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Audio: Inforadio | 20.06.2021 | Thorsten Gabriel | Quelle: dpa/Jörg Carstensen

Analyse | AGH-Wahlprogramm beschlossen

Wie die CDU als Brückenbauerin punkten könnte - und warum sie es nicht tut

Keine 100 Tage vor der Abgeordnetenhauswahl fühlt die CDU Umfrage-Rückenwind. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Grünen zeichnet sich ab. Doch neue Großstadt-Wählerschichten zu erschließen, fällt der Union weiterhin schwer. Von Thorsten Gabriel

Grün oder Schwarz. Darum geht es am Wahltag. Zumindest in diesem Punkt sind sich Grüne und Schwarze einig. Dass es dieses Entweder-Oder gar nicht gibt, sondern hinter ihnen auch noch andere Bewerber um die Spitzenposition kämpfen - nun ja, wenn man gerade vorn liegt, verkompliziert das die Angelegenheit doch nur. Lieber den Kontrast schärfen. Von einer "Richtungsentscheidung" spricht Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch. "Die oder wir", nennt es ihr frisch nominierter CDU-Kontrahent Kai Wegner.

Für ihn und seine Christdemokraten fühlt es sich gerade besonders gut an. Nicht nur, weil die Grünen in der jüngsten BerlinTrend-Umfrage verloren haben und die CDU zugelegt hat. Für die Union ist es auch so etwas wie ein Hoffnungsschimmer, in einer Metropole wie Berlin doch noch punkten zu können. Zwar hält die CDU seit Eberhard Diepgens Zeiten tapfer das Etikett von der "modernen Großstadtpartei" hoch, doch vor allem in den Innenstadtkiezen trauen viele der Union nach wie vor nicht zu, wirklich eine zu sein.

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Friedrichshain-Kreuzberg: Konservative Problemzone

In Friedrichshain-Kreuzberg beispielsweise bekommt Wegners Partei seit Jahrzehnten keinen Fuß auf den Boden. Seit 15 Jahren reicht es für die CDU dort nicht mal für einen Stadtratsposten im Bezirksamt. Und das, obwohl dort zunehmend mehr Menschen von manchen Entwicklungen genervt sind - sei es vom Drogenhandel rund um den Görli oder von den Gewaltausbrüchen in der Rigaer Straße.

Schaut man ins Kleingedruckte des neuesten BerlinTrends, entdeckt man Erstaunliches: Auf die Frage, welcher Partei die Berlinerinnen und Berliner am ehesten zutrauen, Kriminalität und Verbrechen zu bekämpfen, antworten die meisten Grünen-Anhänger überraschenderweise: die CDU (29 Prozent). Nur 18 Prozent der Grünen-Sympathisanten trauen dies "ihrer" Partei zu.

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Die Christdemokraten im Spagat

Nun sind diese 29 Prozent Grünen-Anhängerinnen und -Anhänger nicht alle in Kreuzberg oder Friedrichshain zu Hause. Trotzdem weisen diese Zahlen ein Potenzial aus, das die CDU derzeit nicht zu heben vermag. Wer die Reden auf dem jüngsten CDU-Parteitag verfolgt hat und ins frisch beschlossene Wahlprogramm blickt, ahnt, warum das so ist. Es liegt auch am Spagat. Die CDU will, was naheliegend ist: ihre Stammwählerinnen und -wähler nicht verschrecken und trotzdem neue hinzugewinnen.

Zum Beispiel bei der Verkehrspolitik. Man kann der CDU nicht mehr vorhalten, eine "Autofahrer-Partei" zu sein. Die CDU will neue Radwege bauen und mehr Straßen in Fahrradstraßen umzuwandeln. Sie will den öffentlichen Nahverkehr ausbauen. Und sie sieht sich als die "Stimme der verkehrspolitischen Vernunft". Sie setzt auf "das faire Miteinander aller Mobilitätsformen". Dabei habe auch das Auto "seinen berechtigten Platz".

Anreize statt Zwang? Oder: Anreize und Zwang?

Was die CDU vermeidet zu sagen: dass mehr Platz für neue Radwege zwangsläufig bedeutet, dem motorisierten Verkehr Fläche abzuknapsen. Eine Umverteilung des Straßenraums wird immer mit Konflikten verbunden sein, bei denen es zwar in der Tat um ein faires Miteinander geht - am Ende aber die einen mehr und die anderen weniger Platz haben werden. Diesen Konflikten geht das Wahlprogramm - nicht nur beim Thema Verkehr - aus dem Weg. Stattdessen versucht die CDU, alle zu umarmen: "Die Menschen können, wollen und sollen selbst entscheiden, wie sie sich durch unsere Stadt bewegen". Anreize statt Zwang, Angebote statt Verbote, lautet das Credo der Union.

Man braucht nicht tief in die Verkehrswissenschaften einzutauchen, um zu lernen, dass eine Verkehrswende schlicht beides braucht: Anreize und Zwang. Auch dies wäre also ein "Miteinander", das die CDU propagieren könnte: Nicht Angebote statt Verbote, sondern Angebote und Verbote. Sie könnte damit jene Brücken bauen, die SPD, Grüne und Linke in Richtung einer autofahrenden Wählerschaft nicht bauen. Die Union könnte notwendige gesellschaftliche Veränderungen erklären, statt ihnen so lange aus dem Weg zu gehen, bis sie unvermeidlich sind, wie sie es etwa bei der "Ehe für alle" tat.

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Reizthema: Gender-Sprache

Gut zu beobachten war dieses Phänomen beim Parteitag auch bei einem anderen Reizthema: der geschlechtergerechten Sprache. Zwei Drittel der Deutschen lehnten "diese ideologische Sprachverirrung" ab, sagte Wegner und macht sich unter Beifall lustig: „Gender-Sternchen, Gender-Unterstrich, Gender-Doppelpunkt - eine gegenderte Seite sieht aus als ob ein wilder Hahn drüber gelaufen wäre. Das Gendern zerstört die Schönheit unserer Sprache!“

Auch hier hätte Wegner auf das Prinzip "Miteinander" setzen können. Was wäre gewesen, hätte er gesagt: 'Ja, stimmt, das sieht vielleicht alles nicht schön aus - aber keine Institution kann sich im Jahr 2021 noch ernsthaft hinstellen und sagen, bei der männlichen Form sollen sich alle anderen mitgemeint fühlen. Die meisten Dax-Konzerne setzen aufs Gendern!' Er hätte seine Partei ermuntern können, sich an der Suche nach schöneren Lösungen zu beteiligen. Es wäre wieder so eine Verständnisbrücke gewesen, die links von der Mitte eher selten gebaut wird.

Alles Kleinigkeiten, könnte man sagen. Aber diese Kleinigkeiten zusammengenommen prägen eben auch das Image einer Partei. "Unser Berlin. Mehr geht nur gemeinsam", ist das Wahlprogramm überschrieben. In einer Stadt, in der Gegensätze gern lautstark betont werden, ist das eine wichtige Erkenntnis - aus der man noch viel mehr machen könnte als sich die CDU zutraut.

Beitrag von Thorsten Gabriel

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