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Audio: rbb24 Inforadio | 04.04.2023 | Wolf Siebert | Quelle: dpa/W. Grubitzsch

Besuch bei der Familienkasse

"Wir können die Armut nicht beseitigen, wir können sie nur lindern"

Die Armutsquote in Berlin ist höher als im Bundesdurchschnitt, das hat der jüngste Armutsbericht gezeigt. Für Betroffene gibt es Hilfsangebote, doch längst nicht jedes wird genutzt. Information tut Not. Von Wolf Siebert

Das Wartezimmer in der Familienkasse Berlin-Brandenburg der Arbeitsagentur in Prenzlauer Berg füllt sich. Eine Mutter wickelt ihr schreiendes Baby. Auch José C. wartet mit seiner Frau Laura-Lucia und der sechs Monate alten Tochter auf den Beratungstermin. Josè ist Peruaner und arbeitet in Berlin als Koch. Er verdient 1.400 Euro netto, das reicht aber für die kleine Familie kaum.

Die Miete ist gestiegen, auch für Strom und Gas zahlt er deutlich mehr, und dann drückt noch die allgemeine Preissteigerung aufs Budget. José hat gehört, dass arbeitende Menschen unter bestimmten Bedingungen auch einen Kinderzuschlag bekommen können, bis zu 250 Euro im Monat. Sein Deutsch ist noch nicht so gut, deshalb ist er persönlich gekommen. Zwei Drittel aller Anträge werden aber inzwischen von der Familienkasse online bearbeitet.

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Viele wissen nichts vom Familienzuschlag

Wer Kindergeld bezieht, hat grundsätzlich auch Anspruch auf den Kinderzuschlag. Voraussetzung: Man muss als Single mindestens 600 Euro beziehungsweise als Paar mindestens 900 Euro netto im Monat verdienen. Der Kinderzuschlag ist nicht nur für Menschen mit geringen Einkommen gedacht, sondern auch eine Hilfe für Familien mit mittleren Einkommen.

Viele Eltern wissen aber nicht, dass es diese zusätzliche Familienunterstützung gibt. Nach Angaben der Familienkasse beträgt der durchschnittliche Familienzuschlag 135 Euro pro Kind und Monat. In Berlin bekamen bis Ende des vergangenen Jahres 31.098 Kinder den Kinderzuschlag, in Brandenburg 18.415. Das waren 4,6 Prozent beziehungsweise 3,93 Prozent der Kinder, für die auch Kindergeld bezahlt wurde.

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Auch das Bildungspaket kennen viele nicht

Leah-Sophie Stephan ist die Beraterin von José und seiner Familie. Sie hat ein duales Studium Arbeitsmarktmanagement abgeschlossen und arbeitet seit Anfang 2021 als "Fachkraft Kinderzuschlag" bei der Familienkasse. Mit José und seiner Familie hat sie wenig Arbeit, denn er hat alle erforderlichen Unterlagen mitgebracht. So nutzt Frau Stephan die Gelegenheit und gibt Hinweise zu weiteren Unterstützungsangeboten.

Wie Frau Laura-Lucia eine Krankenversicherung und die Familie Wohngeld bekommt und dass sie für die kleine Tochter Leistungen aus dem Bildungspaket beantragen kann: für Kita, Schule, ÖPNV, Hobby und Vereinsmitgliedschaft. Nach Angaben der Sozialverwaltung des Berliner Senats haben im November des vergangenen Jahres in der Stadt 128.119 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene Leistungen aus dem Bildungspaket erhalten - von 188.138, die eigentlich Anspruch auf diese Leistung hätten. Auch dieses Angebot ist vielen Eltern möglicherweise nicht bekannt.

José C. verlässt zufrieden die Familienkasse. In spätestens zwei Wochen soll er von Frau Stephan den Bescheid bekommen. Die Chancen stehen gut, sagt sie.

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Erhöhtes Armutsrisiko: Alleinerziehende und Familien mit mehreren Kindern

Nun sitzt Nadia M.* im kleinen Beratungszimmer. Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und kann deshalb nicht Vollzeit, sondern nur 25 Stunden pro Woche arbeiten. Sie ist im öffentlichen Dienst. Aber wie bei vielen Alleinerziehenden reicht das Einkommen nicht.

Frau M. bekommt deshalb Unterhaltsvorschuss und Wohngeld. Und für ihre Kinder auch noch Leistungen aus dem Bildungspaket. Dieses Hilfsangebot findet sie im Grunde gut, aber der Zuschuss beispielsweise für eine Klassenfahrt müsste höher sein. Die Klassenfahrten seien trotz Hilfe einfach zu teuer. "Unser Geld reicht für Miete, Essen, und Kinderklamotten, wir kommen gerade so über die Runden."

Nadia M. bekommt den Kinderzuschlag bereits, heute will sie einen Folgeantrag stellen. Auch diese Beratung geht schnell. Frau M. erzählt noch, dass sie das letzte Schreiben der Kasse nicht bekommen hat. Frau Stephan sagt, dass es Probleme mit der Post gibt, dass die Leistung aber rückwirkend ab Anfang März gezahlt wird.

Quelle: rbb/Wolf Siebert

Reform überfällig

Ob für Singles, Alleinerziehende oder Familien mit mehreren Kindern: Das Hilfesystem ist groß. Neben Kindergeld, Kinderzuschlag, Bildungspaket, Wohngeld, Unterhaltsvorschuss gibt es auch noch das Mutterschaftsgeld, das Elterngeld und Elterngeld plus, die Kosten der Erstausstattung für Babys, die Berufsausbildungsbeihilfe, das Schüler-BaföG, das BaföG und Aufstiegs-BaföG, den Bildungskredit und den Zuschuss für die Kinderbetreuung und anderes mehr. All diese Leistungen sollen laut Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie "(..) Benachteiligungen auffangen und Eltern bei ihrer Erziehungsleistung unterstützen."

Viele dieser Leistungen sind in den letzten Jahren erhöht worden, wie das Kindergeld, das Wohngeld und der Kinderzuschlag. Manchmal haben die Eltern davon aber wenig, unter anderem weil einige Sozialleistungen miteinander verrechnet werden. Am Ende bleibt also in der Haushaltskasse kein Plus. Gleichzeitig sind die Lebenshaltungshaltungskosten extrem gestiegen. "Wir können mit unserem Hilfsangebot die Armut nicht beseitigen, wir können sie nur lindern", sagt Michael Grund, der Leiter der Familienkasse Berlin-Brandenburg.

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Die Verwaltung müsse Dienstleister werden

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) möchte die Lage von Kindern verbessern: In einer sogenannten "Kindergrundsicherung" sollen Kindergeld und Kinderzuschlag, Sozialleistungen für Kinder und Teile des Bildungspakets gebündelt und die Leistungen möglichst automatisch an die Familien ausgezahlt werden.

Michael Grund findet die Kindergrundsicherung im Prinzip richtig. Sie könne aber nur ein erster Schritt sein. Denn bundesweit gebe es über 150 Familienhilfen und Familienberatungsleistungen: "Da sieht niemand mehr durch, wir brauchen Licht im Dschungel, Vereinheitlichung, weniger Bürokratie, mehr Anträge, die viele Leistungen bündeln." Die Gesellschaft habe eine Verantwortung Kinder und Familien gegenüber, und die Verwaltung müsse sich als Dienstleister für Familien sehen.

Nachhaltig helfen würden höhere Löhne und Gehälter und geringere Mieten, sagt Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) auf Anfrage.

Armut

* Name von der Redaktion geändert

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.04.2023, 12:00 Uhr

Beitrag von Wolf Siebert

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