Analyse | Köpenicker Sieg in Stuttgart - Un(ion)verdient

Mo 10.10.22 | 08:27 Uhr
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Union Berlins Paul Jaeckel (M) jubelt nach seinem Tor zum 0:1 mit der Mannschaft. (Quelle: dpa/Tom Weller)
Video: rbb24 | 10.10.2022 | Uri Zahavi | Bild: dpa/Tom Weller

Mit einem knappen Sieg in Stuttgart baut Union die Tabellenführung aus. Von einer meisterlichen Leistung waren die Berliner zwar weit entfernt, für den Erfolg gibt es dennoch gute Gründe. Von Till Oppermann

Wer Statistiken sucht, mit denen man den sportlichen Erfolg des 1. FC Union Berlin zum Zufall erklären kann, wird schnell fündig: Torschüsse, Passquote, Ballbesitz, Sprints oder "Expected Goals" (der errechnete Wert für erwartbare Tore). Aber obwohl die Eisernen in all diesen Kategorien zu den schwächsten Teams der Liga gehören, grüßen sie nach dem knappen 1:0 Sieg in Stuttgart nun schon den dritten Spieltag hintereinander von der Tabellenspitze.

"Das war ein glücklicher Sieg für uns", sagte grinsend Rani Khedira. In der Tat hatten die Gastgeber mehr Abschlüsse und die besseren Chancen, gewannen mehr Zweikämpfe, spielten genauere Pässe. Und doch siegte der FCU. "Wir waren die bessere Mannschaft heute, Union macht aus nichts ein Tor – wie sie es schon die ganze Saison sehr gut machen", brachte es VfB-Torwart Florian Müller auf den Punkt.

Fischer bleibt ruhig und wird belohnt

Der unverdiente Sieg erklärt, warum Unions Tabellenführung verdient ist. Da wäre etwa die Klasse des Trainers Urs Fischer, die sich anhand des Siegtores hervorragend erklären lässt. Innenverteidiger Paul Jaeckel nickte eine Viertelstunde vor Spielende eine scharfe Ecke von Niko Gießelmann ein, der nach normalen Maßstäben zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr auf dem Platz gestanden hätte. Denn in Stuttgarts stärkster Phase rund um die 30. Minute, als die Schwaben auf die Führung drückten, war es Gießelmann, der auf seiner linken Seite massive Probleme hatte, den flinken Tiago Tomas in den Griff zu bekommen.

Immer wieder war der Portugiese dem überforderten Unioner entwischt. Dass kein Tor fiel, verdankten die Berliner ihrem Glück. Auch wenn Fischer seinen Kapitän Christopher Trimmel in der Pause zum Aufwärmen schickte, wechselte er Gießelmann nicht aus. Der 31-Jährige dankte seinem Trainer diese Ruhe mit einer Vorlage. "Die Ecke kam perfekt", lobte Torschütze Jaeckel seinen Vorlagengeber zu Recht. Gießelmann hatte den Ball von der rechten Seite so scharf an die vordere Fünferecke, gezogen, dass der Innenverteidiger nur durchlaufen musste. Ohne Urs Fischers Geduld hätte es den Siegtreffer wohl nicht gegeben. Gießelmann war der einzige Unioner Linksfuß auf dem Platz.

Das Spiel verdeutlicht die Weiterentwicklung der Mannschaft

Ins Gesamtbild passt, dass es die Ecke wegen einer knappen Abseitsstellung im Vorfeld niemals hätte geben dürfen. Im Endeffekt wäre man auch mit einem 0:0 zufrieden gewesen, erklärte Robin Knoche nach dem Spiel. Paul Jaeckel ergänzte: "Über einen dreckigen Sieg kann man sich umso mehr freuen."

Obwohl Union am Donnerstag nach der ersten Liga-Niederlage der Saison mit dem ersten Europa-League-Sieg in Malmö ein emotionales Highlight erlebt hatte, blieb das Team in Stuttgart bis zum Ende wach. Nach zwei verspielten Führungen auf den letzten beiden Köpenicker Reisen zum VfB hatte Fischer gewarnt: "Man muss bis zum Schluss konzentriert bleiben." Das Team tat dem Trainer diesen Gefallen und betrieb mit knapp 119 gelaufenen Kilometern erneut einen außerordentlich großen Aufwand.

