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Quelle: dpa

Der Absacker

Zeit für Expertise und nicht für Halbwissen

Wie sehr dürfen Experten und Wissenschaftler den Alltag bestimmen? Das ist eine berechtigte Frage. Dass Politiker und andere sich im Gegenzug selbst zu Experten ernennen, kann aber definitiv nicht die Lösung sein, findet Haluka Maier-Borst

Was macht das mit uns? Was macht das mit unserem Land? Wie viel Freiheiten darf man einschränken zur Bekämpfung einer Pandemie? Das sind berechtigte Fragen in diesen Zeiten. Und sie kommen zurecht auf, sei es wenn es um das Nutzen von Handydaten geht oder wenn es um die Einschränkungen für die Osterfeiertage geht. Aber es ist eben auch wichtig zu verstehen, wie ernst es gerade ist.

1. Was vom Tag bleibt

Es ist das, wovor so vielen gegraut hat. Mit dem Ernst-von-Bergmann-Klinikum in Potsdam ist nun ein Krankenhaus zu einem der Infektionsherde für Corona geworden. Aktuell versucht man die Ausbreitung dort so gut es geht einzudämmen. Und so nimmt die Klinik keine neuen Patienten mehr auf.

An diesem Beispiel wird klar: Gerade darum ist es so wichtig, dass jeder zu Hause bleibt. Damit das medizinische System, das nun selbst von Ausfällen betroffen ist, nicht unnötige Fälle behandeln muss, die durch Fahrlässigkeit entstehen (dazu später noch mehr).

2. Abschalten.

Japan, Österreich, Amerika, Großbritannien, Armenien - fast alle Länder sind aktuell von Corona betroffen. Und doch gibt es da kleine kulturelle Unterschiede in der Bewältigung, die mir aufgefallen sind. So weiß ich zum Beispiel immer noch nicht, was ich von der Darbietung des österreichischen Fußballspielers Martin Hinteregger halten soll.

Genauso bin ich auch ein bisschen von der WG-Choreo in diesem Video aus den USA, nun ja, überfordert.

Fest steht aber zweifellos, dass die Briten trotz allem ihren Humor nicht verloren haben.

3. Und, wie geht's?

Heute sind wir wieder dran, zu sagen, wie es uns geht. Und heute tut das Laura Kingston vom Social Media-Team. Doch bevor ich Sie zu Wort kommen lasse, wie immer der Hinweis: Wenn Sie uns sagen wollen, was sie beschäftigt, wie Sie sich ablenken oder was Sie sonst noch gerne uns sagen würden, dann schreiben Sie mir an haluka.maier-borst@rbb-online.de. So, und nun zu Laura:

Zwei Monitore, eine Tulpe und schon wieder zwei leere Kaffeetassen, so sieht gerade mein Schreibtisch aus. Und ja, den vielen Kaffee, der ehrlich gesagt besser ist als im Büro, den brauche ich auch.

Wir ballern gerade nicht nur viel Content raus, sondern wir versuchen jeden Tag Dutzende Fragen zu beantworten. Und das heißt erstmal natürlich viel Mehrarbeit, aber vor allem viel Verantwortung bei diesem Thema. Es geht darum, ganz, ganz genau zu sein. Weil es wichtig ist, den Leuten zu erklären, was sie dürfen und was nicht. Weil ich nicht will, dass sich jemand versehentlich ansteckt. Aber neben diesem Druck ist das auch ein gutes Gefühl, denn ich habe das Gefühl, dass wir den Leuten helfen und sie uns durch diese Tage begleiten. Denn für mich sind es selbstverständlich auch andere Arbeitsbedingungen.

Ich sitze hier mit meinen vier Mitbewohnerinnen zu Hause, wir machen alle Homeoffice und dadurch ist das Internet unfassbar langsam. Vor allem kann ich aber mein Zimmer nicht mehr sehen. Und: Ich merke, dass man besser abschalten kann, wenn man einen Weg zur Arbeit hat. Das fehlt natürlich. Ich versuche das ein wenig zu kompensieren, indem ich mich jeden Tag richtig anziehe und schminke. Denn an dem einem Tag, als ich nen Jogger an hatte, hab ich gefühlt nix hingekriegt.

Wer ich bin

Großstadtchaos statt Alpenpanorama, Brandenburger Seen statt britisches Meer. Haluka Maier-Borst war schon an ein paar Orten und hat immer die falsch-richtige Wahl getroffen. Für Berlin. Jetzt sitzt er im Wedding - und mehr oder weniger fest. Denn nach einer Reise in die Schweiz war er zunächst für zwei Wochen in Heimquarantäne. Und jetzt hält er sich natürlich auch an das Kontaktverbot. Jeden Tag gegen acht genehmigt er sich einen Absacker und eine kleine Pause von der Nachrichtenlage.

4. Ein weites Feld...

"Mir fiel die Kinnlade runter, als ich das hörte", sagte meine stellvertretende Chefin. "Da wird man sprachlos", sagte eine andere Kollegin in der Telefonkonferenz. Ich will ehrlich sein: Ich bin stinksauer. Sauer, dass mein für mich zuständiger Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) sich "bewusst mit Corona angesteckt" hat.

Schauen Sie, ich bin Wissenschafts- und Datenjournalist. Ich habe mich die vergangenen Wochen in das Thema so gut eingelesen, wie es halt geht. Trotzdem bilde ich mir nicht ein, es besser zu wissen als Epidemiologen, Virologen und andere Experten. Die Worte, mit denen ich den Kollegen hier am meisten auf den Senkel gehe: Vielleicht, möglicherweise, wahrscheinlich. Wir wissen bei diesem Virus vieles nicht. Und vieles wird unklar bleiben, denn am Ende ist es eine Frage von Wahrscheinlichkeiten.

Vor diesem Hintergrund gefühlte Gewissheiten wie von Dassel rauszuhauen, ist dreist. "Unser Langfristziel ist, dass sich viele immunisieren." Das ist schlichtweg Quatsch. Selbst Großbritannien, dessen Regierungsschef zeitweise genau auf diese Idee setzte, ist von der waghalsigen Strategie abgekehrt. Von einem Ziel einer Herdenimmunisierung spricht kein Experte, zumindest nicht so wie es von Dassel darstellt.

"In den letzten 15 Tagen habe ich keinen Beitrag dazu geleistet, dass die Kurve ansteigt. Ich bin ja brav in der Quarantäne geblieben." Verzeihen Sie mir, das mal so klar zu sagen, aber das ist ein Hohn für Forscher und medizinisches Personal, die gerade gegen diese Krise kämpfen. Um mal Dassels Fall anhand einer Grafik durchzuspielen: 

Ja, in neun von zehn Fälle müssen Menschen in seinem Alter (53) nicht ins Krankenhaus. Aber eben in einem von zehn Fällen schon. Und stecken vielleicht dabei medizinisches Personal an oder belegen ein Bett, das jemand anders bräuchte. Keiner kann etwas dafür, wenn er sich versehentlich ansteckt. Aber wenn jemand fahrlässig sich infiziert, ist das eine andere Kiste. Um es mal frei nach dem Kabarettisten Erwin Pelzig zu sagen: Nur weil es mit den Ideen der Schlauen nicht immer klappt, heißt das noch lange nicht, dass man jetzt auf die Dummheit setzen sollte.

Puh, so. Jetzt brauch ich wirklich einen Absacker.

Bis morgen, bleiben Sie drinnen und Prost, sagt

Haluka Maier-Borst

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