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Quelle: dpa/Julian Stratenschulte

Aktuelle Studienlage

Wie ich mich auf Omikron einstelle

Milder als vorherige Varianten - aber auch so ansteckend, dass womöglich alle sich anstecken werden. Haluka Maier-Borst hat die neuesten Erkenntnisse zur Omikron-Variante gesammelt und versucht, für seinen Alltag Schlüsse daraus zu ziehen.

A: "Was machen wir eigentlich, wenn einer von uns Omikron kriegt?"
H: "Dann haben wir es wohl sowieso alle. Was sollen wir dann zu dritt in Quarantäne machen?"
J: "Makrame-Schaukeln für unsere Pflanzen?"

Nach fast zwei Jahren Pandemie hat sich in meiner WG die Erschöpfung und der Fatalismus breit gemacht. Wieder ein Winter, in dem die Zahlen steigen. Wieder ein Winter, in dem Clubs zu sind und Konzerte ausfallen. Dazu die Aussicht, dass es noch schwieriger wird, das Virus aus den eigenen vier Wänden zu halten. So geht es uns, aber auch vielen anderen.

Vielleicht reicht es darum nicht, nur den Stand der Forschung zusammenzufassen. Vielleicht ist es wichtig, mögliche Schlüsse für den eigenen Alltag zu skizzieren. Weil aber Überschriften wie "Was Sie jetzt beachten sollten" manchen schnell zu lehrerhaft vorkommen und teilweise regelrecht triggern, funktioniert dieser Text anders. Es sind schlicht meine Schlüsse für die nächsten Wochen, basierend auf den aktuellen Studien. Sie sind sicher nicht perfekt. Sie sind nur eine erste Idee.

Es ist klar: Die Chance, dass ich Omikron bekomme, ist hoch

Die nahezu senkrecht steigenden Kurven für Großbritannien, Dänemark, Australien, die USA, Kongo, Angola... all das zeigt, dass die Omikron-Variante viel mehr Menschen ansteckt als zuvor. Das zeigt eindrücklich diese Sammlung an Grafiken des britischen Datenjournalisten John Burn-Murdoch [twitter.com].

Nichts deutet darauf hin, dass uns in Deutschland das erspart bleiben könnte. Im Gegenteil. Inzwischen zeichnet sich dieser Trend auch in Berlin ab, nachdem sich die Meldelücke der Feiertage langsam geschlossen hat. Und das wird sich wahrscheinlich weiter verschärfen.

In England war in der ersten Jahreswoche schätzungsweise eine von 15 Personen positiv [ons.gov.uk]. In London war es gar eine von zehn. Wir als WG stellen uns inzwischen auch darauf ein, dass es uns erwischen könnte. Heißt: Der Kühlschrank ist voll und fiebersenkende Medikamente sind zur Hand.

Corona-Grafiken

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Aber die Chance auf einen schweren Verlauf ist geringer als vor einem Jahr

In meinem konkreten Fall (31 Jahre alt, keine bekannten Vorerkrankungen) sprach aber schon am Anfang der Pandemie eher wenig für einen schweren Verlauf, ganz unabhängig vom Impfstatus. Und bei Omikron scheint es so zu sein, dass grundsätzlich die Infektion weniger schwer die Lunge angreift [spektrum.de]. Auch das Risiko auf einen schweren Verlauf selbst bei Ungeimpften ist wohl um etwa ein Viertel geringer als bei Delta [imperial.ac.uk]. Allerdings muss man dabei mehrere Dinge beachten.

- Auch ein leichter Verlauf könnte immer noch bedeuten, dass ich ins Krankenhaus muss, nur eben ohne Beatmung.
- Auch nach leichtem Verlauf kann man mitunter noch lange oder gar dauerhaft unter Atemnot und dergleichen leiden.
- Nach wie vor ist bei Geimpften das Risiko auf einen Krankenhausaufenthalt nochmal deutlich mehr verringert als bei den Ungeimpften.

