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Video: Brandenburg aktuell | 27.11.2020 | Philip Barnstorf | Quelle: dpa/Patrick Pleul

Industrie-Ansiedlung in Grünheide

Tesla: Fluch oder Segen für regionalen Arbeitsmarkt?

Das Tesla-Werk könnte der größte private Arbeitgeber in ganz Ostdeutschland werden. Starten soll die Fabrik mit 7.000 Angestellten, später könnten dort 40.000 arbeiten. Wie will Tesla das anstellen und was bedeutet das für die regionale Wirtschaft? Von Philip Barnstorf

Von Managern, Chemikern, Ingenieuren, über KFZ Mechaniker, Lackierer bis zu ungelernten Bandarbeitern: Mehr als 100 verschiedene Berufe sucht der US-Autohersteller Tesla für sein Werk in Grünheide (Oder-Spree). Das Unternehmen stellt schon jetzt eifrig ein, denn etwa Facharbeiter und Manager mit Uni-Abschlüssen sind rar. Daher muss Tesla sie häufig von anderen Unternehmen abwerben. Schon allein wegen der Kündigungsfristen braucht das Vorlauf.

So hat sich das Unternehmen schon die Dienste von Rene Reif gesichert. Derzeit leitet der 57-Jährige noch das Mercedes-Werk in Berlin-Marienfelde, aber zum Januar 2021 soll er zu Tesla wechseln und gilt auch als heißer Kandidat auf den Posten des Werksleiters.

Tesla könnte von Stellenabbau bei Konkurrenz profitieren

Eine wirtschaftliche Entwicklung kommt den Kaliforniern bei der Fachkräfte-Anwerbung entgegen: Etwa bei Mercedes in Marienfelde und bei Rolls Royce im Dahlewitz (Teltow-Fläming) werde gerade umstrukturiert, sagt Thomas Kühne von der Industrie- und Handelskammer Ostbrandenburg (IHK). "Da werden Mitarbeiter aus hochwertigen Industrie-Arbeitsplätzen freigesetzt. Für sie kann Tesla eine attraktive Alternative sein."

Neben Annoncen auf seiner Website setzt Tesla bei der Personaleinstellung auch auf ungewöhnliche Methoden. Gerade mal einen Tag vor seinem letzten Grünheide-Besuch Anfang November forderte Tesla-Chef Elon Musk Ingenieure - stilecht per Tweet - dazu auf, ihre Bewerbungen zu mailen. Direkt am nächsten Tag gab es dann schnell getaktete Bewerbungsgespräche in einem provisorischen Zelt auf der Baustelle. Unter dem Motto "25guns" (25 Kanonen) ist dabei eine Troubleshooter-Truppe herausgekommen, die nach den Querelen in den letzten Wochen auf der Baustelle Abläufe verschlanken soll.

Tesla will mehr als regionalen Durchschnittslohn zahlen

Außerdem haben mehrere Arbeitsagenturen aus der Region gemeinsam in Berlin ein Büro eröffnet, um gezielt Menschen an Tesla zu vermitteln. So sollen etwa die ersten 200 Logistikmitarbeiter Anfang 2021 Verträge bei Tesla unterschreiben. Weitere Bewerbungstage haben die Arbeitsvermittler unter der Federführung der Arbeitsagentur Frankfurt (Oder) für Dezember geplant.

Auch wenn Tesla in den Produktionsstraßen besonders viele und moderne Roboter einsetzen will, dürfte es bei den meisten Jobs im Grünheider Werk um eher einfache Fließbandarbeit gehen. Dabei könnte Tesla einiges bewegen, denn die Kalifornier wollen schon ungelernten Mitarbeitern 2.700 Euro Einstiegsgehalt zahlen. "Das bewegt sich ungefähr um 20 Prozent über dem regionalen Durchschnittsniveau", sagt Thomas Kühne von der IHK. Im bundesweiten Vergleich läge dieser Lohn dagegen im Mittelfeld. In den Autofabriken in Stuttgart und Ingolstadt verdienten die Mitarbeiter sogar noch mehr.

Brandenburger Löhne könnten insgesamt steigen

Was bedeuten diese Löhne für die Region? Tesla setzt damit andere regionale Arbeitgeber unter Druck, ihren Angestellten mehr zu zahlen. Die IHK hofft nach eigener Aussage, dass die Brandenburger Löhne damit auf West-Niveau steigen und das Land sein Image als Billiglohnregion hinter sich lässt. Gleichzeitig äußern Handwerksbetriebe wie etwa KFZ-Werkstätten anonym die Befürchtung, dass Tesla ihre Mitarbeiter abwerben könnte. Gerade kleinen Familienbetrieben könnte das Aus drohen, falls Tesla in den kommenden Jahren den regionalen Arbeitsmarkt trockenlegt. Das könnte passieren wenn die Firma – wie von Experten erwartet – vier Fünftel seiner Belegschaft aus Ostbrandenburg und den östlichen Stadtteilen Berlins rekrutiert.

Aber ausgemacht ist nichts: "In den Handwerksbetrieben herrscht in der Regel eine familiäre Atmosphäre und man arbeitet individuell. Da steht man nicht im Schichtbetrieb zu hundert am Band", sagt Uwe Hoppe von der Handwerkskammer Ostbrandenburg. Über ihre Arbeitsbedingungen könnten die Betriebe dem "Drang nach dem sogenannten großen Geld" etwas entgegensetzen.

Tesla versus Gewerkschaften?

Auch Birgit Dietze, Bezirksleiterin bei der IG Metall, ist noch abwartend angesichts der 2.700 Euro Einstiegsgehalt bei Tesla: "Es ist ein Unterschied ob man 2.700 Euro für 35 oder für 60 Stunden pro Woche bekommt", sagt die Gewerkschafterin, "Außerdem kommt es darauf an, wie Urlaub, Leistungsbedingungen, Krankheit und Zuschläge geregelt sind."

Außerdem dürfte der IG Metall nicht entgangen sein, dass Tesla mit deutschen Betriebsräten und Tarifverträgen fremdelt. So hat das Unternehmen seine Brandenburger Dependance als Societas Europaea (SE) gegründet. Das ist eine EU-Rechtsform, mit der Arbeitgeber die Bildung von Betriebsräten erschweren können. Birgit Dietze ist dennoch guter Dinge: "Wir begrüßen, dass so ein innovativer Großkonzern sich hier ansiedelt und Arbeitsplätze schafft." Man wolle eine "Politik der ausgestreckten Hand etablieren".

Die "Wirtschaftswoche" berichtet derweil von IG Metallern, die wegen Tesla "hochgradig alarmiert" seien. Angeblich arbeiten sie schon an Strategien, um im Grünheider Werk einen Fuß in die Tür zu kriegen.

Im Juli 2021 sollen die ersten Brandenburger Teslas vom Band rollen, gefertigt von zunächst 7.000 Mitarbeitern. Dann dürfte sich herausstellen, welche Hoffnungen und welche Sorgen um die größte Industrie-Ansiedlung in Brandenburg seit der Wende sich bewahrheiten.

Beitrag von Philip Barnstorf

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