"Bier her!" hört man nicht mehr so oft in Berlin. Der bundesweite Vergleich zeigt: Der Durst fehlt in der Hauptstadt. Für den ganz neuen Taste sorgt nun "Beer", also die Produkte der kleinen Craft-Brauereien. Der neue Trend soll die Zapfhähne wieder glühen lassen.
24 kleine Geschichten über die großen Errungenschaften und kleinen Niederlagen der Brandenburger und Berliner in Sachen "Essen und Trinken". Alle Türchen auf einen Blick finden Sie hier.
Biermeile, Bierseminar, Bierwoche - Berlin ist in Sachen Bier ganz vorne mit dabei. Das Bier ist in Berlin ein Ereignis. Die Leute steigen mit dem Bier in den Bus und gönnen sich schon das erste Fläschchen aus dem frischen Kasten im Einkaufswagen, wenn sie an der Kasse stehen (natürlich bezahlen sie das dann auch, denn Berlin ist auch total ehrlich). Berlin ist also Bierhauptstadt. Könnte man denken. Stimmt aber nicht. Noch nicht.
Mehr Durst in Brandenburg
Brandenburg ist das wahre Bierboomland. Zumindest in Sachen Verbrauch. Laut Marktforschungsunternehmen Nielsen kommen alljährlich in Brandenburg 106 vertrunkene Liter auf einen Brandenburger oder eine Brandenburgerin. In diesen Bierdurstregionen bewegen sich lediglich noch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit jeweils ebenfalls über 100 alljährlich vertrunkenen Litern pro Einwohner. Berlin dagegen kommt auf 45 Liter pro Jahr und ist damit bundesweit an vorletzter Stelle der Verbrauchsstatistik, unterboten lediglich von Hamburg mit durchschnittlich 35 Litern.
Wenn also der Berliner sein Bier gerade zu zwei Dritteln geleert hat, ist beim Brandenburger bereits der zweite Liter weg und der dritte steht schon an der Theke bereit. Es sind Bierwelten, die hier zwischen Berlin und Brandeburg liegen.
Kurios ist allerdings, dass der Bierkonsum offenbar komplett entkoppelt ist von der Bierproduktion: In Sachsen-Anhalt, also dem Land mit den durstigsten Bewohnern, zählten die Marktforscher lediglich 23 Brauereien, was bundesweit nur noch von Mecklenburg-Vorpommern (22) unterboten wird. Berlin liegt mit 70 Brauereien, die meisten davon sehr klein, an fünftletzter Stelle im Bundesländervergleich. Spitze ist Bayern mit 654 Brauereien.
Billig, wenig Brauereien, geringer Pro-Kopf-Durst - und doch ein Boom
Wenn es dann ans Bezahlen geht - erhoben wurde hier der Einzelhandelspreis -, kommt der Brandenburger auf den (fast) günstigsten Preis pro Liter von 1,13 Euro. Nur noch unterboten von Sachen-Anhalt mit 1,12 Euro. Berlin liegt im Mittelfeld mit 1,33 Euro und die Spitzenkassierer sind die Bayern mit 1,49 Euro pro Liter.
Billig, wenig Brauereien, geringer Pro-Kopf-Durst - all das deutet nicht auf einen Bierboom hin, doch das täuscht. Denn Berlin ist deutschlandweit eine der Städte, in denen das Craft Beer aus kleinen Brauereien sich ganz exzellent verkauft. Craft-Biere sind so eine Art Bierspezialität aus der Experten- und Experimentierwerkstatt. Die Biere aus diesen Brauereien machen derzeit aber bundesweit nur einen Anteil am Bierabsatz im geringen einstelligen Prozentbereich.
Bier mit Doppel-e in der Mitte liegt im Trend
Berlin ist bei diesem Craft-Bier-Boom die große Hoffnung auf mehr. Von Bier-Renaissance ist dann die Rede. Und Renaissance heißt es deshalb, weil Berlin einst groß war als Bierproduzent. Immer wieder wird als Referenz für neuen Berliner Bierboom die Zeit um 1900 genannt. Damals war Berlin Europas größter Bierproduzent und das hatte natürlich auch seine Ursache darin, dass hier richtig viel Bier getrunken wurde. Große Brauereien, deren Gebäude bis heute stadtbildprägend sind, produzierten etwa im Bötzowviertel, am Pfefferberg, an der Schönhauser Allee auf dem Gelände der heutigen Kulturbrauerei oder in den Engelhardt-Betrieben in Pankow und Charlottenburg.
Bier mit Doppel-e in der Mitte ist in diesem großen neuen Trend nicht mehr der große Durstlöscher sondern ein Lebensstil-Getränk, dessen neue Namen schon eine gewisse Aussprache-Expertise erfordern. Sie sind meist in englisch gehalten oder ein Konglomerat daraus: "Berlin Pale-Ale“, "Bohemian Pilsner", "Berliner Berg" oder "German IPA". Die Namen sind hip, noch hipper sind die Bärte der neuen Wirte und mit Sicherheit wächst auch Hipfaktor des "Berlin Taste". Im Moment allerdings bremst den Berliner Durst noch ein hipper Schluckauf.