Körperlich könnte man drei Spiele in einer Woche von einem Profi verlangen, erläuterte Rani Khedira. Auch mental ist die Mannschaft im Vergleich zur Vorsaison gereift, weiß der Mittelfeldspieler, der zugab, dass die Reisestrapazen der drei Auswärtsspiele in den letzten acht Tagen an den Nerven zerrten: "Im Kopf war das schwierig, aber wir holen uns die Frische jetzt zurück." Nach der Frankfurt-Niederlage und zwei zu Null-Siegen freut sich Union auf drei Heimspiele in Serie.

Sollte der 1. FC Union auch fußballerisch weiter keine Spitzenmannschaft sein, bezüglich ihrer Einstellung, Konzentration und Geduld ist die Fischer-Elf in der Bundesliga das Maß aller Dinge.

Wie verdient ist die Tabellenführung?

Ein Wettstreit, in dem - mehr als in vielen anderen Mannschaftssportarten - letztlich oft das kollektive Zusammenspiel die individuelle Klasse schlägt, hat in Urs Fischers Unionern einen neuen Meister gefunden. Höchstwahrscheinlich wird im Mai eine Mannschaft mit mehr Geld und den besseren Individualisten die Meisterschale in die Höhe recken. Doch der Erfolg beim 1. FC Union zeigt, dass es Rezepte gibt, um den Leistungshorizont einer Fußballmannschaft zu überschreiten. "Bei uns zählt in erster Linie das Kollektiv", sagte Oliver Ruhnert kürzlich, als er den Erfolg der Spieler erklären sollte, die er fast ausnahmslos in den Verein gelotst hat.

Die statistischen Werte, in denen Union ganz oben steht, ergeben sich aus Gemeinschaftsleistungen. Nach wie vor stehen die Eisernen trotz der meisten Fouls an der Spitze der Fairness-Tabelle, weil sie die wenigsten Karten sehen. Wenn ein Rot-Weißer foult, dann meistens, um seinen Kollegen Zeit zu geben, um sich neu zu formieren. Keine Mannschaft läuft so viel wie das Team von Fischer – trotz der Dreifachbelastung. Außerdem stellen die Eisernen trotz vergleichsweise weniger Torchancen den besten Angriff der Liga und kassieren die wenigsten Gegentore. Anhänger des schönen Fußballs mögen die Tabellenführung der Eisernen unverdient finden. Und doch hat sie sich Union verdient.

Sendung: rbb24 Inforadio, 10.10.2022, 7.15 Uhr

15 Kommentare

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  1. 15.

    Ja eben, der FCU spielt robust, aber nicht unfair. Das ist das was Urs Fischer meint, wenn er von "eklig" redet, und was die Fans auch sehen wollen. Und seit der doofen Aussage von Weghorst vor längerer Zeit, dass Union Berlin gar keinen Fussball spielen, sondern nur Zweikämpfe führen will :-), habe ich nichts gleichlautendes mehr von einem Spieler oder Trainer anderer Vereine gehört. Im Gegenteil, wird dem FCU mit Respekt und Anerkennung begegnet, wie es erst letztens von Thomas Müller nach dem Spiel gegen die Bayern bekundet wurde.

    Es ist schon erstaunlich, wie der FCU sich innerhalb dieser kurzen Zeit in der Buli von einer anfangs noch recht hart spielenden Truppe hin zu einer sehr intelligent verteidigenden Einheit entwickelt hat. Das Team Fischer/Hoffmann hat hier ganz großartige Arbeit geleistet. Wobei das ohne Olli Ruhnert, unseren Präsi und überhaupt alle Entscheider im Verein natürlich nicht möglich gewesen wäre. Also ich bin zufrieden. ;)

  2. 14.

    Sehe ich auch so!

    und noch etwas ist mir aufgefallen: (Zitat)
    "Nach wie vor stehen die Eisernen trotz der meisten Fouls an der Spitze der Fairness-Tabelle, weil sie die wenigsten Karten sehen."
    zu erwähnen wäre hier noch, dass die Karten auch sehr oft taktisch genommen werden oder eben aus emotionalen Überreaktionen, wie z.B. die Gelbe für Becker nach Ballwegschlagens oder die für Gießelmann für die Blockade eines schnell ausgeführten Freistoßes. Ja, das sind strafwürdige "Fouls", ja, diese ziehen nach Regelwerk eine Gelbe nach sich und sie sind dennoch nicht vergleichbar mit Karten wegen Ellenbogenchecks gegen den Kopf oder klassische "Blutgrätschen", wie man sie oft anderswo sieht. Also ich bin stolz, dass Union körperlich kämpft und spielt und dennoch meist fair bleibt.

  3. 13.

    Danke für den guten Artikel, Till Oppermann.

