Strafvollzug in Berlin - Justizsenatorin Kreck: "Ersatzfreiheitsstrafe trifft finanziell Schwache"

Do 29.09.22 | 05:57 Uhr | Von Ulf Morling
Blick aus dem Fenster der Jugendstrafanstalt Ploetzensee. (Quelle: dpa/Liesa Johannssen/photothek)
Audio: rbb24 Inforadio l 28.09.2022 l Ulf Morling | Bild: dpa/Liesa Johannssen/photothek

60.000 Menschen müssen bundesweit jährlich ins Gefängnis, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlen. Das treffe Menschen, die finanziell schwach sind, sagt die Berliner Justizsenatorin Kreck. Die Regelung könnte bald geändert werden. Von Ulf Morling

95 Prozent aller Haftplätze für die Verbüßer von "Ersatzfreiheitsstrafen" sind in der JVA Plötzensee belegt. Weit mehr als 100 Männer sitzen hier derzeit im Gefängnis, obwohl sie doch ursprünglich zu Geldstrafen und nicht zum Freiheitsentzug verurteilt wurden.

Kreck will Ersatzfreiheitsstrafen reduzieren

Sie sitzen etwa wegen Schwarzfahrens, kleineren Diebstählen, Sachbeschädigungen oder Betrug. Weil die Männer ihre Geldstrafen nicht bezahlten, zu denen sie rechtskräftig verurteilt sind, müssen sie jetzt zum Ersatz im Gefängnis sitzen. Zu bis zu 360 Tagessätzen kann man im Allgemeinen mit einem Strafbefehl verurteilt werden. 30 Tagessätze entsprechen dem jeweiligen Monatseinkommen des Verurteilten. Doch die Mehrzahl der Menschen mit Ersatzfreiheitsstrafen in der JVA Plötzensee ist arbeitslos (zwischen 60 und 85 Prozent), 40 Prozent sind sogar obdachlos. Viele haben psychische Probleme oder eine Sucht, so der Leiter der Teilanstalt I der JVA, Johannes Kühl.

Die Berliner Senatorin für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung, Lena Kreck (Linke), sieht deshalb Handlungsbedarf. "Ich setze mich für die Reduzierung der Ersatzfreiheitsstrafe ein, weil ich der Auffassung bin, dass wir die sozialen Probleme unserer Gesellschaft, nicht mit Repressionen beantworten können", sagt die Senatorin bei einem Besuch in der JVA Plötzensee.

JVA Plötzensee Gefängnisgang.(Quelle:rbb/Ulf Morling)
Bild: rbb/Ulf Morling

Wer sind die Häftlinge in Plötzensee?

Ein 49-jähriger Obdachloser steht auf dem Gang seiner Station in der JVA. Er erzählt seine Lebensgeschichte. Nach der Scheidung habe er nur noch seine zwei Söhne und inzwischen drei Enkel, auf die er sehr stolz sei. Er war wegen "Erschleichens von Leistungen" zu 90 Tagessätzen á 15 Euro verurteilt worden. Er ist Alkoholiker, hatte seit sieben Jahren eine Obdachlosenzeitung in der Ringbahn verkauft. Dort ist die Deutsche Bahn zuständig, mit der Security dort sei er "per Du". Die BVG sei aber strenger, deshalb sitze er hier.

Das Durchschnittsalter der Häftlinge ist 39 Jahre, 30 Prozent von ihnen haben keinen Schulabschluss, rund 40 Prozent haben keine Qualifikation, sagt die Statistik der Senatsjustizverwaltung. Außerdem seien viele der Verbüßer von Ersatzfreiheitsstrafen massiv verschuldet. Unter den Gefangenen gebe es zudem eine "hohe Ausprägung an Störungen durch Alkohol, Heroin und Kokain". Dazu kämen schizophrene Erkrankungen, Affektstörungen und Depressionen.

Auch der nächste Gefangene im Flur der Station ist Alkoholiker. "Ich bin schon das achte Mal im Gefängnis wegen Schwarzfahrens", sagt er. 1.000 Euro Strafe muss er absitzen, mit einem Tagessatz von 10 Euro, also 100 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, weil er die Geldstrafe, zu der er per Strafbefehl verurteilt worden war, nicht zahlte. "Ich habe mir das Sozialticket für 27,50 Euro nicht leisten können, weil ich Alkoholiker bin", sagt er. "Das hier ist so etwas wie ein kleiner Entzug. Wenn man draußen ist, trinkt man wieder weiter."

Kosten für den Haftplatz: 225,93 Euro pro Tag

In Berlin betrugen die Kosten für einen Haftplatz im vergangenen Jahr 225,93 Euro, Haftverkürzungsmöglichkeiten sind deshalb auch finanzieller Faktor. In Berlin haben Häftlinge die Möglichkeit, etwa durch tägliche vierstündige Arbeit in der JVA oder bei Vollzugslockerungen in einem Unternehmen außerhalb jeweils einen Tag weniger in Haft zu verbringen.

Bevor eine Ersatzfreiheitsstrafe allerdings angetreten werden müsste, kann der Verurteilte bundesweit durch Teilnahme an Projekten "Arbeit statt Strafe" (umgangssprachlich: Schwitzen statt Sitzen) teilnehmen, die von freien Trägern und der Bewährungshilfe u.a. vermittelt werden. Durch den Verdienst dort kann die Geldstrafe getilgt oder reduziert werden.

Justizsenatorin Kreck betont, die Staatsanwaltschaft sei vielfach bereit, Ratenzahlungsanträgen der betroffenen Personen - auch über längere Zeiträume - zu entsprechen. "Am liebsten wäre mir aber eine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe", so Kreck. Der politische Weg dorthin sei aber mühsam. Den im Juli 2022 veröffentlichten Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz zur Reform des Sanktionsrechtes befürworte sie.

Bundesjustizministerium plant Gesetzesänderung

Der Entwurf sieht vor, dass beim Nichtbezahlen einer Geldstrafe die stattdessen zu verbüßende Haftstrafe nur der Hälfte der verhängten Tagessätze entspricht.

Am Donnerstag findet in Bremen für zwei die "Herbstkonferenz der Amtschefinnen und Amtschefs der Bundesministerien der Länder und des Bundes" statt. Nach einer Abstimmung mit dem Bundesministerium für Justiz wären Gesetzesänderungen möglich, die zukünftig beispielsweise Hafttage der Ersatzfreiheitsstrafe höher gewichten als die Tagessätze der Geldstrafe, die zu zahlen gewesen wäre, wozu Verurteilte aber möglicherweise aufgrund ihrer Lebenssituationen nicht in der Lage sind.

Sendung: rbb24 Inforadio, 29.09.2022, 10:00 Uhr

Beitrag von Ulf Morling

Nächster Artikel