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Video: rbb24 Abendschau | 13.09.2022 | Leonie Schwarzer | Quelle: dpa/Lothar Ferstl

Hintergrund | Neue Förderrichtlinie

Wie Investoren Lust auf Sozialwohnungsbau in Berlin gemacht werden soll

Die rot-grün-rote Koalition will den Bau von günstigen Wohnungen in Berlin ankurbeln. Dafür nimmt sie mehr Geld in die Hand als bisher - und kommt Investoren auch ansonsten deutlich entgegen. Von Thorsten Gabriel

Der Soziale Wohnungsbau in Berlin ist ein Kopfschmerzthema. Kaum eine Materie rund ums Leben in Berlin ist rechtlich komplizierter. Manche unken, nur eine Handvoll Menschen kenne sich in dem Dschungel von Fördersystemen der vergangenen Jahrzehnte wirklich aus. "Kostenmiete", "Anschlussförderung" und "Zweiter Förderweg" sind Stichworte, die nur bei ganz hartgesottenen Wohnungspolitikjunkies die Leidenschaft hochkochen lassen.

Bestimmungen werden überarbeitet

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Dies sollte man im Hinterkopf haben, wenn man verstehen will, weshalb die rot-grün-rote Koalition in den vergangenen Wochen wieder einmal so heftig darum gerungen hat, die Wohnungsbau-Förderprogramme des Landes zu optimieren: Es geht hier nicht nur um viel Geld, sondern vor allem um Entscheidungen, die Auswirkungen für drei Jahrzehnte haben - vor allem auf Mieterinnen und Mieter. Haushalte, die in Sozialwohnungen aus dem alten West-Berlin zuhause sind, können davon ein Lied singen: Die Wohnungsbauprogramme alter Zeit gelten heute als toxisch, weil sie Sozialwohnungshaushalten nach Jahrzehnten teils horrende Mietkostensteigerungen beschert haben.

Wohnungsbauförderung: Klotzen statt kleckern

Seit 2014 fördert Berlin wieder den Bau von Sozialwohnungen. Zuletzt wurden die Vorgaben dafür 2019 nachgebessert. Seitdem aber hat sich die Situation der Bau- und Wohnungswirtschaft sowohl durch Corona als auch durch den Krieg in der Ukraine dramatisch verändert - vor allem in Gestalt explosionsartig gestiegener Baupreise. Mit der Folge, dass in diesem Jahr noch keine einzige neue Sozialwohnung auf den Weg gebracht wurde und gleichzeitig reihenweise alte Sozialwohnungen nach Ablauf der Förderfristen ihre Sozialbindung verlieren.

Beim Geld war sich die Koalition ausnahmsweise schnell einig: Insgesamt wurden mit dem neuen Doppelhaushalt deutlich mehr Mittel in den Fördertopf gepackt als bisher. Wenn vor allem mehr private Investoren dazu animiert werden sollen, staatliche Baukredite zu nutzen, um dafür im Gegenzug Sozialwohnungen zu bauen, muss das Förderangebot nicht nur attraktiv sein, sondern vor allem auch üppig ausfallen, lautet die Logik dahinter. Klotzen statt kleckern. So sind für dieses Jahr nun 233 Millionen und für nächstes Jahr 340 Millionen Euro veranschlagt. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es 174 Millionen.

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Eine Mischung aus Darlehen und Zuschüssen

Verhakt hatten sich die Fachleute von SPD, Grünen und Linken aber beim Kleingedruckten - das allerdings eine wichtige Rolle spielt: Unter welchen Bedingungen sollen Bauprojekte künftig gefördert werden? Die Antworten der Koalitionäre sind teils handfest, teils aber auch aus der Abteilung Formelkompromiss.

Damit die staatliche Förderung für private Investoren an Attraktivität gewinnt, verständigte sich die Koalition darauf, die maximale Grundfördersumme von 1.800 Euro auf 3.350 Euro pro Quadratmeter zu erhöhen. Außerdem dürfen im besten Falle nun 35 statt wie bisher 25 Prozent des Darlehens als Zuschuss behalten werden, ohne dass es zurückgezahlt werden muss. Weitere Zuschüsse kann es beispielsweise auch für klimafreundliches oder rollstuhlgerechtes Bauen geben.

