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Audio: Antenne Brandenburg | 03.02.2023 | Lisa Steger | Quelle: dpa/Ralf Hirschberger

Kindeswohlgefährdung in Kitas und Krippen

"Man muss sich klar machen, dass es einem selbst auch passieren kann"

Immer wieder geraten Erzieherinnen in den Verdacht, Schützlinge in Kindergärten misshandelt zu haben. So wurden jüngst in einer Potsdamer Kita zwei Mitarbeiterinnen vorerst freigestellt. Doch wie können Betreuungseinrichtungen vorbeugend handeln? Von Lisa Steger.

Der Fröbel-Kindergarten am Volkspark in Potsdam wirkt einladend: ein lichtdurchfluteter Neubau, große Räume, viel Platz für die 90 Kinder zwischen einem Jahr und sechs Jahren. Es gibt Turngeräte, Musikinstrumente und einen großen Spielplatz.

Erzieherin Nele Ahlers arbeitet gern in dieser Einrichtung, denn hier stehe Kinderschutz weit oben auf der Agenda. "Uns ist der Austausch im Team ganz wichtig, wenn man zum Beispiel mal überfordert ist", berichtet sie. Es gebe eine Kinderschutzbeauftragte und neue Kolleginnen würden ausführlich eingewiesen.

Fälle von Kindeswohlgefährdung, wie sie zuletzt in Brandenburg bekannt wurden, bezeichnet Ahlers als extrem: "Aber man muss sich reflektieren, man muss sich klar machen, dass es einem selbst auch passieren kann." Wenn Erzieherinnen sich falsch verhielten, liege es an Überforderung, ist Ahlers sicher - und nicht an bösem Willen.

Potsdam

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Fälle in Potsdam und Neuruppin

In Brandenburg wurden seit vergangenem Sommer Fälle bekannt, in denen sogar die Behörden ermitteln. So etwa bei der "Kita Eichhörnchen" in Neuruppin (Ostprignitz-Ruppin). Der Verdacht lautet unter anderem Nötigung und Körperverletzung. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt seit dem Spätsommer 2022 gegen die ehemalige Leiterin und deren Stellvertreterin. "Die Ermittlungen stehen kurz vor dem Abschluss", teilt Oberstaatsanwalt Gerd Heininger auf rbb-Anfrage mit. Die Ermittler hätten 20 Zeugen befragt. "Das waren aktuelle und ehemalige Kita-Mitarbeiter sowie Eltern betroffener Kinder", sagt Heininger. Die Kita hat die beiden Beschuldigten inzwischen entlassen.

Schlagzeilen machte Anfang Januar auch die Hoffbauer-Kita im Potsdamer Stadtteil Schlaatz. 91 Kinder werden hier betreut. Nach Angaben der kirchlichen Stiftung stehen zwei Erzieherinnen im Verdacht, sie hätten Kinder eingesperrt und sie gezwungen, auf die Toilette zu gehen. Die beiden Frauen seien bis zur Klärung der Vorwürfe freigestellt worden, teilte die Stiftung mit. Eine Leiterin, die selbst nicht beschuldigt wird, wurde versetzt. Betroffen seien bis zu fünf Kinder, geschlagen worden sei aber keines, so die Stiftung.

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Ausmaß der Missstände ist unbekannt

Wie viele Kinder in Kindergärten schikaniert oder gar körperlich angegriffen werden, ist nicht bekannt, sagt Katrin Macha, Direktorin des "Instituts für den Situationsansatz" in Berlin. Es gehört zur "Internationalen Akademie für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökonomie", einer gemeinnützigen GmbH. "Es gibt allerdings eine Studie, in der 90 Kitas in ganz Deutschland mit Videobeobachtung analysiert wurden", sagte Macha im rbb-Interview. In 80 Prozent der Einrichtungen hätten die Forscher Missstände festgestellt.