  4. 12.

    Traurige Niveau, Herr Operrmann, wollen Sie mit Titeln glänzen ? Sie müssen scheinbar noch viel erleben um zu kommentieren. RBB Sport wie immer unterirdisch....

  5. 11.

    Un(ion)verdient: Wer Tore schießt, gewinnt, ganz einfach, so geht Fußball. Wer als Hauptstadtkommentator so herablassend über einen Verein vor Ort schwadroniert, trägt wahrscheinlich einen blauweißen Fanschal und wird nicht ernstgenommen. Ich freue mich mit der siegreichen Mannschaft, die immer besser wird! EISERN!

  6. 10.

    Achso, eine Ecke kann man nicht abwehren? Ist mir neu. Drei Ecken ein Tor, zählt nicht mehr. Jetzt heißt es, wenn es eine unberechtigte Ecke gegen deine Mannschaft gibt, dann bitte verteidigen einstellen, sie zählt als Tor. Sorry, diese neue Regel kannte ich nicht !

  7. 9.

    Fritzle, den gleichen Senf hast du schon im anderen Artikel von dir gegeben.
    Noch immer keine Spätzle bekommen? ;-)

    Mal verliert man und mal gewinnen die Anderen. Nachtreten bringt weder auf dem Platz noch daneben irgendwelche Sympathien ein. Im Falle einer Niederlage zeigt sich wahre Größe. Nicht umsonst schallt es in vielen Stadien: "Sch... Verlierer" ;-)

  8. 8.

    Glück des Tüchtigen trifft es ganz gut, denn wer 8km mehr rennt als der Gegner hat sich jenes Glück hart erarbeitet und das bei einer aktuellen Dreifachbelastung.

    Der Rest soll sich hier mal entspannen und es lieber würdigen dass aktuell zwei mitgliedergeführte Vereine oben stehen und nicht die üblichen Verdächtigen oder andere GmbH 's / Konstrukte.

    Ich find das toll. :))

  9. 7.

    Da ist wohl jemandem das Regelwerk nicht bekannt. Lesen Sie doch einmal nach, wann der VAR zum Einsatz kommt bzw. eingreifen darf. Und dann heulen Sie bitte etwas leiser.

  10. 6.

    Die Analyse ist schon i.O. Wir wissen schon das es kein berauschender Fußball ist. Unsere Devise ist jeden Gegner zu bekämpfen eklig sein , alles geben, deswegen stehen 20 000 in der AF u treiben Sie vorwärts.
    Bin schon gespannt , wenn wir 3x verlieren, was dann so alles geschrieben wird.
    Also auf zum nächsten ekligen Spiel am Donnerstag

  11. 5.

    Ja, wenn die Blauen oben stehen würden (!!!) dann würde der rbb Sondersendungen stündlich produzieren! u.n.v.e.u.

  12. 4.

    ....wie wäre es "Mit dem Glück des Tüchtigen" !
    Gestern 3 Punkte eingesagt und nach dem Wie und Wann kräht heute (früh) schon kein Hahn mehr...
    EISERN

  13. 3.

    Post 2/2:
    auch der VAR in Köln sind blind wie ein Maulwurf... :-( Wieder einmal wird ein Spiel durch eine Schiedsrichter-Fehlentscheidung entschieden :-( Zum Ende derersten Halbzeit wurde ja schließlich auch die Entscheidung zu einer Ecke korrigiert und der VfB bekam den Eckstoß nicht, stattdessen gab es Abstoß für Union,nachdem der Schiri einen Hinweis auf?s Ohr geflüstert bekommen hatte! Warum gab es das in der 76. Minute nicht ????
    UN(ion)GERECHT UND VERPFIFFEN IST DIESES ERGEBNIS!!!

  14. 2.

    Post 1/2:
    Union gewinnt, danke einer Ecke, die es gar nicht hätte geben dürfen! In der Szene, die in der 76. Spielminute unmittelbar dem vermeintlichen Eckstoßvoraus gegangen war, befand sich ein Unioner Spieler(gleich 2x) sichtbar im Abseits, dass konnten alle Zuschauer am TV-Bildschirm zu Hause zweifelsfrei erkennen, auch die Kommentatoren bei dem Streamingdienst mit den 4 Großbuchstaben sahen dies, nur der Linienrichter, der keine 5 Meter von der Szene entfernt stand und

  15. 1.

    Die Überschrift kann nur aus Charlottenburg kommen und von einer Person, die das Spiel nur am RBB-Radio verfolgt hat.

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