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Günstige Wohnungen für untere und mittlere Einkommen

Wie bisher sind in erster Linie zwei Fördermodelle vorgesehen: Beim ersten geht es um Sozialwohnungen für Menschen mit unteren Einkommen (mit Wohnberechtigungsschein WBS100 bzw. WBS140), beim zweiten um Wohnungen für Haushalte mit mittleren Einkommen (WBS180). Erstmals wird es für Investoren auch möglich sein, dass sie bei Bauprojekten ausschließlich Sozialwohnungen für dieses mittlere Segment anbieten. Bislang war dies stets daran gekoppelt, dass gleichzeitig auch Wohnungen im günstigeren Segment entstehen. Allerdings ist zumindest der Fördertopf hier gedeckelt: Maximal 20 Prozent der gesamten Mittel dürfen für die Förderung von WBS180-Wohnungen verwendet werden. Gefördert werden können außerdem nicht nur Neubauten, sondern auch Dachgeschossausbauten oder Umbauten, wenn etwa aus Gewerbeimmobilien Wohnhäuser werden sollen.

Eher verschwommen fällt der Kompromiss beim Thema Miethöhen aus. Seit 2014 galt hier im unteren Segment eine Einstiegsmiete von 6,50 Euro netto kalt pro Quadratmeter, die dann alle zwei Jahre um maximal 20 Cent Jahre erhöht werden darf. Der Entwurf von Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) für die neuen Förderrichtlinien sah nun eine Anhebung dieser Einstiegsmiete auf sieben Euro vor. Das allerdings war vor allem der Linken deutlich zu hoch. Die Grünen hatten intern für eine Anhebung auf 6,80 Euro plädiert.

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Formelkompromiss zur Gesichtswahrung

Herausgekommen ist nun eine Formulierung, die einige in der Koalition als "gesichtswahrend" für die Linke einordnen: "Die anfängliche monatliche Miethöhe (…) beträgt 6,60 €/m²; sie wird um 10 Cent pro Jahr nach Inkrafttreten dieser Förderrichtlinie jeweils zum 01.01. fortgeschrieben." Der Teufel steckt im Detail: Nicht etwa alle neuen Sozialmieterinnen und -mieter zahlen "anfänglich" nun 6,60 Euro, sondern diese Miethöhengrenze verschiebt sich von Jahr zu Jahr. Für geförderte Projekte mit Baubeginn im nächsten Jahr, läge sie also bereits bei 6,70 Euro. Angesichts der derzeit durchschnittlichen Angebotsmieten in Berlin ist das zwar immer noch ein moderater Mietpreis - aber eben doch mehr als starre 6,60 Euro. Beim zweiten Förderweg lag die Einstiegsmiete zuletzt bei 8,20 Euro. Künftig soll die Einstiegsmiete hier auf neun Euro steigen.

Vertagt hat die Koalition eine endgültige Antwort auf die Frage, wie Sozialwohnungen langfristig ihre Bindung behalten können, wenn Investoren ihr Darlehen vor Ablauf der 30 Jahre zurückzahlen. Die Richtlinie sieht nun vor, dass solche Wohnungen mindestens noch zwölf Jahre gebunden bleiben bis zur maximalen Grenze von 30 Jahren. Mehr sei rechtlich derzeit nicht machbar, argumentiert Stadtentwicklungssenator Geisel. Grüne und Linke wiesen allerdings in den Verhandlungen darauf hin, dass längerfristige Wirkungen durchaus möglich seien. Allerdings müsste Berlin dafür gesetzliche Regelungen treffen. Solche gebe es beispielsweise bereits in Bremen, heißt es.

Im nächsten Jahr soll diese Frage neu aufgerufen werden. Dann will die Koalition den jetzt gefassten Förderkompromiss neu begutachten und gegebenenfalls überarbeiten.

Sendung: Abendschau, 13.09.2022, 19:30 Uhr

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