Allerdings ist Machas Definition weit gefasst. Es geht ihr nicht nur um Gewalt. Macha vertritt einen "kinderrechtsbasierten Ansatz". Sie wendet sich beispielsweise dagegen, dass Kinder in der Kita aufessen müssen. Das sei in jeder zweiten Kita der Fall, so Macha: "Kinder verlernen, auf ihren Körper zu hören." Falsch sei es auch, "das Kind festzuhalten gegen seinen Willen" oder kleinen Kindern am Esstisch "mit einem Lappen das Gesicht abzuwischen, obwohl sie das nicht wollen und es selbst könnten". Sie ist überzeugt: Hier sollten die Kinder besser selbst bestimmen, was für sie gut ist. Kita-Erzieherinnen und Erzieher müssen sich kontinuierlich fortbilden.

Macha hat mit 150 Pädagogen, Forschern und Organisationen einen Aufruf unterzeichnet. Die Gruppe spricht sich dafür aus, Fehlverhalten klarer zu definieren und Elternbeschwerden zu erleichtern. Pädagogin Macha fordert zudem - wie Kita-Leiterin Kathrin Hoffmann - mehr Stellen für Erzieherinnen: "Wir müssen wesentlich mehr investieren."

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Personalknappheit wegen Urlaub, Krankheit und Fortbildung

Kita-Leiterin Kathrin Hoffmann sagt, dass der Kinderschutz schon in der Ausbildung eine sehr große Rolle spiele. Wie bin ich selbst erzogen worden? Was ärgert mich? In welchen Situationen reagiere ich falsch? Das sei ein großes Thema. Zudem gebe es gute Beratungsangebote für Kitas.

Auch ihrer Ansicht nach gibt es zu wenig Personal. Bei den Drei- bis Sechsjährigen sei eine Fachkraft für zehn Kinder zuständig, aber wegen "Urlaub, Krankheit und Fortbildung" reiche das trotzdem "hinten und vorne" nicht, ist Kathrin Hoffmann sicher. Ihre Forderung: Eine Fachkraft sollte nicht mehr als acht Kindergartenkinder betreuen.

Bildungsministerin: Personalmangel nicht verantwortlich

Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) sieht das anders. "Der Betreuungsschlüssel in Brandenburg ist über die Jahre immer wieder verbessert worden", sagt Ernst auf rbb-Anfrage. "In den Kindergärten, wo wir jetzt bei einer Fachkraft für zehn Kinder sind, waren wir mal bei eins zu zwölf", rechnet sie vor. In den Krippen - also bei den Kindern unter drei Jahren - komme sogar eine Erzieherin auf vier Kinder.

In den letzten Jahren seien in Brandenburg mehr als 3.000 Erziehungskräfte neu eingestellt worden. "Ich mache Personalmangel nicht verantwortlich für Kindermisshandlungen und finde das auch einen ganz unzulässigen Schluss", erklärt die SPD-Politikerin. Kindesmisshandlungen kämen in der ganzen Gesellschaft vor, auch in Familien.

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Ernst will mehr Anlaufstellen schaffen

Dennoch müsse etwas zur Prävention unternommen werden, so Ernst. In den Kitas müsse das Vier-Augen-Prinzip gelten. Nötig seien zudem spezialisierte Einrichtungen: Fachstellen, an die sich Eltern und Erzieherinnen wenden könnten. "Was wir ausweiten werden, sind Ombudsstellen, an die man sich wenden kann, damit haben wir in Brandenburg begonnen." Es gebe den Kinder- und Jugendhilfe-Landesrat für Kinder in stationären Einrichtungen und eine unabhängige Kinderschutzbeauftragte. Das Ziel: "Möglichkeiten, dass sich Kinder irgendwohin wenden können, ohne Angst zu haben."

Auch die Ministerin räumt ein, dass seit einigen Jahren mehr Fälle von mutmaßlicher Kindesmisshandlung aktenkundig werden. Doch mehr Anzeigen bedeuten in ihren Augen nicht mehr Fälle: "Wir sehen es als Zeichen, dass mehr Menschen genauer hingucken und dass sie sich auch an die Ämter wenden."

Dass es Erzieherinnen und Erzieher gibt, die Kinder schikanieren, weiß auch Ernst. "Es gibt Menschen, die sind einfach komplett ungeeignet." Im Verdachtsfall, so die SPD-Politikerin, sei das Jugendamt die richtige Adresse.

Sendung: Antenne Brandenburg, 03.02.2023, 17:12 Uhr

Beitrag von Lisa Steger

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