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Video: rbb24 | 10.10.2022 | Uri Zahavi | Quelle: dpa/Tom Weller

Analyse | Köpenicker Sieg in Stuttgart

Un(ion)verdient

Mit einem knappen Sieg in Stuttgart baut Union die Tabellenführung aus. Von einer meisterlichen Leistung waren die Berliner zwar weit entfernt, für den Erfolg gibt es dennoch gute Gründe. Von Till Oppermann

Wer Statistiken sucht, mit denen man den sportlichen Erfolg des 1. FC Union Berlin zum Zufall erklären kann, wird schnell fündig: Torschüsse, Passquote, Ballbesitz, Sprints oder "Expected Goals" (der errechnete Wert für erwartbare Tore). Aber obwohl die Eisernen in all diesen Kategorien zu den schwächsten Teams der Liga gehören, grüßen sie nach dem knappen 1:0 Sieg in Stuttgart nun schon den dritten Spieltag hintereinander von der Tabellenspitze.

"Das war ein glücklicher Sieg für uns", sagte grinsend Rani Khedira. In der Tat hatten die Gastgeber mehr Abschlüsse und die besseren Chancen, gewannen mehr Zweikämpfe, spielten genauere Pässe. Und doch siegte der FCU. "Wir waren die bessere Mannschaft heute, Union macht aus nichts ein Tor – wie sie es schon die ganze Saison sehr gut machen", brachte es VfB-Torwart Florian Müller auf den Punkt.

1:0-Sieg in Stuttgart

Union Berlin bleibt an der Tabellenspitze

Der 1. FC Union Berlin nimmt drei Punkte aus Stuttgart mit und bleibt an der Tabellenspitze. Mit dem Sieg haben die Unioner in dieser Saison bereits 20 Punkte auf ihrem Konto.

Fischer bleibt ruhig und wird belohnt

Der unverdiente Sieg erklärt, warum Unions Tabellenführung verdient ist. Da wäre etwa die Klasse des Trainers Urs Fischer, die sich anhand des Siegtores hervorragend erklären lässt. Innenverteidiger Paul Jaeckel nickte eine Viertelstunde vor Spielende eine scharfe Ecke von Niko Gießelmann ein, der nach normalen Maßstäben zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr auf dem Platz gestanden hätte. Denn in Stuttgarts stärkster Phase rund um die 30. Minute, als die Schwaben auf die Führung drückten, war es Gießelmann, der auf seiner linken Seite massive Probleme hatte, den flinken Tiago Tomas in den Griff zu bekommen.

Immer wieder war der Portugiese dem überforderten Unioner entwischt. Dass kein Tor fiel, verdankten die Berliner ihrem Glück. Auch wenn Fischer seinen Kapitän Christopher Trimmel in der Pause zum Aufwärmen schickte, wechselte er Gießelmann nicht aus. Der 31-Jährige dankte seinem Trainer diese Ruhe mit einer Vorlage. "Die Ecke kam perfekt", lobte Torschütze Jaeckel seinen Vorlagengeber zu Recht. Gießelmann hatte den Ball von der rechten Seite so scharf an die vordere Fünferecke, gezogen, dass der Innenverteidiger nur durchlaufen musste. Ohne Urs Fischers Geduld hätte es den Siegtreffer wohl nicht gegeben. Gießelmann war der einzige Unioner Linksfuß auf dem Platz.

Das Spiel verdeutlicht die Weiterentwicklung der Mannschaft

Ins Gesamtbild passt, dass es die Ecke wegen einer knappen Abseitsstellung im Vorfeld niemals hätte geben dürfen. Im Endeffekt wäre man auch mit einem 0:0 zufrieden gewesen, erklärte Robin Knoche nach dem Spiel. Paul Jaeckel ergänzte: "Über einen dreckigen Sieg kann man sich umso mehr freuen."

Obwohl Union am Donnerstag nach der ersten Liga-Niederlage der Saison mit dem ersten Europa-League-Sieg in Malmö ein emotionales Highlight erlebt hatte, blieb das Team in Stuttgart bis zum Ende wach. Nach zwei verspielten Führungen auf den letzten beiden Köpenicker Reisen zum VfB hatte Fischer gewarnt: "Man muss bis zum Schluss konzentriert bleiben." Das Team tat dem Trainer diesen Gefallen und betrieb mit knapp 119 gelaufenen Kilometern erneut einen außerordentlich großen Aufwand.

Ausschreitungen bei Europa-League-Spiel

Uefa eröffnet Verfahren gegen 1. FC Union und Malmö FF

Ausschreitungen haben das Europa-League-Spiel des 1. FC Union bei Malmö FF überschattet. Neben Feuerwerkskörpern, die abgefeuert wurden, stehen auch provokative Banner im Fokus. Nun hat die Uefa gegen beide Vereine ein Verfahren eröffnet.

Körperlich könnte man drei Spiele in einer Woche von einem Profi verlangen, erläuterte Rani Khedira. Auch mental ist die Mannschaft im Vergleich zur Vorsaison gereift, weiß der Mittelfeldspieler, der zugab, dass die Reisestrapazen der drei Auswärtsspiele in den letzten acht Tagen an den Nerven zerrten: "Im Kopf war das schwierig, aber wir holen uns die Frische jetzt zurück." Nach der Frankfurt-Niederlage und zwei zu Null-Siegen freut sich Union auf drei Heimspiele in Serie.

Sollte der 1. FC Union auch fußballerisch weiter keine Spitzenmannschaft sein, bezüglich ihrer Einstellung, Konzentration und Geduld ist die Fischer-Elf in der Bundesliga das Maß aller Dinge.

Wie verdient ist die Tabellenführung?

Ein Wettstreit, in dem - mehr als in vielen anderen Mannschaftssportarten - letztlich oft das kollektive Zusammenspiel die individuelle Klasse schlägt, hat in Urs Fischers Unionern einen neuen Meister gefunden. Höchstwahrscheinlich wird im Mai eine Mannschaft mit mehr Geld und den besseren Individualisten die Meisterschale in die Höhe recken. Doch der Erfolg beim 1. FC Union zeigt, dass es Rezepte gibt, um den Leistungshorizont einer Fußballmannschaft zu überschreiten. "Bei uns zählt in erster Linie das Kollektiv", sagte Oliver Ruhnert kürzlich, als er den Erfolg der Spieler erklären sollte, die er fast ausnahmslos in den Verein gelotst hat.

Die statistischen Werte, in denen Union ganz oben steht, ergeben sich aus Gemeinschaftsleistungen. Nach wie vor stehen die Eisernen trotz der meisten Fouls an der Spitze der Fairness-Tabelle, weil sie die wenigsten Karten sehen. Wenn ein Rot-Weißer foult, dann meistens, um seinen Kollegen Zeit zu geben, um sich neu zu formieren. Keine Mannschaft läuft so viel wie das Team von Fischer – trotz der Dreifachbelastung. Außerdem stellen die Eisernen trotz vergleichsweise weniger Torchancen den besten Angriff der Liga und kassieren die wenigsten Gegentore. Anhänger des schönen Fußballs mögen die Tabellenführung der Eisernen unverdient finden. Und doch hat sie sich Union verdient.

Sendung: rbb24 Inforadio, 10.10.2022, 7.15 Uhr

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