahl

Die Berliner Hochburgen sind bunt gemischt

Das Zentrum grün, die Ränder rot und schwarz: Auch in Berlin hat die SPD die meisten Zweitstimmen geholt. Die Sozialdemokraten liegen aber unter dem bundesweiten Ergebnis, ebenso wie CDU, FDP und AfD - nur bei den Grünen ist es anders. Von Dominik Ritter-Wurnig und Micha Bärsch

Wo Sie gerade noch einmal die Schlangen ansprechen: Das führte ja auch dazu, dass deutlich nach 18 Uhr gewählt wurde. Wäre es denn nötig gewesen, die Prognose zurückzuhalten?

Die Landeswahlleitung hat da ein Statement herausgegeben und entsprechend war das wohl ok. Außerdem geben wir ja unsere Ergebnisse erstmal der ARD und dem rbb. Und die veröffentlichen sie dann. Hätte die Landeswahlleitung gesagt: "Ihr dürft das nicht machen", wäre das wohl auch nicht passiert.

Würden Sie denn auch sagen, dass die Medien Unsicherheiten nicht gut genug bei den Prognosen kommunizieren?

Am Freitag hätte ich das sicher bejaht. Klar, man kann darüber reden, wie man besser Unsicherheiten kommuniziert. Aber in diesem konkreten Fall muss man sagen, dass wir da besser hätten sein müssen und zurecht kritisiert werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Haluka Maier-Borst

Beitrag von Haluka Maier-Borst

Artikel im mobilen Angebot lesen