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Quelle: dpa/J. Carstensen

Schnelltests und Selbsttests

Zu viele Hoffnungen und absurde Zweifel an neuen Tests

Selbsttests und wöchentliche Schnelltests sollen mehr Sicherheit schaffen - und ab jetzt die Lockerungen der Corona-Maßnahmen begleiten. Doch was kann die neue Strategie wirklich leisten und wo muss man vorsichtig sein? Von Haluka Maier-Borst

Es ruckelt. Mal. Wieder.

So wie auch der Impfstart nicht reibungslos verlief, brauchen auch die neue Teststrategie und Testmöglichkeiten Zeit sich einzuspielen. Es ist, wer hätte das gedacht, gar nicht so einfach, etwas für ein 83-Millionen-Land auf die Beine zu stellen. Allerdings wird es nicht einfacher, wenn nach einem Jahr Pandemie Konzepte noch erarbeitet werden müssen, anstatt dass sie schon bereit liegen.

Doch selbst wenn die Tests erst einmal tatsächlich in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, wird es noch einiges geben, das die Tests nicht leisten können werden. Leider oder zum Glück, wie der Check einiger Behauptungen zeigt.

Mehr Tests führen zwangsläufig zu höheren Zahlen?

Nein.

Manche Behauptungen sind nicht tot zu kriegen. Schon am Sommerende wurde das Ausweiten der Tests auf Reiserückkehrer alleine dafür verantwortlich gemacht, dass die Zahl der positiven Fälle stieg. Einige Monate später war man dann im Lockdown 2. Es war also eben nicht das Mehr an Tests gewesen, dass für den Anstieg hauptsächlich verantwortlich war.

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Ähnlich ist die Situation nun auch mit den neuen Möglichkeiten für Schnelltests und Selbsttests. Natürlich kann das Einführen von mehr Tests dazu führen, dass bisher unerkannte Fälle entdeckt werden und kurzzeitig die Zahl der erkannten, positiven Fälle steigt. Aber mittelfristig sollte es eher das Gegenteil bewirken.

"Ein erhöhtes Testaufkommen sollte im Zweifelsfall bedeuten, dass man Infizierte schneller findet, schneller isoliert und sie deswegen weniger andere anstecken. Sprich mehr Tests sollten mittelfristig eher dazu führen, dass die Inzidenz sinkt", sagte Ben Maier, epidemiologischer Modellierer von der Humboldt-Universität Berlin schon vor einigen Wochen gegenüber rbb|24.

Auch Maiers Kollege Peter Klimek vor der medizinischen Universität Wien weiß zu berichten, dass derzeit nicht nur das erhöhte Testaufkommen in Österreich zu steigenden Inzidenzwerten führt. "Wir können ganz klar zeigen, dass selbst wann man das vermehrte Testen miteinberechnet, das Infektionsgeschehen sich gerade wieder vergrößert, vor allem wegen der britischen Variante."

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Negative Schnelltests und Selbsttests bedeuten, dass man sicher nicht infiziert ist?

Nein.

Die Schnelltests und auch die Selbsttests sind deutlich unempfindlicher als der Gold-Standard der PCR-Tests. Das ist nicht unbedingt nur ein Nachteil. Ein PCR-Test kann zum Beispiel noch anschlagen, wenn jemand eine Infektion durchgemacht hat, aber nur noch ungefährliche Viruserbgut-Reste im Rachen trägt. Das würde bei den Schnelltests eher nicht passieren.

Andersrum kann es aber eben sein, dass eine Person sich gerade erst infiziert hat. Dann hätte sie zu wenig Virus-Antigene, damit Schnelltest oder Selbsttest die Infektion erkennen. Das muss kurz nach dem Test kein Problem sein. Wahrscheinlich bedeutet das nämlich auch, dass in den ein, zwei Stunden nach dem Test die Person niemanden anstecken kann, wenn er zum Beispiel vor einem Besuch im Altenheim gemacht wird.

Wenn aber nun ein paar Stunden mehr vergehen und die Viruslast ansteigt, kann es sein, dass eine Person erheblich ansteckend ist – trotz negativem Test und obwohl sie noch keine Symptome zeigt. Und auch beim Aufspüren von asymptomatischen Infizierten, die trotzdem ansteckend sein können, sind die Tests mit rund 60% Genauigkeit nicht sonderlich gut. [nih.gov]

Entsprechend vorsichtig muss ein Testergebnis interpretiert werden und nicht als Freifahrtsschein für die nächsten Tage gedeutet werden.

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Mit mehr Tests kriegen wir die Pandemie in den Griff?

Jein.

Viele der Hoffnungen basieren auf einer Studie aus dem Fachmagazin "Science" [sciencemag.com]. Sie zeigt, dass wiederholtes Testen von großen Teilen der Bevölkerung massiv dabei helfen kann, die Pandemie einzudämmen, weil man Fälle früher erkennt und auch asymptomatisch Infizierte potenziell rausfischen kann.

Einer der Studienautoren, Michael Mina von der Universität Harvard, fasste es plakativ zusammen: Würde man die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung zwei Mal die Woche testen, könnte man binnen eines Monats das Geschehen unter Kontrolle kriegen [harvard.edu].

Aber es gibt an dieser Überlegung ein paar Haken. Zum einen zeigt sich aktuell, dass es in Berlin schlicht nicht möglich ist, diesen Durchlauf an Tests sicherzustellen. Zum anderen ist die Frage, wie genau die Schnelltests und Selbsttests wirklich sind.

Und dann gibt es noch Unsicherheiten rund um die sogeannte britische Variante B.1.1.7 "Es gibt erste Anzeichen, dass weniger Viren ausreichen, um einen anzustecken. Sprich: Selbst wenn der Test negativ ausfällt, ist es bei B.1.1.7 wahrscheinlicher als bei der vorangegangenen Variante, dass jemand eine andere Person ansteckt", sagt Peter Klimek. Er geht davon aus, dass das Mehr an Tests dabei helfen kann, die Lage besser zu überblicken.

Aber es werden mittelfristig nicht genügend Antigen-Tests in ausreichender Frequenz vorhanden sein, um deutlich mehr unentdeckte Fälle frühzeitig abzufangen – und damit die Zahl der Neuinfektionen zu drücken.

Fazit:

Das neue Mehr an Testen kann also dabei helfen, mehr Klarheiten zu schaffen. Potenziell könnte man genauer verfolgen, wie zum Beispiel insbesondere bei den Jungen, die wenig Symptome zeigen, das Infektionsgeschehen aussieht. Doch weder eignen sich die Tests, um künstlich Zahlen in die Höhe zu treiben noch um innerhalb kürzester Zeit dem Virus den Garaus zu machen.

Sendung:  

Beitrag von Haluka Maier-Borst

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