Wenn ich aber ins Krankenhaus muss, könnte meine Versorgung schlechter sein als vor einem Jahr

Das wirkt auf den ersten Blick verwirrend. Trotz Rekord-Inzidenzen sterben deutlich weniger Menschen an Covid als vor einem Jahr. Die neue Variante scheint zudem milder zu verlaufen.
Wieso sollte ich also in der Klinik eine schlechtere Situation vorfinden? Der Grund dafür ist, dass durch die höhere Übertragbarkeit mehr Menschen gleichzeitig das Virus haben werden, wenn es so weiter geht. Die Belastung für das System als Ganzes ist damit höher.

Nimmt man mal für ein simples Rechenbeispiel an, dass bei 1.000 Infektionen mit Delta 100 davon ins Krankenhaus müssen und es bei Omikron 75 sind, Omikron sich aber doppelt so schnell verbreitet wie Delta. Dann wären es bei einer im Fall von Delta unter Kontrolle stehenden Entwicklung so, dass auch in der nächsten Woche sich wieder 1.000 Menschen neu infizieren und davon 100 schwer. Bei Omikron dagegen sind es in der folgenden Woche schon 2.000 und 150. In der dritten Woche sind es dann schon bei 4.000 Neuinfektionen 300 neue schwere Fälle. Sprich das Gesundheitssystem würde selbst bei derselben Kapazität schneller an seine Grenze stoßen. Erkrankte würden potenziell schlechter versorgt.

Hinzukommt aber noch, dass – ausgebrannt durch die früheren Wellen – weniger Personal in den Kliniken zur Verfügung steht und von diesem Personal sich auch einige anstecken und in Quarantäne gehen müssen. Kurzum: Wer in den nächsten Wochen auf die Intensivstation muss, könnte noch mehr in Konkurrenz zu anderen Fällen stehen. Entsprechend hat es Sinn, das eigene und das Risiko anderer vor einem schweren Verlauf möglichst gering zu halten. Und das geht mit bekannten Mitteln.

Was hilft: Boostern - oder, wenn noch nicht geschehen, erste Impfung abholen.

Die Studienlage zu den Booster-Impfungen hat sich in den vergangenen Wochen deutlich gefestigt. Relativ klar ist, dass ein Booster mit den mRNA-Impfstoffen wirkt und auch Infektionen mit Omikron verhindern kann. Konkret liegt die Wirksamkeit gegen symptomatische Infektionen wohl laut britischen Daten irgendwo zwischen 65 und 75 Prozent [gov.uk]. Eine andere frühere Studie hatte ähnliche Werte gefunden [khub.net.]. Das ist nicht so gut wie gegen den Wildtyp oder auch Delta, wo kurz nach der Impfung der Wert bei rund 90 Prozent lag. Aber es ist auch deutlich besser als die Mindestmarke von 50 Prozent, die für eine Zulassung für Impfstoffe angesetzt wurde.

Überhaupt hat es mir geholfen, gewisse Sachen noch mal in verschiedene Verhältnisse zu setzen und auch durchzurechnen. So zeigte zum Beispiel diese dänische Studie, dass Geboosterte sich bei Omikron drei Mal häufiger anstecken als bei Delta [medrxiv.org]. Auf den ersten Blick könnte man denken, dass also gegen Omikron-Infektionen die Impfstoffe gar keinen Schutz bieten. Das stimmt aber nicht.

Nehmen wir mal die Zahlen zur Wirksamkeit aus Großbritannien. So bedeutet die Wirksamkeit von 65 Prozent Folgendes: Von 100 Menschen, die sich ganz ohne Impfung mit Omikron angesteckt hätten, stecken sich trotz drei Impfungen dann 35 immer noch an. Bei Delta waren es dagegen von den besagten 100 nur etwa 10. 35 durch 10, das ergibt 3,5 und ist in etwa der Wert der dänischen Studie. Es heißt aber eben auch, dass etwa zwei Drittel derer, die ohne Impfung sich angesteckt hätten, geschützt sind. Dieser Wert sieht gewissermaßen nur so schlecht aus, weil gegen Delta die Booster-Impfung hervorragend gewirkt hat.

