rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
Quelle: imago images/U. Moser

Ein Jahr nach Selbstverbrennung einer trans Frau

"Ich glaube, dass sie einfach nicht mehr konnte"

Vor einem Jahr zündete sich die trans Frau Ella auf dem Berliner Alexanderplatz an. Sie erlag ihren schweren Verletzungen. Ihr Leben fühlte sich trotz kleiner Lichtblicke oft an wie ein endloser Kampf, erzählt ein enger Freund. Von Christopher Ferner

"Als Ella eine Zeit lang bei mir gewohnt hat, hat sie meistens schon gekocht, wenn ich nach der Arbeit nach Hause gekommen bin", erzählt Georg Matzel. Nach dem Essen hätten sich die beiden bei einem Glas Wein über alles Mögliche unterhalten – über das Leben im Iran, die deutsche Gesellschaft, über Musik, Kunst und die Natur. Es sind diese kleinen Momente mit Ella, an die Georg gerne zurückdenkt. Es sind Erinnerungen, die ihren wahren Wert wohl erst rückblickend haben erkennen lassen.

Ob Ella in diesen gemeinsamen Momenten mit Georg all die Ungewissheiten, all die Diskriminerung und all den Hass, der ihr in Deutschland entgegengeschlagen war, für einen Moment vergessen konnte – es lässt sich weder sagen, noch herausfinden. Am Mittwoch ist Ellas Tod genau ein Jahr her.

Am 14. September 2021 übergoss sich die trans Frau aus dem Iran mitten auf dem Alexanderplatz mit Benzin, zündete sich wortlos an. Ein Mitarbeiter eines umliegenden Kaufhauses eilte ihr zu Hilfe – doch er kam zu spät. Ella erlag wenige Stunden später im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen.

"Die Summe der Widrigkeiten, die Ella ihr ganzes Leben ertragen musste, waren wohl irgendwann größer als die Verheißung auf ein ruhiges und friedliches Leben. Ich glaube, dass sie einfach nicht mehr konnte." Wenn Georg am Telefon von Ellas Suizid erzählt und versucht, ihren Tod für sich erklärbar zu machen, ist nicht nur Trauer in seiner Stimme zu hören – sondern auch Wut. Wut auf die Behörden und ihre Mitarbeiter:innen, die Ella immer wieder im Stich gelassen haben. Wut auf die Gesellschaft, die so viel Verachtung für sie übrig hatte.

Die Suche nach einem besseren Leben

2015 sei Ella aus dem Iran in die Türkei geflohen, erzählt Georg. Zu gefährlich sei das Leben für jemanden wie sie in der Heimat geworden. In der Türkei habe Ella rund ein Jahr gelebt und geschuftet. Schließlich habe sie es auf einem Schlauchboot nach Griechenland und von dort aus über die Balkanroute nach Deutschland geschafft. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) verteilte sie nach Magdeburg, wo sie Georg kennenlernte.

Der 39-Jährige arbeitet ehrenamtlich beim Lesben- und Schwulenverband in Deutschland – Landesverband Sachsen-Anhalt. Er half ihr nicht nur bei ihrem Asylverfahren, sondern wurde auch ein guter Freund.

Konkrete Vorstellungen davon, wie ihr Leben in Deutschland aussehen würde, habe Ella nicht gehabt, sagt Georg. Aber sie habe sich umfassend über die rechtliche Lage für queere Menschen hierzulande informiert und sei zu dem Entschluss gekommen, dass sie gut genug sei, um endlich in Frieden leben zu können. "Dass queere Menschen hier Rechte haben und auch in Anspruch nehmen dürfen, war ihr besonders wichtig", sagt Georg.

Kritik am Bamf für Umgang mit queeren Geflüchteten

Doch schnell seien die rechtlichen Rahmenbedingungen mit der Realität kollidiert. Die erste große Enttäuschung kam mit dem negativen Asylbescheid des Bamf. "Ella hat sich sprichwörtlich nackig gemacht, hat den Gutachtern ihre gesamte Lebensgeschichte erzählt, hat geschlechtsspezifische Fluchtgründe im Asylverfahren genannt." In dem Bescheid seien diese Gründe allerdings mit keiner Silbe erwähnt worden. Georg sagt, er sei sich sicher, dass sie bewusst unterschlagen worden seien.

Tatsächlich steht das Bamf für seinen Umgang mit queeren Geflüchteten immer wieder in der Kritik. In einem Schreiben des Lesben- und Schwulenverband in Deutschland heißt es, dass LGBTIQ-Personen in Verfolgerstaaten wie dem Iran und Pakistan mit der Begründung abgeschoben würden, dass die Betroffenen sich in ihren Heimatländern "diskret" verhalten und so Repressalien umgehen könnten.

