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Audio: rbb24 Inforadio | 03.11.2022 | Lukas Witte | Quelle: imago images/Laci Perenyi

Queere Community und Fußball-WM in Katar

Kein Platz für den Regenbogen

Die umstrittene Fußball-WM in Katar steht vor der Tür. Zwar gibt sich das Emirat im Vorfeld weltoffen, doch es wird wohl kein Turnier für alle Menschen werden. Gerade in der queeren Community löst das Sportevent in der Wüste Fassungslosigkeit aus. Von Lukas Witte

"Wir werden niemanden aufhalten, zu kommen und Fußball zu schauen", sagte Scheich Chalid bin Chalifa Al-Thani im Mai dieses Jahres bei einem Besuch in Berlin. "Wir heißen jeden willkommen, aber wir erwarten, dass unsere Kultur respektiert wird." Es waren die Worte des Emirs von Katar auf einem gemeinsamen Medientermin mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Wüstenstaat, der immer wieder wegen der Missachtung von Menschenrechten in der Kritik steht, richtet vom 20. November bis 18. Dezember die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer aus und gibt sich im Vorfeld weltoffen – solange die eigene Kultur respektiert werden würde.

Homosexualität steht unter Strafe

Wie genau das für queere Besucher:innen bei der WM aussehen könnte, erklärte der ehemalige Fifa-Präsident Sepp Blatter bereits 2010 kurz nach der Vergabe des Großevents an den Golfstaat. "Wenn Leute 2022 ein Spiel in Katar sehen wollen, werden sie hineingelassen." Homosexuelle Fans sollten allerdings "sexuelle Aktivitäten unterlassen", so Blatter. Wenig später ruderte er nach großer Kritik an seinen Aussagen zurück und entschuldigte sich.

Ein Blick auf die rechtliche Lage lässt allerdings vermuten, dass queere Besucher:innen der WM in Katar ihre sexuelle Orientierung tatsächlich besser für sich behalten sollten. Katar sei konservativ, was "offen gezeigte Zuneigung in der Öffentlichkeit" angeht, sagte der Vorsitzende des WM-Organisationskomitees Nasser Al-Khater. Fans müssten dies respektieren, und dementsprechend zurückhaltend sein, sagte er in einem CNN-Interview.

Homosexuelle Handlungen sind in Katar strafbar. Die Strafen sehen Auspeitschen, Inhaftierung oder sogar die Todesstrafe vor - wobei letztere zumindest nach Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen bislang nicht vollstreckt worden ist. Laut Human Rights Watch sind queere Häftlinge zuletzt auch Opfer körperlicher Gewalt geworden. Demzufolge berichteten vier trans Frauen, eine bisexuelle Frau und ein homosexueller Mann, wie sie von Mitgliedern des katarischen Innenministeriums in einem Gefängnis in der Hauptstadt Doha festgehalten wurden. Die Sicherheitskräfte hätten die Gefangenen verbal belästigt, körperlich misshandelt und sie geschlagen und getreten. Angeklagt worden seien die Festgenommen nicht. Das Emirat am Golf bestreitet die Vorwürfe.

Sind queere Fans sicher?

Die Menschenrechtsverletzungen hatte in dieser Woche auch Bundesinnenministern Nancy Faeser (SPD) bei einem Besuch in Katar kurz vor der WM angesprochen. Am vergangenen Dienstag gab sie in Doha zu Protokoll, dass die Regierung Katars ihr "erstmals" eine "Sicherheitsgarantie" für alle WM-Besucher gegeben habe. Somit sollen auch Angehörige der LGBTIQ-Community gefahrlos in das Land reisen können. "Es ist wichtig, das Land Katar bei wegweisenden Reformen zu unterstützen", sagte Faeser zum Ende ihres zweitägigen Besuchs. "Deshalb habe ich mich dazu entschieden, den Prozess weiter zu begleiten und zum ersten Spiel der deutschen Mannschaft anzureisen."