Außerdem ist inzwischen auch klar, wie gut die Wirksamkeit gegen Krankenhausaufenthalte ist. Hier reden wir sogar vor einer Wirksamkeit von ungefähr 90 Prozent. Selbst die Spätentschlossenen mit momentan nur einer Impfung oder mit zwei Impfungen, die aber mehr als sechs Monate zurück liegen, haben schon einen gewissen Schutz. Das Risiko auf einen schweren Verlauf mit Klinikbehandlung ist bei ihnen halb so groß wie ohne Impfung. Selbst wenn man sich also geimpft anstecken kann, sind die Folgen vollkommen andere.

Insgesamt muss ich darum sagen: Wenn mir kurz nach der ersten Welle jemand einen Impfstoff mit einer Wirksamkeit von 65 Prozent versprochen hätte, wäre ich heilfroh gewesen. Klar, ein an Omikron angepasster Impfstoff wäre noch besser, aber das eigene Risiko minimiert sich dramatisch mit der Impfung.

FAQ | Delta und Omikron auf der Spur

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Auch imperfekte Tests können das Risiko minimieren

Immer wieder wird berichtet, dass die Schnelltests nicht anschlagen. Wir haben unter Kollegen und Kolleginnen oft auch darüber gesprochen. Gleichzeitig haben immer wieder Forscherinnen und Forscher berichtet, dass in Labortests sehr wohl die Antigen-Tests auf Omikron anschlagen. Was ist also das Problem?

Omikron ist ansteckender, auch weil wohl weniger Virusmenge nötig ist, um eine Person zu infizieren. Die meisten Schnelltests schlagen aber erst bei einer großen Virusmenge positiv aus. Das heißt: Eine Person kann mit Omikron infiziert und womöglich ansteckend sein, ohne dass der Schnelltest ausschlägt. Das Problem bestand schon bei der Delta-Variante des Coronavirus, hat sich durch Omikron aber verschärft.

PCR-Tests müssen wohl ebenfalls ein wenig mit Vorsicht interpretiert werden. Auch sie schlagen womöglich am ersten Tag einer Omikron-Infektion nicht sofort an, weil noch nicht genügend Viren und damit genügend Virus-Erbgut da ist, damit der Test anschlägt, wenngleich PCR-Tests um ein Vielfaches sensibler sind als Schnelltests.

Der Epidemiologe Michael Mina aus Boston fasst die Sachlage darum mit folgendem Fazit zusammen [twitter.com]: "Wenn Sie Symptome haben, gehen Sie erstmal davon aus, dass Sie positiv sind - egal was der Test sagt. Aber seien Sie sich auch sicher: Die Tests können Omikron finden - nur nicht unbedingt an Tag 1." Entsprechend haben wir ein paar Tests zu Hause, lassen uns regelmäßig bei der örtlichen Apotheke in der Nase bohren und wissen auch, wo die öffentliche PCR-Teststelle in der Gegend ist.

Für alles Weitere gilt: Abwägen

Ja, es gibt die Einzelberichte von Menschen [cnn.com], die sich in der Quarantäne womöglich über einen Hotelflur hinweg mit Omikron angesteckt haben. Und es wird sicher auch Menschen geben, die sich selbst umgeben von Erkrankten in einem gut besetzten Auto nicht angesteckt haben. Am Ende ist alles Biologie. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Aber eben mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten.

Der Wissenschaftsjournalist Lars Fischer hat das schon vor einer Weile ganz gut zusammengefasst, nämlich mit einem Vergleich der Infektion zum Würfeln einer bestimmten Zahl. Das eine ist das Risiko der einzelnen Situation, in der man anderen Menschen begegnet. Das ist gewissermaßen die Anzahl an Seiten, die der Würfel hat. Je weniger Seiten der Würfel hat, desto eher würfelt man eine Eins und infiziert sich. Das andere ist die Frage, wie oft man sich trifft beziehungsweise würfelt. Je häufiger man würfelt, desto eher erwischt man eine Eins. Und dann ist da noch der Effekt der Impfung, die Fischer gewissermaßen mit einem Extrawurf vergleicht. Sprich nur wenn man bei einem Wurf eine Eins gewürfelt hat und dann auch beim Extrawurf der Impfung eine Eins hat, ist man angesteckt.

