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Audio: Inforadio | 20.08.2021 | Nico Hecht | Quelle: rbb/Tom Garus

Interview | Belastungen in der Pflege

Warum eine Krankenschwester ihren Job an den Nagel hängte

Pflegekräfte berichten seit Jahren von schlechten Arbeitsbedingungen und Personalmangel. Viele geben ihren Job auf. Die ehemalige Krankenschwester Claudia Kalff erzählt im Interview, dass die Bedingungen sie psychisch krank machten.

rbb|24: Frau Kalff, wie lange haben Sie in der Pflege gearbeitet?

Claudia Kalff: Ich habe meine Ausbildung 2001 in Bayern begonnen, weil ich zu Hause in Thüringen nicht das Richtige gefunden habe. Ich habe dann seit 2004 in der Kinder- und Jugendpsychatrie gearbeitet, später auch als Ausbilderin. Die letzten drei Jahre war ich hier in Berlin im Leasing-Bereich tätig und habe da in allen Bereichen außer auf Intensivstationen gearbeitet. Erst während der Corona-Pandemie musste ich auch da aushelfen.

Was hat den Beruf so schwer gemacht, dass Sie am Ende ausgestiegen sind?

Vor allen Dingen die enorme Arbeitsverdichtung: In den zwei Jahrzehnten, die ich da gearbeitet habe, kamen ja die Fallpauschalen [als neues Modell der Krankenhausfinanzierung, Anm. d. Red.]. Das hat dazu geführt, dass die Liegedauer der Patienten kürzer wurde. Zusätzlich wurde Personal eingespart, obwohl die Patienten jetzt kränker und pflegebedürftiger sind als vor der Reform - es gibt ja fast nur noch frisch Operierte.

Und wir arbeiten eben nicht am Fließband, wir arbeiten am Menschen: Jede Fehlentscheidung, die wir treffen, ist gravierend. Es sind unfassbar viele Entscheidungen zu treffen, in unfassbar wenig Zeit. Und man weiß: Man lässt oftmals andere Menschen mit Schmerzen und anderen schwierigen Situationen allein. Man würde sich gern kümmern und ihnen Hilfe anbieten, aber man hat das Gefühl, immer nur Brände zu löschen.

Die 37-Jährige gab im Februar 2021 ihren Beruf auf. Seitdem bildet sie Kranken- und Altenpfleger aus. | Quelle: privat

Sie haben im Februar, also in der zweiten Pandemie-Phase, entschieden aufzuhören. Warum zu diesem Zeitpunkt?

Ich hatte schon länger Schlafstörungen. Das war aber eigentlich noch erträglich für mich. Ich wusste ja, das geht ganz vielen im Schichtdienst so. Zum Schluss aber bin ich aufgewacht und hatte schon Tränen in den Augen. Ich hatte einen unheimlichen Druck auf der Brust, weil ich wusste: Ich werde heute Abend auf die Arbeit gehen, aber Menschen nicht adäquat begleiten können, auch nicht wenn sie sterben.

Manche Patienten habe ich auch gar nicht gesehen. Das gab es auch schon vor Corona. Das sind Nachtdienste gewesen, wo ich einfach nicht genug Zeit hatte, in alle Zimmer zu gehen, weil es einfach so viele frisch Operierte gab. Ich musste ich mich dann auf die Helfer verlassen. Ich bin oft nach der Schicht mit dem Gefühl nach Hause gegangen: Hoffentlich ist da alles gut gegangen.

Mit Corona hat sich das Problem nur noch verstärkt. Bei mir ist das Gefühl dann in Trauer umgeschlagen, gemischt mit Wut. Ich habe mich meinen Freunden gegenüber nicht mehr adäquat verhalten. Und ich hatte auch Dienste, wo ich sogar im Patientenzimmer weinen musste. Da wusste ich, ich muss die Reißleine ziehen.

Ist Ihnen das schwer gefallen?

