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Audio: rbbKultur | 30.4.2022 | Quelle: dpa/Monika Rittershaus

Berliner Philharmoniker in Lettland

Europakonzert aus traurigem Anlass mit viel Improvisationsgeschick

Traditionell spielen die Berliner Philharmoniker am 1. Mai ihr Europakonzert an einem besonderen Ort. Dieses Jahr findet es im lettischen Liepāja statt. Eine kurzfristige Entscheidung, denn am ursprünglich geplanten Ort – in Odessa – herrscht Krieg. Von Antje Bonhage

Seit 1991 feiern die Berliner Philharmoniker ihren Geburtstag am 1. Mai mit dem Europakonzert an einem besonderen historischen Ort. Das diesjährige Konzert zum 140. Geburtstag des Orchesters sollte eigentlich in Odessa stattfinden. Aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine musste jedoch kurzfristig ein anderer Ort gefunden werden. Gespielt wird nun in der "Great Amber" Konzerthalle im lettischen Liepāja.

Als erstes Werk im Programm steht die "Musica Dolorosa für Streicherorchester" von Peteris Vasks, einem der bedeutendsten lettischen Komponisten. Das Stück hat er 1983 nach dem Tod seiner Schwester komponiert. Es sei eine traurige Musik, findet Timurs Tomsons, der Generaldirektor der "Great Amber" Konzerthalle. Die Komposition spiegele das Leiden der lettischen Bevölkerung unter Besatzung.

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45 Jahre war Lettland von der Sowjetunion besetzt

Fast auf den Tag genau vor 32 Jahren, am 4. Mai 1990, wurde Lettland unabhängig. 45 Jahre hatte die sowjetische Besatzung gedauert.

Peteris Vasks habe sich intensiv mit der lettischen Geschichte auseinandergesetzt, erzählt Timurs Tomsons. Und mit dem Gefühl, was es bedeute, unter einer Besatzung zu leben. "Mit dieser Musik im Programm bekunden wir unsere Solidarität mit der Ukraine", so Tomsons.

Solidarität mit der Ukraine

Auch die Elegie von Valentin Silvestrov, die die Philharmoniker in das spontan an die Situation angepasste Programm genommen haben, ist ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine. Silvestrov ist der wohl wichtigste ukrainische Komponist der Gegenwart. Der heute 84-Jährige wollte Kiew, seine Heimatstadt, partout nicht verlassen. Erst auf Drängen seiner Freunde floh er schließlich nach Berlin.

Kurzfristige Änderung des Europakonzerts

Für ihr Europakonzert reisen die Berliner Philharmoniker seit 1991 traditionell an einen besonderen historischen Ort in Europa. In den letzten beiden Jahren blieben sie pandemiebedingt in Berlin, statt in Tel Aviv (2020) und Barcelona (2021) aufzutreten. In diesem Jahr ist das Reisen wieder möglich, und Odessa als Veranstaltungsort war bereits Jahre im Voraus geplant. Durch den russischen Angriff auf die Ukraine musste nun jedoch erneut kurzfristig umdisponiert werden.

Die größte Herausforderung habe darin bestanden, einen Veranstalter zu finden, sagt Andrea Zietzschmann, die Intendantin der Berliner Philharmoniker. "In der Regel wählen wir für das Europakonzert ja Orte aus, die nicht unbedingt herkömmliche Spielstätten wie Theater oder Konzerthäuser sind", so die Intendantin. Aufgrund der Zeitknappheit sei das jetzt jedoch nicht mehr möglich gewesen. Denn um ein Konzert so kurzfristig umsetzen zu können, sei die nötige Infrastruktur unverzichtbar.

Der "Bernstein" an der Ostsee

Das Konzerthaus in Liepāja ist deshalb ein Glücksfall: Erst 2015 wurde die Great Amber Konzerthalle gebaut, mit hervorragender Akustik. Wie ein großer Bernstein sieht das Haus aus – daher auch der Name Great Amber. Die Halle steht für die lange Musiktradition der Stadt: Das Liepāja Symphonie Orchester, das jetzt im "Großen Bernstein" zuhause ist, wurde 1881 gegründet. Ein Jahr vor den Berliner Philharmonikern.

"Obwohl Lettland so ein kleines Land ist, haben wir hier eine ganze Reihe hervorragender Musiker, die auch in Deutschland bekannt sind", sagt Timurs Tomsons, der Generaldirektor, nicht ohne Stolz. Unter den Berühmtheiten: Mariss Janssons, Andris Nelsons, Baiba Skride. Auch die renommierte Mezzosopranistin Elina Garanca stammt aus Lettland.

Höhepunkte im Programm

Gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern wird Garanca beim Europakonzert in Liepāja auf der Bühne stehen. Mit Luciano Berios "Folk Songs". Ein Programmpunkt, der zweifelsohne mit zu den Höhepunkten des Konzerts gehört - findet auch Olaf Maninger, Solocellist bei den Philharmonikern. Er freut sich besonders auch auf "Finlandia", Jean Sibelius‘ Tondichtung für Orchester.

"Dieses Stück in diesem wunderbaren Konzertsaal zu spielen, am Meer in einem baltischen Staat – das ist Traum und wird wahnsinnig gut passen", so der Cellist. Mit diesem Werk endet das diesjährige Europakonzert.

Sendung: rbbKultur radio, 01.05.2022, live ab 11 Uhr

Beitrag von Antje Bonhage

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