Doch klar ist auch: Das Leben ist nicht nur ein Infektionsrisiko. Wir brauchen andere Menschen, wir brauchen Gemeinschaft. Entsprechend verstehe ich die, die sich mit ihren Freunden treffen wollen, und noch mehr die Eltern, die ihre Kinder nicht wieder im Distanzunterricht sehen wollen. Aber beim einen ist vor allem die Frage, wie oft man würfelt (muss ich drei Mal die Woche in die Kneipe mit den Kumpels?). Und beim anderen, wie man das Risiko der einzelnen Situation mindert (Könnte man mit Tests, Lüfter, Masken im Unterricht, kürzeren Unterrichtsstunden entgegenwirken?). Kompromisse zu schließen, kann das Infektionsrisiko senken und gleichzeitig dafür sorgen, dass man in diesem zweiten Corona-Winter nicht vor Einsamkeit eingeht.

Und vor allem wichtig: nicht an einfache Gewissheiten klammern

Eine letzte Sache ist vielleicht aber am wichtigsten in der Pandemie - und die hat wenig mit Impfstoffen, Tests und Masken zu tun. Es ist die Art zu denken.

Da ist zum einen das Akzeptieren der Tatsache, dass es keine einfachen Gewissheiten und Lösungen gibt. Ja, es stimmt: Mehr Kinder, mehr Erwachsene waren 2021 von Depressionen betroffen als in Vorjahren. Das ist eine Tragödie. Aber die Alternative ist eben nicht ein normaler Berufs- und Schulalltag ohne Maßnahmen, wie wir ihn vor Corona kannten.

Zu glauben, dass zum Beispiel Kinder glücklich sind, während eine Pandemie durchs Land schwappt, solange sie nur in die Schule können, ist für mich eine absurde Idee. Die Frage ist eher, wie man angesichts dieser Umstände am besten so etwas wie Normalität etabliert. Wie man testet, schützt und Menschen in Krisen psychisch unterstützt. Wie man körperliche und geistige Gesundheit von allen in der Gesellschaft so gut es geht austariert.

Gleiches gilt auch für den Umgang mit Prognosen, Modellen, Szenarien. Nur weil sie nicht eins zu eins eintreten, heißt das nicht, dass da lauter Ahnungslose am Werk sind, so wie es gerne ein paar meinungsstarke Lautsprecher erklären. Es zeigt vielmehr, dass es verdammt schwierig ist, das Verhalten eines neuen Erregers bei Millionen von Menschen mit unterschiedlichem Impfstatus, verschiedenem Verhalten und unterschiedlichen Einflussfaktoren abzuschätzen. Und trotzdem kann die grobe Abschätzung, was als nächstes kommt, dabei helfen, richtig zu reagieren.

Der andere Teil dieses “pandemischen Denkens” ist aber der Wille, sich zu korrigieren und zu lernen. Als die ersten Fälle in Bayern auftauchten, waren einige von der Akribie der Ärzte vor Ort beeindruckt. Man hatte nachvollzogen, dass Patient Null den anderen einen Salzstreuer gegeben hatte und vermutete, das er darüber diese angesteckt hatte [reuters.com].

Zwei Jahre später wirkt das natürlich geradezu absurd, Man weiß inzwischen, dass sich der Erreger über die Luft überträgt. Wer welchen Salzstreuer in der Hand hielt, ist vollkommen egal. Nur das heißt eben nicht, dass die Leute vor zwei Jahren dumm waren. Sie wussten es nicht besser - und das ist ein feiner Unterschied.

Ich habe vor ein paar Wochen geschrieben, dass man eher auf Dänemark als auf Großbritannien schauen sollte, wenn es um die Pandemiebekämpfung geht. Rückblickend war das zu einfach formuliert. Denn ja, die Informationspolitik der Dänen war sicher besser als hierzulande. Aber das Fallenlassen von allen Maßnahmen war zu früh. Eine Pandemie endet nicht von einen auf den anderen Tag. Man erreicht nicht die Herdenimmunität und dann endet der Spuk schlagartig.

Selbst die besten Forscherinnen und Forscher, die besten Politiker und Politikerinnen haben sich geirrt und werden sich irren, selbst wenn sie sich so gut es geht informieren und ihre Arbeit so gut es geht tun. Das größere Misstrauen sollte man nach zwei Jahren Corona-Achterbahn gegenüber denen haben, die sich kein einziges Mal korrigiert haben.

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