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Quelle: dpa/O. Berg

Jogger, Radfahrer, Drogenabhängige

Verband beklagt zunehmende Verrohung auf Berliner Friedhöfen

Yoga auf Gräbern, aggressive Radfahrer, FKK-Sonnenbaden auf Friedhofswiesen: Immer häufiger würden während der Corona-Pandemie die Regeln auf Friedhöfen missachtet, beklagt der Evangelische Friedhofsverband - und schildert Haarsträubendes. Von Frank Preiss

Immer mehr Menschen missachten während der Corona-Pandemie die Regeln auf Berliner Friedhöfen und missbrauchen die Ruhestätten zum Ausüben ihrer Hobbys. Das beklagt der Evangelische Friedhofsverband, der in Berlin für 36 Ruhestätten zuständig ist.

"Schon im letzten Sommer gab es Corona-Partys auf Friedhöfen, Leute hinterließen Pizzakartons und zerschlugen Bierflaschen. Hinzu kamen Mutter-Kind-Partys, Jungs schossen Fußbälle auf teilweise 150 Jahre alte Kappellentüren, ohne Rücksicht auf Verluste. Und auch in diesem Sommer beobachten wir solche Zustände", berichtet der Geschäftsführer des Friedhofsverbands, Tillmann Wagner, im Gespräch mit rbb|24.

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Tobende Hunde auf Kriegsgräbern

"Jogger sind täglich auf Friedhöfen unterwegs, es wird Gymnastik auf Gräbern betrieben, Mountainbike-Fahrer rasen downhillmäßig über den Friedhof an der Bergmannstraße, Leute machen zwischen den Gräbern Yoga, wir haben sogar schon FKK-Sonnenbader angetroffen. Väter spielen mit ihren Kindern mit Förmchen in Komposthaufen, Hunde rennen Frisbeescheiben hinterher und toben auf Kriegsgräbern. Einmal ist ein Radfahrer über einen Friedhof gefahren und hat die anwesende Trauergemeinde angemault, sie möge ihm Platz machen", schildert Wagner.

Sobald seine Mitarbeiter solche Personen darauf ansprächen, gebe es auch Pöbeleien und Aggressionen. "Es gab auch schon gewalttätige Übergriffe auf Friedhofsmitarbeiter, vor zwei Wochen wurde eine Mitarbeiterin mit Schlägen und Tritten malträtiert und mit einem Messer bedroht", so Wagner. Erst die Polizei habe die Lage beruhigen können.

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Drogenabhängige hinterlassen Spritzen auf Gräbern

Seit Beginn der Corona-Pandemie beobachten Wagner und sein Team solche Auswüchse immer häufiger: "Die Leute suchen Ausweichmöglichkeiten, das kann ich ja auch verstehen. Ich habe auch nichts gegen Leute, die ein Buch auf der Sitzbank lesen oder spazieren gehen. Aber wenn ich Jogger darauf anspreche, dass sie gerade Dehnübungen auf einem Grab machen und ich dann aggressiv angegangen werde, hört mein Verständnis auf", betont Wagner.

Hinzu komme die Drogenproblematik. Besonders auf Friedhöfen in Kreuzberg würden zunehmend Abhängige Rückzugsorte suchen. "Vor kurzem schlief eine zugedröhnte Frau auf einem Grab, dann kamen die Angehörigen weinend in mein Büro und wussten nicht, was sie tun sollen", berichtet der Geschäftsführer der Friedhofsverwaltung. "Am Friedhof am Halleschen Tor klettern Drogenabhängige vom Mehringdamm aus über den Zaun auf den dortigen Bunker und bauen Zelte auf. Meine Mitarbeiter müssen täglich Gräber nach Spritzen absuchen", so Wagner.

Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne), reagierte auf rbb|24-Anfrage "erschüttert" auf all diese Schilderungen. Dem Bezirk seien allerdings die Hände gebunden: "Wir haben das bereits im Bezirksamt besprochen. Es sind private Flächen. Da muss der Verband einen eigenen Sicherheitsdienst organisieren. Auch die Polizei kann nicht einfach einschreiten, da Privatgelände."

Immer wieder kein Ort der Stille und Einkehr: der Friedhof im Bergmannkiez. | Quelle: dpa/A. Riedl

Wagner sieht Versäumnisse in der Erziehung

Schwerpunkte solcher Vorkommnisse sind laut Wagner die Friedhöfe in der Hermannstraße, am Hermannplatz, in der Bergmannstraße, am Halleschen Tor und in der Landsberger Allee. Sie sollen nicht geschlossen werden wie noch im vergangenen Jahr, betont Wagner. Doch was tun?

"Ein Schilderwald wird nicht funktionieren. Das Problem ist: Eltern bringen ihren Kindern Friedhof nicht mehr bei. Mütter gehen mit Kindern über Friedhöfe und reißen Tulpenzwiebeln aus dem Boden und sagen, die pflanzen wir zuhause ein. Viele lernen nicht mehr, für was ein Friedhof eigentlich steht."

Sendung: rbb 88,8, 29.06.2021, 14:00 Uhr

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Beitrag von Frank Preiss

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