Das Leben als endloser Kampf

Obwohl Ellas Glaube an den Rechtsstaat ins Wanken geriet, gab sie nicht auf und klagte gegen die Entscheidung. Um die Anwaltskosten zahlen zu können, musste sie sich bei Freunden Geld leihen, die sie noch gar nicht so lange kannte. "Für sie war diese Situation extrem unangenehm. Ella wollte immer unabhängig sein", erzählt Georg. Doch sobald sie wieder Geld gehabt habe, habe sie es allen zurückgezahlt – auch wenn sie deswegen für den Rest des Monats nur noch mit wenig habe auskommen müssen.

Für Ella bedeutete das in die Länge gezogene Asylverfahren nicht nur eine finanzielle Belastung und dass sie stets Angst davor haben musste, irgendwann abgeschoben zu werden. Es bedeutete auch, dass sie ihre medizinische Transition, also ihre Geschlechtsangleichung, nicht beginnen konnte. Denn wer sich in Deutschland in einem laufenden Asylverfahren befindet, erhält nur eine beschränkte Gesundheitsversorgung. "Diese Transition, die ihr wegen des Asylverfahrens so lange verwehrt wurde, war Ellas Hauptprojekt. Dass sie so lange darauf warten musste, hat ihren Leidensdruck immens erhöht", erzählt Georg.

Nicht nur der nervenzehrende Asylprozess machte Ella das Leben schwer. Immer wieder sah sie sich Hass und Hetze ausgesetzt. "Ella wurde von fremden Menschen bespuckt und geschlagen", erzählt Georg. Doch nicht nur auf der Straße sei sie diskriminiert worden. "Im Jobcenter wurde sie von einer Mitarbeiterin ausgelacht und immer wieder mit ihrem Totnamen angesprochen." Als Totname bezeichnet man den Geburtsnamen, der von den meisten trans Personen irgendwann abgelegt wird

Anfang 2019 bekam sie schließlich ihren positiven Asylbescheid. Sie zog aus Magdeburg weg, um endlich den Pöbeleien zu entkommen. "Die Menschen in der Stadt hatten Ella auf dem Kieker, sie wurde immer wieder dumm angemacht", sagt Georg.

Überall Hass und Hetze

Doch auch in Berlin wurde sie von Fremden beleidigt, muss sich wieder vor Behörden entblößen, um ihre Transition bewilligen zu lassen. "Ich glaube, sie hatte irgendwann einfach einen Breakdown", sagt Georg. Denn jahrelang hätte sie immer getan, was von ihr verlangt wurde, wäre zu allen Sachbearbeiter:innen ehrlich gewesen, hätte gekämpft, um in Deutschland bleiben und ihre Transition anfangen zu dürfen. "Sie hatte fünf Jahre Lebenszeit verloren. Vielleicht erschien ihr jetzt nach all den Jahren des Kämpfens alles als sinnlos."

#Wiegehtesuns? | trans Frau in Berlin

"Keiner hat geholfen an dem Tag, kein Mensch"

Marina ist trans Frau und lebt in der Nähe von Berlin. Der Tod von Malte C. in Münster hat sie betroffen gemacht. Sie sagt, es passiere immer öfter, dass trans Leute attackiert werden. Auch sie wurde überfallen - und lebt seither in Angst. Ein Gesprächsprotokoll.

Über den Tod hinau diskriminiert

Doch selbst Ellas Selbstverbrennung bewahrt Ella nicht vor Häme. Georg wollte ihr Grab am Tag des Berliner Christopher Street Day besuchen, wollte es pflegen, Unkraut zupfen und Blumen gießen. Doch er fand ein geschändetes Grab vor. "Es wurden Gegenstände abgestellt mit verächtlichen Schriftzügen, die sich auf Ella bezogen." Näher will er nicht darauf eingehen. "Das zu sehen war wie ein Schlag in die Magengrube."

Um das Leben von geflüchteten queeren Menschen zu verbessern, brauche es laut Georg viele Maßnahmen: spezielle Schutzkonzepte gegen Gewalt für queere Geflüchtete bei der Einzelunterbringung, Sachbearbeiter.innen, die für queere Themen sensibilisiert werden, mehr Unterstützung für soziale Initiativen, um nur einige zu nennen.

"Und wir müssen uns als Gesellschaft endlich mehr gegen rassistische und queerfeindliche Hetze einsetzen." Es könne nicht sein, dass rechte Gruppierungen queeren Menschen das Leben so schwer machen. "Wenn man als Partei oder Strömung so wenige Inhalte zu bieten hat, dass man andere abwerten muss, dann sollte man sich doch einfach auflösen und uns in Ruhe lassen", sagt Georg. "Lasst uns endlich in Ruhe verdammt. Mehr will ich doch gar nicht."

Am Mittwoch um 17 Uhr findet eine Gedenkkundgebung für Ella am Alexanderplatz vor der Galeria Kaufhof statt.

Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sollten Sie selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. Bei der Telefonseelsorge finden Sie rund um die Uhr Ansprechpartner, auch anonym. Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222 www.telefonseelsorge.de

Sendung: rbbKultur, 14.09.2022, 6 Uhr

Beitrag von Christopher Ferner

Artikel im mobilen Angebot lesen