Ich wäre eigentlich gerne geblieben. Diese Herausforderung, immer wieder anders reagieren zu müssen, hat mich gereizt. Jedes Krankenbild ist anders. Jeder Mensch reagiert auch anders. Und da immer wieder einen guten Weg zu finden und zusammen mit den Kollegen zu wuppen, das hat mich fasziniert. Als ich dann aber den Entschluss gefasst hatte, haben das alle verstanden. Alle haben mir zugeredet.

Sie haben schon Schwierigkeiten mit Freunden erwähnt. Wie hat denn Ihr Familienleben geklappt?

Ich hatte das Glück, dass mein Freund auch in der Pflege arbeitet. Er hat also viel Verständnis. Auch wenn ich plötzlich wieder in den Dienst muss, weil ich einspringen muss. Da haben viele kein Verständnis. Auch nicht dafür, dass man eben nicht zu einem gemeinsamen Essen mit Freunden kommt, wenn man danach in die Nachtschicht muss.

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"Unter diesen Arbeitsbedingungen habe ich es nicht mehr ausgehalten"

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Mussten Sie oft einspringen?

Ja, ich musste auch viel am Wochenende einspringen. Wenn man das nicht macht, entsteht auch schnell viel Druck, von Vorgesetzten und in Teams. Weil alle völlig überarbeitet sind. Da heißt es schnell: Na, die springt ja nie ein.

Ich habe Zeiten gehabt, da habe ich bei einer 75 Prozent-Stelle trotzdem regelmäßig drei von vier Wochenenden im Monat gearbeitet. Und wir waren in unserem Team nicht frei, die Überstunden abzubummeln, wann wir wollten. Das ist sicher von Stelle zu Stelle unterschiedlich. Aber wir durften dann im November frei machen, wenn zum Beispiel keine Ferien waren und deswegen die Personaldecke es zuließ.

Haben Sie in den letzten Monaten vor Ihrem Ausstieg mit Ihren Vorgesetzten darüber gesprochen, was Sie stört und belastet?

Ich habe es selbst erst gar nicht so benannt, weil ich es nicht bemerkt habe. Ich habe es zunächst auf eine Mehrfachbelastung geschoben. Ich habe dann kurz vor dem Dienst meinem damaligen Chef angerufen und ihm gesagt, dass ich nicht mehr kann. Ich bin bei ihm glücklicherweise auf ein offenes Ohr gestoßen. Eigentlich wollte ich gleich kündigen, aber er gab mir zwei Wochen Zeit, um über alles nochmal nachzudenken. Er pochte aber auch auf keine Kündigungsfrist. Anschließend stand für mich die Entscheidung fest und er hat mich gehen lassen. Das war großartig, keinen Druck zu bekommen. Denn das hätte ich nicht ausgehalten.

Sie arbeiten jetzt als Ausbilderin für Krankenschwestern und Krankenpfleger: Was berichten Ihnen nun Ihre Azubis aus der Praxis?

Meine Schüler erzählen mir auch von dieser Arbeitsverdichtung. Und dass sie unzufrieden sind, weil bei Personal- und Zeitnot ihre Ausbildung nicht gut wird. Die Schüler frustiert es teilweise, wenn sie bei uns an der Schule lernen, was wir alles machen könnten. Denn Pflege ist ja sehr viel mehr als Körperpflege.

Diesen Unterschied zwischen Theorie und Praxis finden die Schüler schon erschreckend. Viele springen auch wieder ab. Für mich ist das auch ein ethischer Konflikt. Denn ich bin ja jemand, der da ausgestiegen ist und das Fach jetzt unterrichtet. Ich versuche aber, ehrlich damit umzugehen. Ich sage meinen Schülern auch, dass ich in einem Zwiespalt bin: Weil ich junge Leute dort reinschicke, wo ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich habe dafür auch keine Lösung.

Immerhin habe ich auch immer noch eine große Leidenschaft für den Beruf, die ich auch vermitteln möchte. Und vielleicht ist es auch erstmal ok, dass man da eine Diskrepanz hat, dass man etwas liebt, aber es auch schade findet, wie es sich entwickelt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellten Nico Hecht und Tom Garus.

Sendung: Inforadio, 20.08.2021, 08:10 Uhr

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