An eine solche Sicherheitsgarantie für queere Personen glaubt Christian Rudolph nicht. "Die rechtliche und gesellschaftliche Lage in Katar ist klar. Und wo Menschen ihre Liebe nicht ausleben können, da können sie auch nicht frei sein und leben immer in Angst. Unter Umständen kann sogar schon Händchenhalten zu Problemen führen", sagt der Berliner, der dem Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) angehört und seit Januar 2021 erster Ansprechpartner für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt beim DFB ist.

Unabhängig von möglichen Strafen gibt es aber auch noch weitere Probleme für queere Fans bei der WM in Katar. So ergab eine gemeinsame Recherche der drei skandinavischen öffentlich-rechtlichen TV-Sender NRK (Norwegen), DR (Dänemark) und SVT (Schweden), dass queere Besucher:innen möglicherweise gar kein Hotelzimmer in dem Emirat bekommen würden [sportschau.de], oder nur, wenn sie auf sexuelle Handlungen verzichten würden.

"One Love" statt Regenbogen

Schon vor Monaten hatte Rudolph eine Runde organisiert, auf der es zum Austausch zwischen DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Interessensvertreter:innen aus der queeren Community kam. "Wir haben damals klar die Probleme vor Ort benannt und alle empfohlen, gar nicht erst zur WM zu reisen", erzählt Rudolph. Auch klare symbolische Statements, wie eine Regenbogen-Kapitänsbinde habe man sich gewünscht. Viel gebracht hat das allerdings nicht.

Joshua Kimmich trug die neue One-Love-Kapitänsbinde bereits bei der Nations League im September | Bild: imago images/Sportfoto Rudel | Quelle: imago images/Sportfoto Rudel

Denn der DFB hat sich stattdessen gemeinsam mit anderen europäischen Verbänden dazu entschieden, eine Binde mit der Aufschrift "One Love" zu tragen, die nicht mehr alle Farben des Regenbogens abbildet. "Das finde ich null aussagekräftig und kann als queere Person damit überhaupt nichts anfangen", sagt Pia Mann. Die Sozialarbeiterin setzt sich mit dem Projekt "Discover Football" für Geschlechtergerechtigkeit und gegen Diskriminierung im Fußball ein. Außerdem ist sie Teil des DFC Kreuzberg, ein Verein für Frauen, Lesben, trans und inter Personen in Berlin. "Die Regenbogenbinde, die Manuel Neuer bei der EM getragen hat, die fand ich ein Zeichen. Mindestens das würde ich mir wieder wünschen", sagt Mann.

"Sportswashing" des Wüstenstaats

Für sie ist die Vergabe der WM nach Katar ein verheerendes Zeichen, nicht nur für queere Personen. "Auch wenn es grundsätzlich zu begrüßen ist, dass eine Männer-WM auch mal in der MENA-Region stattfindet, ist es in diesem Fall ziemlich klar, dass es in erster Linie um Geld und 'Sportswashing' geht. Ein Land, das in der Vergangenheit nicht besonders interessant war und keinen guten Ruf hatte, soll nun durch das größte Sportevent der Welt attraktiv gemacht werden. Dabei sind dann alle LSBTI-Rechte, aber auch Frauen- und Arbeiter:innen-Rechte vernachlässigt worden."

Auch Schiedsrichter Pascal-Manuél Kaiser aus der Prignitz ist enttäuscht von der Fifa. Er pfeift in der Landesliga und outete sich dieses Jahr öffentlich als bisexuell. Auf dem Platz erlebt er seitdem immer noch vereinzelt schwulenfeindliche Äußerungen oder Handlungen. Dass nun die Weltmeisterschaft in einem Land wie Katar stattfindet, mache ihn sauer. "Seit der Vergabe kriege ich da Puls. Man merkt, dass die Fifa nicht so für Respekt, Toleranz und Akzeptanz steht, wie sie es immer behaupten", sagt Kaiser.

Vor allem der DFB solle sich stärker positionieren. "Ich erwarte seit der Vergabe, dass Deutschland die Teilnahme absagt. Jetzt ist es zu spät und sie werden hinfahren. Dann sollen sie aber zumindest ein klares Zeichen setzen und zeigen, dass sie die queere Community unterstützen", so der 24-Jährige. Auch ihm reiche die "One-Love"-Binde nicht aus und er hätte sich eine Regenbogenbinde gewünscht. Und nicht nur die Spieler, sondern auch seine Schiedsrichter-Kollegen könnten so ihren Protest äußern, sagt er. "Ich fände es cool, wenn es eine Art Regenbogen-Trauerflor geben würde, mit dem die Schiedsrichter auflaufen."

