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Audio: rbb24 Inforadio | Angela Ulrich | 28.02.2023 | Quelle: imago-images/Christian Ditsch

Tagessätze von 5 statt 15 Euro

Generalstaatsanwältin Koppers will niedrigere Mindest-Geldstrafe durchsetzen

Geldstrafen orientieren sich am Einkommen der Verurteilten. Der niedrigste Tagessatz liegt bei 15 Euro - zu viel für arme Menschen, sagt Berlins Generalstaatsanwältin Margarete Koppers. Diese landen dann oft wegen Bagatelldelikten im Gefängnis.

Die Berliner Generalstaatsanwältin Margarete Koppers will für Geringverdiener niedrigere Geldstrafen durchsetzen.

Koppers hat ihren Staatsanwälten per Verfügung empfohlen, für Personen mit Einkommen am Existenzminimum Geldstrafen von nur noch 5 Euro Tagessatz – statt sonst meist 15 Euro – zu verhängen. Der "Tagesspiegel" [Bezahlbeitrag] hatte zuerst darüber berichtet. Das Pilotprojekt wurde von einer Arbeitsgruppe in der Berliner Staatsanwaltschaft entworfen – und stößt auf Protest.

Manche Richter fürchten laut dem Berliner Richterbund, dass "Strafen des Staates dadurch entwertet würden". Auch den Richterbund selbst hat das Vorhaben laut dessen Vorsitzendem Stefan Schifferdecker "überrascht" – man sei nicht informiert gewesen, sagte Schifferdecker dem rbb. Der Richterbund ist ein Berufsverband von Richtern und Staatsanwälten.

Strafvollzug in Berlin

Justizsenatorin Kreck: "Ersatzfreiheitsstrafe trifft finanziell Schwache"

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Kritik: "fatales Signal" und "Sozialtarife für Straftäter"

Protest gibt es auch aus der Berliner CDU- sowie der AfD-Fraktion: Der Rechtspolitiker der CDU, Alexander Herrmann, nennt abgesenkte Strafgebühren ein "fatales Signal", das die Präventionswirkung von Sanktionen abschwäche. AfD-Rechtsexperte Marc Vallendar sagt: "Keine Sozialtarife für Berliner Straftäter." Wenn diese in Berlin "billiger davonkämen als im Rest des Landes", werde die Hauptstadt "zum Eldorado von Diebesbanden und anderen unerwünschten Subjekten".

Die niedrigeren Geldstrafen sollen laut Koppers für Menschen gelten, die am Existenzminimum leben, Bürgergeld beziehen, und sich die bisher meist verhängten Strafen von 15 Euro Tagessatz für Bagatell-Vergehen nicht leisten konnten. Stattdessen haben sie häufig sogenannte "Ersatzfreiheitsstrafen" abgesessen – für kleinere Delikte wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren.

Interview | Reform der Ersatzfreiheitsstrafe

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Ersatzfreiheitsstrafen kosten Landeskasse 226 Euro pro Tag

In Berlin betraf das in den letzten fünf Jahren rund 14.000 Personen, erklärt Sebastian Büchner, Sprecher der Staatsanwaltschaft: "Da gibt es ein klares Missverhältnis. Bei jemandem, der mit dem Bürgergeld nur etwas mehr als das Existenzminimum bezieht, schlägt so eine Geldstrafe ganz anders zu Buche, und das muss eben entsprechend berücksichtigt werden." Viele der Betroffenen seien "überfordert vom Leben" und "nicht erreichbar", um Geldstrafen durch freie Arbeit abzuleisten, so Büchner.

Nach einer Erhebung des Justizvollzugsanstalt Hakenfelde ist von denjenigen, die dort eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, rund jeder Dritte ohne Schulabschluss, zwischen 60 und 85 Prozent sind arbeitslos und nahezu alle massiv verschuldet. "Wenn man jetzt die Tagessatzhöhe reduziert auf fünf Euro, dann wäre das nach wie vor ein Einschnitt, aber es wäre doch eher leistbar, und Ersatzfreiheitsstrafen könnten vermieden werden", erklärte Büchner. Die Ersatzfreiheitsstrafen sind dazu noch teuer: 2021 kostete ein Hafttag die Berliner Landeskasse nach Auskunft der Staatsanwaltschaft 226 Euro pro Tag.

Reform der Ersatzfreiheitsstrafe

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Allein in Berlin sind über 360 Menschen in Haft wegen einer Geldstrafe, die sie nicht bezahlt haben. Doch die Ersatzfreiheitsstrafe soll bundesweit reformiert werden. Wie das geschehen soll, dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Von Carla Spangenberg

Auch Justizsenatorin Kreck für niedrigere Tagessätze

Justizsenatorin Lena Kreck von den Linken befürwortet das Projekt ihrer Generalstaatsanwältin. "Ich stehe politisch klar hinter der Verfügung, die Tagessatzhöhe für Menschen mit geringem Einkommen abzusenken", sagt sie. Von politischem Einfluss will Kreck aber nichts wissen. "Am Ende entscheiden das die Gerichte."

Hier jedoch kommt eine Einschränkung vom Berliner Richterbund. Rechtlich gesehen seien die Richter zwar frei in ihren Urteilen, sagt Vorsitzender Schifferdecker. In der Praxis allerdings hätten viele Richter kaum Zeit, Verhandlungen durchzuführen, um niedrige Strafgelder wieder hochzusetzen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 28.02.2023, 18:20 Uhr

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