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Video: rbb24 Abendschau | 05.12.2022 | Boris Hermel | Quelle: imago images/Emmanuele Contini

Wahlvorbereitungen in Berlin

Im Turbogang zur perfekten Wahl

Die Berliner Bezirksämter müssen in wenig Zeit eine fehlerfreie Wiederholungswahl organisieren. Dabei geht es um viele Fragen: Wer ersetzt verstorbene Kandidaten? Was kann älteren Wahlhelfern zugemutet werden? Von Franziska Hoppen

Rolfdieter Bohm hat schon viel erlebt. Er war Staatsanwalt, Richter, hat im Bundesinnenministerium gearbeitet und für den NSU-Ausschuss. Er hat sogar ein Stück des deutschen Grundgesetzes mit formuliert: Artikel 91c und 91d.

Jetzt beschränkt sich seine Welt auf sechs Wahlkreise: Friedrichshain-Kreuzberg 1 bis 6. Bohms Verantwortung aber ist umso größer. Denn er ist einer von zwölf sogenannten "Bezirkswahlleitern". Heißt: Er muss für eine fehlerfreie Wiederholungswahl am 12. Februar sorgen. Es geht um nichts Geringeres als die Demokratie. Und darum, sicherzustellen, dass sein Bezirksamt nicht unter dem Druck zusammenbricht. Denn die gut 2.000 Mitarbeitenden in Friedrichshain-Kreuzberg müssen in nur drei Monaten auf die Beine stellen, wofür sie sonst ein ganzes Jahr Zeit hätte

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Kandidaten-Tetris: einige weggezogen, zwei gestorben

An diesem späten Nachmittag ist aber schon ein Anfang gemacht, und Bohm kann einen großen Punkt von seiner To-Do-Liste streichen: Beim ersten Treffen des sogenannten "Bezirkswahlausschusses" sind die Fraktionen aus dem Bezirksparlament gemeinsam die Wahllisten durchgegangen. Theoretisch sollen diese Listen identisch sein mit denen aus September 2021, doch in Friedrichshain-Kreuzberg sind mehrere Direktkandidaten weggezogen, zwei sind gestorben. Das Nachrückverfahren ist kompliziert. Hunderte Namen müssen perfekt aufgelistet sein, bis hin zu Doktortiteln.

Doch alle arbeiten konzentriert, nach einer Stunde kann sich Bohm das Protokoll unter den Arm klemmen. Weiter geht's durch die Gänge im dritten Stock, mit ein paar Schweißperlen auf der Stirn. "Hier ist es gerade nicht sehr aufgeräumt", warnt der 55-Jährige, als er seine Bürotür aufschließt. Akten auf dem Schreibtisch, Kisten auf dem Boden. Egal. Zeit für Aufräumen ist im März. Jetzt wartet das Landeswahlamt auf Bohms Protokoll. Blöd nur, dass die Technik streikt. Doch Bohm nimmt es gelassen: "Klassiker", kommentiert er. Er habe sich bewusst entschieden, hier arbeiten, nach so vielen Stationen anderswo: um nah an der Politik und den Menschen zu sein. Bloß konnte er nicht ahnen, dass sein Alltag einmal so aussehen würde.

Viele ältere Menschen haben sich als Wahlhelfer gemeldet

Denn Bohm und sein Team müssen rechnen, und das unter Hochdruck: Wie viele Wahlkabinen soll der Bezirk neu bestellen, damit alle Wahlberechtigten zum Zuge kommen? Bei zehn Stunden Öffnungszeit? Gut fünf Minuten pro Wähler und circa 40 Prozent Briefwahlbeteiligung? Und Bohms Team muss planen: Wie viele der 5.000 Wahlhelfenden, die sich schon registriert haben - bei der letzten Wahl waren es 4.100 - sind körperlich fit genug, um einen ganzen Tag im Wahlbüro zu stehen?

Etliche ältere Menschen haben sich diesmal gemeldet, vermutlich, weil sie dringend Geld brauchen. Mit 240 Euro gibt es deutlich mehr als sonst. Bohm wird die Älteren aber wohl eher für Briefwahlbüros einteilen, wenn überhaupt. Dort wäre die Ansteckungsgefahr mit Corona-, oder Grippeviren kleiner. Und die Beamten müssen koordinieren: Die Packstraßen für die Briefwahlunterlagen werden pro Wahlkreis in unterschiedlichen Büros aufgebaut, damit nirgends Papiere durcheinanderkommen. Auch das ist logistisch eine Herausforderung.

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Knifflige juristische Vorgaben

Bis zu 200 Mitarbeitende des Bezirksamtes sind abgestellt, um Bohm bei den Vorbereitungen zu helfen. Das sind gut zehn Prozent der Belegschaft, die ohnehin durch Grippe und Corona ausgefranst ist, nebenbei auch noch die Schöffenwahl vorbereiten muss und reguläre Aufgaben erfüllt. Ende Dezember kommen immerhin noch Leiharbeiter dazu. Sie sollen zum Beispiel kurz vor dem Wahltag Koffer mit dem ganzen Material für die Wahllokale packen. Jurist Bohm trägt die Verantwortung, wenn etwas schiefläuft.

So wie bei der letzten Wahl. Im September 2021 waren seltsamerweise Stimmzettel für Charlottenburg-Wilmersdorf in Friedrichshain-Kreuzberg gelandet. Die Pakete kamen spät an, die Zeitnot war groß, die Hilfskräfte bemerkten den Fehler teils nicht. Knapp 2.000 der falschen Stimmzettel landeten so in den Wahlurnen. Später entschied sich der Bezirkswahlausschuss, basierend auf einem Gerichtsurteil aus 2010 und anhand diverser dadurch vorgeschriebener Richtlinien, diese Stimmen für gültig zu werten. Um die Lage am Chaostag zu retten, entschied sich Bohm außerdem, Ersatzstimmzettel drucken zu lassen - denn die Reserven reichten nicht. Der Verfassungsgerichtshof urteilte später: Beide Entscheidungen waren falsch.

In anderen Fällen, erklärt Bohm, ist das Recht weniger deutlich. So erklärt zum Beispiel das Landesverfassungsgericht es für nicht rechtmäßig, wenn noch nach 18 Uhr gewählt wird - die Wahlordnung aber schon, solange man sich vor 18 Uhr angestellt hat. Solche Unklarheiten enttäuschen Bohm. "Die Anspannung wird bis zum 12. Februar, 18.30 Uhr hoch sein", sagt er deshalb nachdenklich. "Und wahrscheinlich auch noch danach." Dann wird nämlich ausgezählt – und dann wird sich zeigen, ob die Turbo-Wahlvorbereitungen funktioniert haben.

 

Sendung: rbb24 Inforadio, 05.12.2022, 07:30 Uhr

Beitrag von Franziska Hoppen

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