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Auch Sozialarbeiterin Pia Mann nimmt den Verband in die Pflicht – nicht nur bei der WM. "Der DFB tut sich mit dem Thema ja nach wie vor schwer. Bis zum heutigen Tage hat sich noch kein aktiver männlicher Profi-Fußballer in Deutschland geoutet. Das spricht Bände. Ich würde also sagen, dass der DFB jetzt nicht nur mit dem Finger auf Katar zeigen sollte, sondern vielleicht auch mal selber schaut, welche eigenen Probleme es da noch gibt und ehrlich damit umgehen", sagt sie.

Dann könnte der deutsche Fußballverband auch international zum Vorreiter für queere Fußballer:innen werden. Christian Rudolph macht sich leise Hoffnungen: "Wir wollen, dass der DFB da innerhalb der Fifa künftig eine deutlichere Position wahrnimmt, Stellung bezieht und sich stark macht." Dafür sei es wichtig, auch nach Katar weiter im Dialog zu bleiben. Nicht nur, um sich künftig stärker zu positionieren, sondern auch, um das Turnier tatsächlich dafür nutzen zu können, die Situation im Wüstenstaat zu verbessern.

"Auch vor der WM 2018 in Russland hat es ähnliche Diskussionen gegeben, nur danach ist halt nichts passiert. Die aktuellen Entwicklungen in dem Land sprechen jetzt ja eine sehr deutliche Sprache", erklärt Rudolph. Er befürchte auch für Katar, dass sich die Menschenrechtslage vor Ort nach dem Turnier eher noch weiter verschlechtern könnte, wenn keiner mehr hinguckt. "Also wollen wir den Dialog auch hinterher und werden auf jeden Fall dranbleiben", verspricht er.

Genug Alternativen zum Winter-Turnier

Rudolph, Mann und Kaiser sind sich einig: Sie alle werden kein einziges Spiel der WM live verfolgen. "Mir macht das einfach keinen Spaß, wenn ich weiß, unter welchen Bedingungen die WM stattfindet", sagt Rudolph. Ob ein Boykott der Fernsehzuschauer:innen aber tatsächlich etwas verändern würde, da sind sie sich nicht sicher. Wichtiger sei es, dass jeder Einzelne, der mit dem Turnier in der Wüste nicht einverstanden ist, seinen Unmut kundtut. Auch direkt an den DFB und die Fifa, schlägt Rudolph vor.

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Und es gebe während des Turniers im Winter auch Alternativen für alle, die vom Fußball nicht genug bekommen, aber auf die WM verzichten möchten. "Die Frauen-Bundesliga und der Amateur-Fußball finden weiter statt und ich würde mich freuen, wenn da die Unterstützung hingeht", sagt Rudolph. Auch das Projekt "Discover Football" werde keine Pause einlegen. So sei während der WM ein Online-Panel geplant, bei dem die Stimmen von Frauen aus arabischen Ländern zu Katar und der Situation vor Ort gehört werden könnten, erzählt Pia Mann.

Schiedsrichter Kaiser wird hingegen während der Weltmeisterschaft bei einer besonderen Veranstaltung in Berlin auf dem Rasen stehen. Beim Turnier "Kicken statt Gucken" werden am 10. Dezember im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark Teams aus der Hauptstadt, Deutschland und ganz Europa gegeneinander antreten und gemeinsam ein Zeichen für Menschenrechte und gegen die Fußball-WM in Katar setzen. Auch queere Mannschaften sind dabei. Schirmherr der Veranstaltung ist der Kultursenator Berlins, Klaus Lederer (Linke). Pascal-Manuél Kaiser wird das Finale pfeifen und dabei – anders als die Profis zur selben Zeit in der Wüste – eine Regenbogenbinde tragen.

Sendung: rbb24, 03.11.2022, 18 Uhr

Beitrag von Lukas Witte

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