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Audio: Kirsten Buchmann | Quelle: imago/Gerhard Leber

Quereinsteiger für den Berliner Unterricht

Brennpunktschule statt Büro-Job

Schulen in sozialen Brennpunkten haben es besonders schwer, Nachwuchslehrkräfte zu finden. Die Organisation "Teach First" unterstützt in Berlin 35 Hochschulabsolventen aus anderen Berufen dabei, in Schulen zu arbeiten. Von Kirsten Buchmann

Musiker, Stadtplaner, Kommunikationswissenschaftler - die ursprünglichen Berufe und Studienabschlüsse der "Teach First"-Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind breit gefächert. Sie verbindet, dass sie momentan an Berliner Brennpunktschulen im Einsatz sind. Kommunikationswissenschaftlerin Heike Yürgüç ist seit mehr als einem Jahr an einer Schule im Wedding. Einem Büro-Job in der Wirtschaft hat sie den Rücken gekehrt: "Ich habe nach vier Jahren gemerkt, dass ich nicht mehr die Sinnhaftigkeit in meiner Arbeit sehe."

In dem Unternehmen sei es immer um "schneller, höher, weiter" gegangen. Ehrenamtlich hatte Heike Yürgüç schon Nachhilfe gegeben. Jetzt im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern an einer Weddinger Sekundarschule erlebe sie die Sinnhaftigkeit jeden Tag: "Ich wollte genau da arbeiten, wo es am meisten gebraucht wird." Das "Teach First"-Programm sehe sie als gute Chance, um einen Einblick in das Bildungssystem zu bekommen. Dafür nimmt sie momentan auch eine niedrigere Bezahlung von monatlich knapp 2.600 Euro in Kauf.

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Vorbereitung, Fortbildung, Begleitung und Feedback

An ihrer Schule arbeitet Heike Yürgüç im Deutsch- und Matheunterricht mit. Mathe erteile sie "im Team-Teaching", wie sie sagt. Sie unterrichtet also zusammen mit einem Lehrer. So führe er durch die Stunde, sie gehe unter anderem auf einzelne Schülergruppen zu, wenn sie etwas nicht verstehen, und fördere Schüler in Kleingruppen. Unterstützt wird Heike Yürgüç dabei von der gemeinnützigen Bildungsorganisation "Teach First", deren Ziel es ist, dass Kinder und Jugendliche unabhängig von ihren Startbedingungen gute Bildung erhalten.

Vor ihrem Einsatz erhielt Heike Yürgüç eine Vorbereitung, unter anderem zur Unterrichtskonzeption. Sie lernte dabei etwa, wie sie eine Unterrichtsstunde und eine Unterrichtsreihe plant sowie Diagnosen erhebt. Während des "Teach First"-Programms bekommt sie Fortbildungen, Begleitung und Feedback. Alle drei Monate gebe es eine Unterrichtshospitation. Mit den anderen Programm-Teilnehmerinnen und Teilnehmern sei sie gut vernetzt und tausche sich aus, sagt sie.

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Klassischer Sänger mit eigenen Lernförderprojekten

Florian Fischer Müncheberg hat schon zwei Jahre "Teach First"-Programm hinter sich, ebenfalls an einer Schule im Wedding, der Schule am Schillerpark. Der klassische Sänger studiert nun an der Universität der Künste im Quereinstiegs-Masterstudium Lehramt Musik. Parallel arbeitet er an seiner Schule weiter. Er habe sich in der Klasse nie überfordert gefühlt, sagt er. Auch zum Referendariat erwartet er keinen Praxisschock - im Gegensatz zu vielen seiner Mitstudierenden. Sondern in dem "Teach First"-Programm habe er, neben der Begleitung und Beratung besonders davon profitiert, dass der Einstieg ins Unterrichten Schritt für Schritt verlaufen sei: "Zunächst konnte ich mit individuellen Schülerinnen und Schülern arbeiten, dann mit kleinen Gruppen." Zunehmend habe er auch im Ganztag immer größer werdende Schülergruppen betreuen können, bis hin zu eigenen Lernförderprojekten.

Lehrermangel

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"Bleibt dran, werdet Lehrer"

Nach Abschluss seiner Lehramtsausbildung will Florian Fischer Müncheberg an seiner Schule weiter unterrichten. Sein Schulleiter Ronald Fischer lobt ihn und andere "Teach First"-Teilnehmer insbesondere für ihre hohen Kompetenzen in der Team-Arbeit im Kollegium. Er will möglichst viele von ihnen motivieren, auch in Zukunft weiter vor der Klasse zu stehen: "Ihr macht eine gute Arbeit. Bleibt dran, werdet Lehrer, wenn es geht."

Für die "Teach First"-Teilnehmerin Heike Yürgüç gibt es da allerdings eine Hürde. Die Kommunikationswissenschaftlerin hat keine Fächer der Berliner Schule studiert: "Bei mir wäre es sehr schwierig. Ich müsste komplett noch mal studieren. Ich hatte als Zweitfach Soziologie. Das kann man auf kein Fach so richtig ummünzen."

Rund fünf Jahre dauert ein komplettes Lehramtsstudium mit zwei Fächern. Die Zeit und die Inhalte bei "Teach First" sollten angerechnet werden, findet Heike Yürgüç, so dass damit kein gesamtes Lehramtsstudium mehr nötig sei, um regulär als Lehrkraft arbeiten zu können.

Eine solche Änderung ist allerdings zumindest kurzfristig nicht zu erwarten. Denn die Abschlüsse müssen laut der Bildungsverwaltung so gestaltet sein, dass die Quereinsteiger auch in andere Bundesländer wechseln können. Und die Kultusministerkonferenz sehe vor, dass Lehrkräfte in Deutschland zwei Schulfächer studiert haben. Im nächsten Jahr sei Berlin aber in der Kultusministerkonferenz im Präsidium, so die Bildungsverwaltung. Die Hoffnung ist, dass da dann alles diskutiert werden kann, was gegen den Lehrermangel hilft. Denn fast 900 Lehrerstellen sind insgesamt berlinweit zum neuen Schuljahr unbesetzt geblieben.

Sendung: rbb24 Inforadio, 15.11.22, 7:30 Uhr

Beitrag von Kirsten Buchmann

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